Twitter sprudelt über mit Meinungen. Immer schon, seit es das Netzwerk gibt. Jetzt hat die Twitter-Gemeinschaft wieder etwas, das sie kommentieren kann: Elisabeth "Lisa" Paus, eine grüne Finanzpolitikerin, soll sich künftig für Familien stark machen. Sie zieht ins Bundeskabinett ein, als Nachfolgerin von Anne Spiegel (Grüne), als Familienministerin.
Eine Volkswirtin im Familienressort? Deren Steckenpferd seit Beginn der politischen Laufbahn die Wirtschaft war? Ein Twitter-Aufreger. Vor allem in der konservativen Sparte.
Grüne und Grünen-Befürworterinnen und -Befürworter freuen sich hingegen: Eine Frau aus dem linken Parteiflügel, die sich in ihrer finanzpolitischen Verantwortung für die Kindergrundsicherung starkgemacht hat. Dieser Punkt ist eines der zentralen Ziele des Ampel-Koalitionsvertrags. Und dieses Ziel will Paus, wenn sie im Kabinett sitzt, offenbar auch so schnell wie irgend möglich angehen.
Die Kindergrundsicherung soll ein Instrument für Chancengleichheit sein – und gleichzeitig die Kinderarmut in Deutschland bekämpfen. Dabei geht es darum, die bisherigen finanziellen Unterstützungsleistungen des Staates für Kinder zu bündeln und durch einen Grundbetrag für alle Kinder ab der Geburt zu ersetzen. Ein komplexes Unterfangen – weshalb neben Fachleuten aus dem Familienministerium auch die Ministerien für Finanzen, Justiz, Arbeit, Bildung und Wohnen eingebunden sind.
Die 53-jährige Paus hat, abgesehen von ihrer Arbeit eben für die Kindergrundsicherung, offiziell wenig Erfahrung in den Bereichen Familie, Frauenförderung, Kinder und Jugendliche. Es gibt wenige Punkte in ihrem Lebenslauf, die Hinweise auf die soziale Ader der Politikerin geben. Einer davon, ein recht spärlicher wohlgemerkt, ist ein Freiwilliges Soziales Jahr, das Paus nach ihrem Abitur 1988 im Kinderheim St. Elisabeth in Hamburg absolviert hat.
Was aber klar ist: Paus ist bekennende Feministin. Nachdem der heutige Grünen-Finanzminister von Baden-Württemberg, Danyal Bayaz, aus dem Bundestag ausgeschieden war, ist Paus in den Wirecard-Untersuchungsausschuss nachgerückt. Neben der Arbeit für die Aufklärung des Betrugsskandals des Finanzdienstleisters, gab Paus auch ihre ganz persönliche Meinung zum Skandal und zur Unternehmensführung des heute nicht mehr existenten Ex-DAX-Konzerns preis: "Wirecard war auch ein seltsamer Männerbund, in dem es nie um die Sache ging, sondern im Kern um die Frage: Wer hat den Längeren?" Das sagte sie der "Berliner Zeitung".
Sie meinte in diesem Gespräch auch, ein solcher Betrug wäre nicht möglich gewesen, wenn Frauen im Konzern Verantwortung getragen hätten: "Die kritischen Stimmen innerhalb von Wirecard kamen von Frauen. Doch sie hatten in der Führungsetage zu kämpfen, wurden nicht ernst genommen. Sie haben gewarnt und wurden nicht gehört."
Lisa Paus kommt ursprünglich aus dem niedersächsischen Emsland, aus einer Familie mit einem eigenen mittelständischen Unternehmen: Die Paus Maschinenfabrik wurde von ihrem Vater 1968 gegründet. Seit geraumer Zeit lebt Paus in Berlin und sitzt seit 2009 für den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf im Bundestag. Seit Dezember 2021 ist Paus stellvertretende Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. Hier war sie bisher zuständig für die Themen Finanzen, Haushalt, Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Bisher war sie ordentliches Mitglied im Finanzausschuss sowie in der Arbeitsgruppe Finanzen.
Von 2017 bis 2021 war Paus Sprecherin für Finanzpolitik und Leiterin der AG Finanzen der grünen Bundestagsfraktion. Zudem war sie bisher Mitglied und Obfrau im Finanzausschuss und stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.
Sie leitet außerdem die Berliner Landesgruppe von Bündnis 90/Die Grünen. 2017 und 2021 war sie auch deren Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl.
2009 bekam Paus ein Kind. Ihren Sohn muss sie allerdings seit 2013 allein erziehen. Ihr Lebensgefährte starb an Krebs. Auch deshalb, das schreibt Paus selbst auf ihrer Website, engagiert sie sich für eine selbstbestimmte, humane Sterbehilfe.
