Mittwoch war ein historischer Tag in den USA. Natürlich, da war der Sturm eines rechtsradikalen Mobs auf den Kongress, angeleitet vom amtierenden Präsidenten – ein Terroranschlag (warum das für mich das richtige Wort ist, habe ich hier aufgeschrieben), eine grausige Eskalationsstufe in Donald Trumps jahrelanger Attacke auf die Demokratie. Aber da war auch ein anderes, ermutigendes Ereignis, das viele noch vor wenigen Wochen kaum für möglich gehalten hätten: die beiden Senats-Stichwahlen in Georgia.
In dem südlichen US-Bundesstaat haben die demokratischen Kandidaten Raphael Warnock und Jon Ossoff Stichwahlen um zwei Senatssitze gegen ihre republikanischen Gegner gewonnen. Das hat große Bedeutung für den designierten Präsidenten Joe Biden, der am 20. Januar seinen Amtseid schwört. Und es ist ein Zeichen dafür, dass die US-Demokratie nicht nur einerseits in großer Gefahr ist – sondern andererseits auch immer wieder alte Barrieren einreißen kann.
Wir erklären, warum diese Wahl so wichtig ist.
Erstens, weil die Wahl Warnocks und Ossoffs eine Überraschung ist, die viel über wichtige Veränderungen in den USA verrät. Und zweitens, weil sich dadurch die Politik der USA in den kommenden zwei Jahren dramatisch ändern kann.
Georgia war bis zum US-amerikanischen Bürgerkrieg ein Sklavereistaat, in dem versklavte Schwarze Menschen auf Reis- und Baumwollplantagen schufteten. Ihre Unterdrückung und Ausbeutung gingen nach dem Ende der Sklaverei weiter, wie in den anderen Staaten der USA. Fast 600 Afroamerikaner wurden bis 1950 von Rassisten in Georgia gelyncht.
Was diese Geschichte für Schwarze Menschen bis heute bedeutet, das drückte Neu-Senator Warnock in einer Ansprache nach dem Stichwahltag aus. Über seine eigene Mutter, die in den 1950er-Jahren selbst noch die Sommer damit verbrachte, Baumwolle und Tabak zu pflücken, sagte Warnock:
Warnock ist der erste afroamerikanische Senator, der in Georgia gewählt wird. Sein Kollege Ossoff ist der erste jüdische Senator für Georgia.
Georgia war über Jahrzehnte eine Hochburg der Republikaner. Bei den Präsidentschaftswahlen zwischen 1984 und 2016 ging der Staat nur einmal an den demokratischen Kandidaten. 2020 hat der Demokrat Joe Biden ihn gewonnen. Die wohl wichtigste Grundlage dieses demokratischen Überraschungserfolgs war, dass afroamerikanische Parteimitglieder so viele Menschen wie nie zuvor dazu gebracht haben, sich für die Wahl zu registrieren (was in den USA nötig ist, um überhaupt abstimmen zu dürfen).
Die zentrale Figur hinter dieser Mobilisierung war die Politikerin Stacey Abrams. Die ehemalige Kongressabgeordnete verlor 2018 knapp die Wahl zur Gouverneurin von Georgia – und kämpft seither darum, dass mehr arme und vor allem Schwarze Menschen in Georgia ihre Stimme abgeben. Unterstützt haben sie dabei auch mehrere Rapper aus Atlanta, der größten Stadt Georgias. Mit offensichtlichem Erfolg: Die Wahlbeteiligung war in Georgia deutlich höher als bei vergangenen Senatswahlen.
Für die US-amerikanische Politik ist der Stichwahl-Erfolg der Demokraten so wichtig, weil er die Macht des neugewählten Präsidenten Joe Biden deutlich vergrößert.
