Die Ampel-Koalition steht, der Vertrag ist unterzeichnet und Olaf Scholz ist seit Mittwoch neuer Bundeskanzler. Das heißt auch: Grüne und FDP sind zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder Teil einer Bundesregierung.
Damit müssen die beiden Parteien nun vom Oppositions-Modus auf Regierungsverantwortung schalten.
Viele ihrer Abgeordneten und sind neu im Bundestag, ihre Ministerinnen und Minister das erste Mal im Amt. Auch die Spitzen der Bundestagsfraktionen wurden neu besetzt.
Nach der Wahlpleite 2013, bei der die Freien Demokraten aus dem Bundestag flogen, hat Christian Lindner, der Bundesvorsitzende der FDP und neue Finanzminister von Deutschland, den Karren wieder aus dem Dreck gezogen.
Durch einen erfolgreichen, personenbezogenen Wahlkampf brachte er die FDP 2017 zurück ins Parlament. Beinahe auch in die Regierung.
Hier ist an den Satz „Lieber nicht regieren, als falsch“ zu erinnern, mit dem Lindner 2017 die Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP platzen ließ.
Stattdessen machte sich die FDP, unter einer Regierung der Großen Koalition, auf der Oppositionsbank breit. Blieb unbequem, als während der Pandemie Grundrechte eingeschränkt wurden. Nun sind die Freien Demokraten in Regierungsverantwortung.
Klar ist: Christian Lindner wird als Finanzminister nicht mehr in Personalunion den Bundesparteivorsitz und den Fraktionsvorsitz innehaben.
Stattdessen wird der Finanzpolitiker Christian Dürr die Fraktion anführen. Er wurde am Dienstag mit 94 Prozent der Stimmen gewählt. Erneut bekleidet also ein Mann dieses Amt.
Aus Sicht von FDP-Politikerin Ria Schröder ist das kein Problem.
Gegenüber watson sagt Schröder: "Christian Dürr hat meine uneingeschränkte Unterstützung. Als Norddeutsche haben wir über die hamburgisch-niedersächsische Landesgrenze hinweg immer gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet."
Sie schätze Christian Dürr sehr. "Er wird unsere Fraktion mit liberalem Gestaltungs- und Fortschrittswillen im Parlament nach vorne bringen und ich freue mich sehr über seine Wahl mit einem hervorragenden Ergebnis."
Der neue Fraktionschef Christian Dürr sagt watson, es sei ein tolles Gefühl, dass die FDP-Fraktion ihm mit einem Ergebnis von 94 Prozent einen solchen Vertrauensvorschuss gegeben habe.
"In den vergangenen Jahren haben wir in der Fraktion eng als Team gearbeitet. Mir ist wichtig, dass wir diesen Teamgeist auch in unserer neuen Funktion als Regierungsfraktion aufrecht erhalten."
Die künftigen Aufgaben könne man nur bewältigen, wenn Fraktion und Bundesregierung Hand in Hand zusammenarbeiteten, etwa bei der Pandemiebekämpfung oder beim Klimaschutz.
"Teamplay in der Fraktion und mit unseren Koalitionspartnern ist daher das wichtigste für mich. Das möchte ich als Fraktionsvorsitzender fest verankern", sagt Dürr.
Dürr sitzt seit 2017 im Deutschen Bundestag, vorher war er Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag. Bisher war er im Bundestag der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und damit Lindners Vize. Er leitete den Arbeitskreis Haushalt und Finanzen, hat also Expertise in der Finanzpolitik gesammelt. Studiert hat er Ökonomie.
Dürr ist nicht der einzige FDP-Politiker mit neuem Posten innerhalb der Fraktion. Denn mit Marco Buschmann, der neue Justizminister, ist auch der Posten des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers frei geworden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer bereitet den Ablauf der Bundestagssitzungen vor und koordiniert die Gesetzesinitiativen der Ausschussarbeitsgruppen seiner Fraktion.
Buschmanns Nachfolger: Johannes Vogel. Der stellvertretende Parteivorsitzende wurde mit 93,3 Prozent der Stimmen gewählt.
Vogel ist wie viele seiner Partei ein FDP-Urgestein – obwohl er gerade einmal 39 Jahre alt ist. Seine Karriere begann er bei den Jungen Liberalen, deren Vorsitzender er von 2005 bis 2010 war.
Seit 2007 ist er Mitglied im FDP-Bundesvorstand und seit diesem Jahr der Vize-Vorsitzende. In seiner Fraktion kümmert er sich um die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Neben Vogel wurden drei weitere Abgeordnete zu Parlamentarischen Geschäftsführern gewählt: Thorsten Herbst, Stephan Thomae und mit der gesundheitspolitischen Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus auch eine Frau.
Zu den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden wurden Gyde Jensen, Lukas Köhler, Konstantin Kuhle, Alexander Graf Lambsdorff, Christoph Meyer und Carina Konrad gewählt. Insgesamt sind also drei Frauen im Fraktionsspitzenteam vertreten.
Die frauenpolitische Sprecherin der Partei, Nicole Bauer, sieht darin einen Schritt in Diversität getan.
Gegenüber watson erklärt sie: "Die Fraktionsführung versteht sich als Team und ich freue mich, dass dieses Team mit einem Frauenanteil von 40 Prozent künftig noch diverser als bisher aufgestellt sein wird. Wir haben tolle und kompetente Frauen und Männer in unseren Reihen und es ist gut, dass dies auch sichtbar wird."
Und auch die Jungen Liberalen (Julis) zeigen sich auf watson-Nachfrage erfreut und zuversichtlich, dass das neue Führungsteam die FDP-Fraktion in eine gute Richtung führen wird.