2016 erscheint einer der wenigen Punkte auf ihrer Vita, die Hinweise auf Paus' familienpolitische Kompetenz geben. Der Grüne Parteitag wählte damals das "Familienbudget", das Paus entscheidend entworfen hatte, zu seinem neuen Familienförderungskonzept.
Doch ein Lebenslauf, der stichpunktartig aufzeigt, welche Positionen ein Mensch einmal innehatte, sagt wenig über die Meinungen und Eignungen einer Person aus. Dass Paus für Chancengleichheit und die Unterstützung von Familien kämpft, wird etwa in einem Interview deutlich, das die Politikerin im Februar 2021 dem Sender Phoenix gegeben hat.
Paus kritisiert darin die Unterstützungs-Maßnahmen, die die damalige Regierung von CDU und SPD eingeleitet haben als "absurd wenig". Dabei ging es in dem Gespräch um die Einmalzahlungen an Familien mit Kindern von 150 Euro in dem monatelang anhaltenden Lockdown im Winter 2020/2021. Bei ihrer Aussage berief sich Paus auf Forderungen von Gewerkschaften und Sozialverbänden – für eine Finanzpolitikerin recht unüblich.
Doch Paus fällt, blickt man einmal hinter die Kulissen, öfter damit auf, sich als Steuer- und Finanzpolitikerin für Familien und überhaupt soziale Fragen stark zu machen.
Schon als Landespolitikerin in Berlin setzte sie sich für Steuergerechtigkeit ein. Dabei ging es ihr darum, dass durch die Bekämpfung von Steuerumgehungen und Steuerbetrug mehr öffentliches Geld in Krankenhäuser oder Schulen und KiTas fließen kann. Bezahlbarer Wohnraum sollte ihrer Ansicht nach in gemeinnütziger Trägerschaft bleiben und neu gebaut werden, damit sprach sie sich ganz klar gegen Immobilienspekulation aus.
Auch die steuerliche Benachteiligung von Frauen wollte sie seit jeher bekämpfen. Sie richtete schon während ihrer landespolitischen Zeit ihre Arbeit darauf, Frauen finanziell unabhängig zu machen, und damit auch gegen weibliche Altersarmut zu kämpfen.
Mit diesen und weiteren Forderungen ging Paus auch 2021 in den Bundestagswahlkampf für die Grünen in Berlin.
Bei dem feministischen Onlinemagazin "Edition F" schreibt sie einen ganzen Gastbeitrag über das Ehegattensplitting und erklärt darin, warum dieses Frauen steuerlich benachteiligt.
Die Soziologin Jutta Allmendinger von der Humboldt-Universität Berlin ist der festen Überzeugung, dass Paus die Richtige für den Job als Familienministerin ist. Das lässt sie zumindest die Twitter-Gemeinde wissen. Vor allem, das lässt ihr Tweet zumindest vermuten, weil sich Paus schon seit Jahren gegen das Ehegattensplitting ausspricht.
Nicht nur für Twitter dürfte die Benennung von Paus ein Aufreger-Thema sein. Die Grünen haben schon während der Regierungsbildung Ende 2021 einen internen Streit wegen der beiden Flügel in der Partei. Realos versus Linke.
Damals wurde heftig gezankt, als es um die Besetzung des Agrarministeriums ging. Linke wollten Anton Hofreiter, Realos Cem Özdemir. Die Realos gewannen. Jetzt sind die Ministerposten mit drei Realos und zwei Linken besetzt. Nachdem Anne Spiegel (ebenfalls linker Flügel) ausgeschieden war, war zumindest für die linke Ecke der Grünen klar, dass die Nachfolge aus ihrem Lager stammen muss. Die Realos sahen das anders.
Doch den beiden Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour dürfte vor allem wichtig gewesen sein, nicht zu viel Zeit ins Land streichen zu lassen – um wenig Raum für Streit und vor allem für Spekulationen zu geben. Die Grünen wollten nicht den Eindruck erwecken, sich während des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, einer noch immer über den Globus rauschenden Pandemie und der Klimakrise nur mit sich selbst zu beschäftigen.
Lisa Paus steht im linken Flügel relativ weit links. Damit ist sie sicher nicht die Wunschkandidatin von Vizekanzler und Realo Robert Habeck. Ob sie letztlich einen ähnlichen innerlich moralischen Kampf führen muss, wie der Wirtschaftsminister ihn momentan mit sich selbst ausficht – und wie viel Realpolitik sie am Ende zulassen muss, wird sich noch zeigen.