Eigentlich ist Donald Trump eine lahme Ente, seit am Samstag klar geworden ist, dass er die US-Präsidentschaftswahl gegen Joe Biden verloren hat. "Lame duck", so werden in den USA Präsidenten in der Zeit zwischen der Wahl und dem Amtsantritt ihres Nachfolgers genannt. Für eine lahme Ente schlägt Trump aber noch ziemlich heftig mit den Flügeln und schnattert laut: Er unterbreitet seinen knapp 89 Millionen Followern auf Twitter wie in einer Dauerschleife Verschwörungserzählungen über angeblichen Wahlbetrug. Und er zeigt bisher nicht den Hauch von Einsicht, dass er die Wahl verloren hat.
Joe Biden, der designierte 46. Präsident, hat derweil schon seine Coronavirus-Taskforce benannt, mit Staats- und Regierungschefs von Angela Merkel bis zum kanadischen Premierminister Justin Trudeau telefoniert.
Am 20. Januar 2021 soll Biden die Amtsgeschäfte von Trump übernehmen, das Datum dafür ist in der US-Verfassung fixiert.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich alle scheidenden US-Präsidenten mehr oder minder gut an den Brauch gehalten, der nachfolgenden Regierung eine möglichst reibungslose Übernahme der Amtsgeschäfte zu ermöglichen.
Doch Donald Trump schert sich um solche Konventionen nicht. Bis Biden das Weiße Haus übernimmt, kann Trump seinem Nachfolger die Arbeit noch massiv erschweren. Und gleichzeitig kann er sich selbst und den Menschen in seinem persönlichen Umfeld einige Probleme aus dem Weg räumen – mit den folgenden Taktiken:
Wie wichtig ein reibungsloser Übergang von einem Präsidenten zum nächsten ist, wissen politisch interessierte Menschen in den USA spätestens, seit die größte Katastrophe der jüngeren US-Geschichte aufgearbeitet worden ist: die Terroranschläge vom 11. September 2001.
Die Kommission zur Aufklärung der Attentate hat später festgestellt, dass die damalige US-Regierung unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush nicht ausreichend auf die Terrorgefahr für das Land vorbereitet war. Unter anderem, weil die Bush-Regierung sich erst viel später auf die Arbeit im Weißen Haus vorbereiten konnte als ihre Vorgänger.
Das hatte mit dem Übergang zur Macht zu tun: Das Ergebnis der Wahl im Jahr 2000 war wochenlang umstritten. Erst ein Urteil des Supreme Court, des Obersten Gerichtshofs der USA, und die Entscheidung des demokratischen Kandidaten Al Gore, das Urteil zu akzeptieren, beendeten Mitte Dezember – über einen Monat nach der Wahl – den Zwist.
Damit der Machtübergang zwischen zwei Präsidenten möglichst gut funktioniert, gibt es den "Presidential Transition Act": ein Gesetz aus den 1960er-Jahren, das seither mehrfach geändert wurde. Es gibt dem Wahlgewinner schon kurz nach der Wahl Zugang zu wichtigen Informationen im Weißen Haus – und staatliches Geld, um den Übergang zu organisieren. Das Problem: Damit Bidens Team auf alle Ressourcen zugreifen kann, muss erst eine Bundesbehörde, die General Services Administration (GSA), das Ergebnis der Präsidentschaftswahl feststellen. Die Leiterin der GSA heißt Emily Murphy und wurde von Trump eingesetzt. Und sie hat das Ergebnis bis jetzt nicht festgestellt.
Bis das nicht geschehen ist, kann Bidens Team unter anderem nicht an Sicherheitsbriefings teilnehmen, Personal für die neue Regierung einstellen und Büroräume in Regierungsbehörden übernehmen. Je länger es dauert, bis Bidens Leute diese Möglichkeiten haben, desto mehr erschwert das den Start der neuen Regierung.
Das Problem für Bidens Team wird noch größer dadurch, dass Trump offenbar vorhat, die Chefs wichtiger Bundesbehörden zu feuern: Nach Verteidigungsminister Mark Esper könnten das laut US-Medien unter anderem die Chefs der wichtigsten Sicherheitsbehörde FBI und des Auslandsgeheimdiensts CIA sein, Christopher Wray und Gina Haspel.
Wahlbetrug, Wahlbetrug, Wahlbetrug: Unablässig hämmert Donald Trump seinen Unterstützern die Botschaft ein, dass es beim Wahlsieg Joe Bidens angeblich nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Dafür gibt es bisher keinerlei Beweise, noch nicht einmal ernsthafte Indizien. Trotzdem will Trump Klagen in mehreren Staaten anstrengen – und die allermeisten prominenten Politiker der Republikaner unterstützen ihn dabei. Darunter ist der Justizminister und oberste Strafverfolger der USA, William Barr: Er hat den ihm unterstellten Staatsanwälten erlaubt, "substanzielle Vorwürfe" von Unregelmäßigkeiten zu untersuchen – und das sogar bevor endgültige Wahlresultate aus den Staaten vorliegen.
Die Erfolgsaussichten Trumps dürften trotzdem verschwindend gering sein: Selbst wenn Stimmen neu ausgezählt würden, kann das erfahrungsgemäß das Ergebnis höchstens um mehrere hundert Stimmen verschieben. Das würde Trump in keinem der für ihn wichtigen Staaten, in denen er gegen Biden verloren hat, den Sieg bringen.
Das wohl größte Problem an den unbegründeten Wahlbetrugsvorwürfen ist aber: Trump und die Republikaner erschüttern damit das Vertrauen in die Demokratie.
Für den Historiker Timothy Snyder, der seit 2016 mehrere Bücher über die Gefahren für Demokratien geschrieben hat, ist das brandgefährlich. Er fasst es am Mittwoch in einer Reihe von Tweets so zusammen:
Trump und seine bis jetzt fast ausnahmslos treuen Republikaner können Biden auch rein formell noch Steine in den Weg zur Präsidentschaft legen – an zwei Daten:
Trumps Umgang mit dem Coronavirus hat bisher zu desaströsen Ergebnissen geführt: über 10 Millionen Infektionen, über 240.000 Tote. Der Präsident hat die Verantwortung für die Pandemie-Bekämpfung weitgehend auf die Bundesstaaten abgewälzt, nur in manchen davon haben die Gouverneure harte Maßnahmen durchgesetzt. Die "Washington Post" hat im Oktober berichtet, dass Trumps Regierung rund neun Millionen Dollar, die für Corona-Tests vorgesehen gewesen wären, nicht ausgegeben hat – entgegen dem Rat von Experten wie dem Chef der führenden Seuchenbehörde Anthony Fauci.
Während die Welt auf den Wahlkrimi in den USA blickte, sind die Infektionszahlen wieder nach oben geschossen, das Land wird von einer dritten Pandemie-Welle überschwemmt.
Trumps Desinteresse an der Pandemiebekämpfung dürfte jetzt, nach seiner Abwahl, weiter zunehmen.
Das würde die Arbeit der Coronavirus-Taskforce behindern, die Trumps designierter Nachfolger Biden schon vorgestellt hat. Und mitten im Winter die Gesundheitsgefahr für Millionen US-Amerikaner weiter erhöhen.
Eines der Privilegien von US-Präsidenten ist ihr Recht, Menschen zu begnadigen – sie also vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. Davon haben kurz vor Ende ihrer Amtszeit auch die Vorgänger Trumps Gebrauch gemacht: Barack Obama ebenso wie George W. Bush und Bill Clinton.
Trump aber könnte die Begnadigung nutzen, um sein persönliches Umfeld zu schützen – und sich selbst. Realistisch erscheint Beobachtern, dass der Noch-Präsident etwa den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn und seinen Ex-Wahlkampfmanager Paul Manafort begnadigt – beiden wird vorgeworfen, die Interessen der russischen Regierung in der US-Regierung vertreten zu haben. Laut dem Politikmagazin "The New Republic" könnte auch Trumps ehemaliger Berater, der rechtsextreme Polit-Stratege Steve Bannon, mit einer Begnadigung durch Trump rechnen.
Trump könnte außerdem sich selbst begnadigen. Der Präsident hatte über diese Möglichkeit schon im Jahr 2018 gesprochen. Eine Selbstbegnadigung Trumps wäre "verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft", wie "The New Republic" schreibt. Gerichte könnten diese Entscheidung kippen. Die Begnadigung würde Trump auch nur vor Prozessen wegen Verstößen gegen Bundesgesetze schützen. In den USA haben die einzelnen Bundesstaaten aber auch eigene Strafgesetze, auf deren Grundlage Trump dann weiter belangt werden könnte.
Auch finanziell könnte Trump sich selbst noch Vorteile verschaffen, solange er im Weißen Haus sitzt. Das "Transition Integrity Project" – eine Reihe von Simulationen möglicher Ergebnisse der Präsidentschaftswahl und ihrer Folgen für die Machtübergabe mit über 100 Experten aus allen politischen Lagern – kam im Sommer 2020 zu dem Ergebnis, Trump könnte unter anderem Folgendes tun:
Trump hat nach seiner Wahlniederlage Verteidigungsminister
Mark Esper entlassen – und somit das US-Verteidigungsministerium noch stärker unter seinen persönlichen Einfluss gebracht. Der Präsident könnte deshalb in seinen letzten Tagen als Oberbefehlshaber der Streitkräfte einfacher militärische Operationen anordnen, die noch weit über seine Amtszeit hinaus wirken – oder Verwirrung bis Chaos in der Welt stiften:
Der Abzug weiterer Truppen aus Deutschland, ein Angriff auf Iran, ein quälend langer Übergang zu Joe Biden: Donald Trump hat noch einige Möglichkeiten, Schaden anzurichten, bis Joe Biden am 20. Januar 2021 seinen Amtseid als Präsident der USA ablegt. Und er hat noch reichlich Gelegenheit zu beweisen, dass seine persönlichen Interessen für ihn das Maß aller Dinge sind.
Bedenklich ist dabei die Signalwirkung, die von seinen letzten Amtshandlungen ausgehen kann. Eine friedliche Machtübergabe zwischen unterschiedlichen Staats- oder Regierungschefs ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Demokratie. Wenn Trump sie weiter boykottiert, greift er das Vertrauen der US-Bürger in die Demokratie massiv an. Das könnte das schwerste Erbe von Trumps vier Jahren im Weißen Haus sein.