Wie die Vorsitzende Franziska Brandmann klarstellt, solle aus Sicht der Julis das Geschlecht keine Rolle bei der Verteilung von Posten spielen.
Sie sagt: „Im Vorfeld der Wahl von Christian Dürr als Fraktionsvorsitzender wurde seine Erfahrung mit dem Amt eines Fraktionsvorsitzenden und seine Verbundenheit zu den Jungen Liberalen hervorgehoben. Sein Geschlecht spielte dabei keine Rolle – und sollte keine Rolle spielen.“
Sowohl die Julis, als auch die Freien Demokraten sollten aus Sicht Brandmanns ein Ort sein, an dem sich sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen gerne engagierten.
Gegenüber watson sagt Brandmann: „Dazu gehört auch, zu hinterfragen, ob es eine ausreichende Zahl von Personen beider Geschlechter in hervorgehobener Position gibt, die dafür besonders sorgen könnten.“
Wichtig sei es aber, auch ein Auge auf Stellvertretenden zu werfen. Brandmann sagt: „Mit Gyde Jensen und Carina Konrad wurden auch zwei Frauen zu stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt, von denen man in Zukunft sicherlich noch mehr hören wird."
Auch die Ausschussvorsitze, die der FDP im Bundestag in Zukunft zustehen, sollten von drei Frauen geleitet werden, die sich allesamt nicht durch ihr Geschlecht, sondern durch ihre hervorragende Expertise hervorgetan hätten.
Nicht nur die FDP hat eine Fraktionsspitze, auch die Grünen haben sich neu aufgestellt.
Ihre Bundestagsfraktion wird künftig von einer weiblichen Doppelspitze geleitet: Von Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Sie sind die Nachfolgerinnen von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.
Die Innenexpertin und ehemalige Polizistin Irene Mihalic wird Erste Parlamentarische Geschäftsführerin.
Auf watson-Anfrage teilte Mihalic am Mittwoch mit: "Wir haben einen Koalitionsvertrag mit vielen guten inhaltlichen Punkten. Diese Punkte müssen jetzt im Parlament mit Leben gefüllt werden."
Das sei das Ziel der Grünen-Fraktion. "Dabei wollen wir mit allen demokratischen Fraktionen eine diskursoffene politische Debattenkultur im Parlament entwickeln."
Zu dem Konflikt um die Besetzung von Ministerposten meint Mihalic: "An den sehr eindeutigen Ergebnissen der Fraktionsvorstandswahlen lässt sich ja schon absehen, dass der Teamgedanke bei uns eine sehr wichtige Rolle spielt."
Das erlebe sie auch genauso in den Gesprächen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. "Uns trägt bei aller auch gewollten Unterschiedlichkeit an Persönlichkeiten und Kompetenzen eine große Übereinstimmung bei zentralen Zielen für die Politik der nächsten Jahre."
So harmonisch das klingt, im Vorfeld der Regierungsbildung gab es bei den Grünen einen erbitterten Streit um Posten.
Bei der Vergabe der Ministerposten fühlten sich einige linke Grüne übergangen. Am Ende sind nun drei von fünf vorgeschlagenen Grünen-Minister Realos, zwei sind Linke.
So ist der ehemalige Fraktionschef Anton Hofreiter komplett leer ausgegangen. Er galt als gesetzt, musste dann aber seinem Realo-Kollegen Cem Özdemir weichen, der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft wird.
Auch die bisherige Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bekam kein Amt. Sie hatte Aussichten auf das Amt der Familienministerin gehandelt worden. Den Posten übernahm nun mit Anne Spiegel eine Parteilinke.
Die Grünen-Fraktion wird nun mit Katharina Dröge und Britta Haßelmann von einer weiblichen Doppelspitze geführt.
Katharina Dröge, die am Dienstag mit einer Zustimmung von 93 Prozent gewählt wurde, gehört dem linken Flügel der Grünen an. Die 37-Jährige war bereits vorher als Parlamentarische Geschäftsführerin Teil des Fraktionsvorstandes.
Während der Koalitionsverhandlungen hat die studierte Volkswirtin die Gespräche in der AG Arbeit für ihre Partei geleitet.
Nun steht sie gemeinsam mit Britta Haßelmann vor der Aufgabe, die auf 118 Mitglieder gewachsene Grünen-Fraktion zu führen und möglichst viele Inhalte des Koalitionsvertrages umzusetzen.
"Wir drei treten an für die Leitung einer starken und einer selbstbewussten Fraktion", sagte Dröge der dpa nach ihrer Wahl. Es sei wichtig, sich mit der Regierung vertrauensvoll auszutauschen und diese zu unterstützen.
"Unsere Ministerinnen und Minister können damit rechnen, dass Frau Haßelmann und ich mit Vorschlägen, Anregungen, aber manchmal auch mit Grenzen auf sie zugehen werden."
Wenn die Inhalte des Koalitionsvertrags umgesetzt würden, "dann leben wir in vier Jahren in einem besseren Land", ergänzt sie.
Es brauche eine starke Grünen-Fraktion, um innerhalb der 2020er-Jahre in Sachen Klimaschutz "auf den 1,5-Grad-Pfad" zu kommen, sagte sie am Dienstag in einer Stellungnahme. Der Koalitionsvertrag stelle wichtige Weichen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.
Britta Haßelmann aus dem Realo-Flügel war bisher Erste Parlamentarische Geschäftsführerin. Sie wurde am Dienstag mit einer Zustimmung von 98 Prozent gewählt.
Das gute Ergebnis gebe ihr Rückenwind für die nächsten Monate und Jahre als Teil der Ampel-Koalition, sagte sie nach ihrer Wahl in einem Statement.
Die neue Fraktionsspitze werde "Akzente setzen, Anregungen geben und die Debatte über gute und wichtige Veränderungen" führen.