Ossoff und Warnock haben mit ihren Wahlsiegen zwei Senatssitze erobert, die vorher zwei republikanische Politiker innehatten. Die Demokraten haben damit 50 (statt vorher 48) von 100 Sitzen im US-Senat. Und wenn im Senat Stimmengleichheit herrscht, entscheidet die Stimme der Vizepräsidentin – die gleichzeitig Präsidentin des Senats ist. Und dieses Amt füllt ab 20. Januar die Demokratin Kamala Harris aus. Die Demokraten haben damit faktisch die Mehrheit im Senat.
Der Senat ist eine der beiden Kammern des US-Kongresses, des Bundesparlaments der USA. Der Präsident kann – wie die Regierungschefs in jeder parlamentarischen Demokratie – wichtige politische Vorhaben nur umsetzen, wenn er dafür eine Mehrheit im Parlament hat. In der anderen Kammer, dem Repräsentantenhaus, haben die Demokraten schon seit 2018 die Mehrheit.
Der demokratische Sieg bei der Georgia-Stichwahl eröffnet der Regierung Biden jetzt also erhebliche Freiräume.
Rachel Tausendfreund, politische Analystin der US-amerikanischen Stiftung German Marshall Fund, sagt, die Siege im Senat seien "ungemein wichtig für die Biden-Regierung". Gegenüber watson erklärt Tausendfreund das so:
Außerdem verweist Tausendfreund darauf, dass Biden durch die Senatsmehrheit auch seine Minister ohne größere Probleme ernennen kann. Der Senat hat in den USA die Möglichkeit, die Kandidaten für wichtige Ministerposten zu blockieren.
Auch laut Josef Braml, Autor des Blogs usaexperte.com und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission, ist für Biden die Senatsmehrheit eine große Erleichterung mit Blick auf seine künftigen Ministerposten. Was Bidens Politikziele angeht, ist Braml weniger optimistisch. Denn trotz einfacher demokratischer Mehrheit im Senat könnten die Republikaner weiter durch Blockademanöver wichtige Projekte blockieren, etwa beim Klimaschutz, der Steuerpolitik und im Gesundheitswesen.
Braml wörtlich:
Mit "Filibuster" wird in der US-Politik die umstrittene Taktik bezeichnet, durch eine stundenlange Marathonrede einen Senatsbeschluss zu einem Thema zu verhindern.
Die erneute Niederlage in ihrer einstigen Hochburg Georgia ist für die Republikaner in den USA ein Schlag ins Gesicht. Vor allem aus drei Gründen.
In mehreren seriösen US-Medien wird berichtet (etwa hier vom TV-Sender CNBC), dass die Niederlage auch damit zusammenhängen kann, dass Noch-Präsident Donald Trump seit Monaten die Legitimität der Wahl angreift, weil er seine eigene Niederlage nicht akzeptiert. Damit könnte er viele republikanische Wähler davon abgehalten haben, bei den Senats-Stichwahlen wählen zu gehen.
Zweitens belegt diese Wahl, dass Trump selbst offensichtlich nicht mehr das politische Zugpferd ist, das er seit 2016 für viele republikanische Kandidaten war. Die beiden amtierenden republikanischen Senatoren Kelly Loeffler und David Perdue haben ihren Sitz verloren, nachdem Donald Trump für sie Wahlkampf gemacht hatte.
Und drittens hat die republikanische Niederlage damit zu tun, dass sich die Wahlbevölkerung Georgias verändert: Städte wie Atlanta und die 150.000-Einwohner Stadt Savannah wachsen. In ihnen wohnt eine diverse Bevölkerung, darunter viele Afroamerikaner und People of Color. Das sind Gruppen, die in der Mehrheit für die Demokraten stimmen. Es ist ein Phänomen, das die Republikaner seit Jahren beschäftigt – und das sich für sie verschärft, wenn ein größerer Anteil der nicht-weißen Wähler auch tatsächlich die eigene Stimme abgibt.
US-Expertin Rachel Tausendfreund verbindet mit dieser Entwicklung eine Hoffnung zur Zukunft der Republikanischen Partei. Gegenüber watson erklärt sie: