Protest der Linken in Hamburg vor dem russischen Konsulat.Bild: dpa / Jonas Walzberg
Analyse
Weil sie zunehmend in der politischen Bedeutungslosigkeit versinkt, wollen einige prominente Linke-Mitglieder eine grundlegende Erneuerung der Partei durchsetzen.
Raul Zelik, Politikwissenschaftler und Mitglied des Parteivorstandes, hat zusammen mit Bundesschatzmeister Harald Wolf ein Thesenpapier verfasst, in dem es vor allem um "einen neuen linken Grundkonsens" geht.
Damit ist zwei Monate vor dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt eine neue Grundsatz-Debatte eröffnet. Diese wird ergänzt durch einen aktuellen Beitrag von Julia Schramm, in dem die Linken-Aktivistin eine neue außenpolitische Ausrichtung fordert. Zudem steht die Linke aktuell vor der Herausforderung eines größer werdenden #metoo-Skandals.
Die Logik des Kalten Krieges
Mit der Invasion Russlands in die Ukraine ist die Linke in eine tiefe ideologische Krise gestürzt. Dabei geht es um entscheidende politische Grundsätze: Ein großer Teil der Partei hegt starke Sympathien für Russland.
Das Land ist für sie gewissermaßen ein Gegengewicht zur westlichen Welt und der Nato. Diese wiederum gelten diesem Teil der Linken als imperialistischer Aggressor.
Es ist ein Denken, das tief in der Logik des Kalten Krieges verhaftet ist. Aber es gibt auch einen starken Reformer-Flügel, welcher mit diesen alten Überzeugungen brechen und der Linken ein Update verpassen will.
Das System Putin
Die Streitschrift von Raul Zelik und Harald Wolf trägt den Titel "Wir brauchen einen neuen linken Grundkonsens. Acht Vorschläge zur inhaltlichen Verständigung in der LINKEN". Darin heißt es unter anderem:
"Am sichtbarsten sind unsere Defizite in der Außenpolitik. Dabei geht der Vorwurf, in der LINKEN sammelten sich 'Putin-Versteher', an der Sache vorbei. Die Wahrheit ist, dass unsere Partei das 'System Putin' eben nicht verstanden hat. Gegenüber den postsowjetischen Ländern und China hat die LINKE auf jene politisch-ökonomische Gesellschaftsanalyse verzichtet, die bei uns ansonsten unwidersprochen als Voraussetzung jeder Politik gilt. Genau dieses Fehlen einer Analyse hat zu einer dramatischen Fehleinschätzung der internationalen Lage geführt."
Die Linke müsse sich von Erklärungsmustern verabschieden, "die den russischen Militarismus in erster Linie aus der Politik von USA und NATO ableiten und damit indirekt legitimieren", schreiben die Verfasser weiter.
Damit dürften sie Äußerungen wie die ihrer Parteifreundin Sevim Dağdelen meinen. Diese hatte noch wenige Tage vor der Einmarsch Russlands in die Ukraine auf Protestkundgebungen eine gegen Russland gerichtete Expansionspolitik des westlichen Verteidigungsbündnisses angeprangert und Warnungen vor einer russischen Invasion als Propagandalüge bezeichnet.
Später musste sie unter dem Eindruck des Kriegsbeginns zurückrudern.
Sevim Dağdelen auf einer Kundgebung in Berlin.Bild: dpa / Annette Riedl
Auch die Parteiprominente Sahra Wagenknecht hatte sich bis zuletzt deutlich auf die Seite Russlands gestellt. Da platzte dem außenpolitischen Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion Gregor Gysi, seinerseits ehemaliger Funktionär der DDR-Staatspartei SED, der Kragen.
Die Linken-Politiker Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
In einem undiplomatischen Brief an die Fraktion von Anfang März zeigt er sich entsetzt über die "völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid".
In dem Brief schreibt er:
"Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch."
Das "Dilemma des Pazifismus"
Raul Zelik und Harald Wolf fordern ihre Genossinnen und Genossen in ihrem aktuellen Beitrag auf:
"Wir sollten ernst nehmen, was uns antiautoritäre Linke aus postsowjetischen Gesellschaften schon lange sagen: Nach dem Ende der UdSSR hat sich in Russland ein kleptokratisches Regime etabliert, das einen aggressiven Nationalismus und offene Gewaltausübung nach innen und außen miteinander verbindet."
Julia Schramm, Mitglied im Bundesvorstand der Partei, drängt schon länger auf eine inhaltliche Erneuerung. In ihrer aktuellen Analyse schreibt sie von einem "Dilemma des Pazifismus" innerhalb der Linken:
"Wie eine Welt ohne Waffen schaffen, in der Waffen existieren und mehr werden? Wie diejenigen stoppen, die Waffen einsetzen? Die Linke schafft es regelmäßig nicht souverän, mit diesen Fragen umzugehen."
Julia Schramm ist Mitglied im Bundesvorstand der Linken.Bild: imago images
Das liege auch daran, dass jeder Gedanke der strategischen Kommunikation sofort als "Verrat an den Grundsätzen gebrandmarkt" werde. "Die Welt ist komplex."
Ähnlich wie Zelik und Wolf sieht sie eine Entwicklung in Russland hin zu einem "autoritären Polizeistaat, der auf dem Weg in ein faschistisches Regime ist", das sei aus linker Sicht völlig offensichtlich.
Schramm schreibt:
"Seit fast zwei Jahrzehnten rüstet Russland auf, die Militarisierung durchzieht die ganze Gesellschaft, die Opposition wurde systematisch ausgeschaltet, Gegner:innen des Kremls und kritische Journalist:innen wurden teilweise für alle sichtbar ermordet, Gewalt an Frauen und Queers wurde normalisiert. Gerade die sowjetischen Errungenschaften der Emanzipation wurden rückgängig gemacht."
Eine Gesellschaft mit einem Autokraten an der Spitze, die aufrüste, Freiheitsrechte einschränke und deren soziale Spaltung auf einem Hochstand sei, steuere fast zwangsläufig in Kriege, schreibt Schramm.
"Dass DIE LINKE das nicht so klar benannt hat, ist Ausdruck dessen, dass sie ihre eigenen Grundsätze und Überzeugungen nicht konsequent auf Russland angewandt hat."
Auf dem Bundesparteitag in Erfurt im Juni dürften die beiden aktuellen Streitschriften für Zündstoff sorgen.
Vor allem in der Außenpolitik verlaufen tiefe Gräben innerhalb der Partei, der Umgang miteinander ist im Vergleich mit allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien teils kompromisslos und unversöhnlich, manchmal offen feindlich.
Debatten mit Sprengkraft
Um innerparteilichen Gegnern zu schaden, werden geheime Informationen aus internen Sitzungen an die Presse weitergegeben, Zitate durchgestochen, verdeckte Kampagnen zur Beschädigung von Genossinnen gefahren.
Das hat viel damit zu tun, dass die Linke im Grunde keine einheitliche Partei, sondern ein Sammelbecken verschiedenster linker Strömungen ist, welche einander teils spinne Feind sind. Auf den Parteitagen kommt es traditionell zu hochemotionalen Schlagabtauschen.
Besonders hoch her ging es zuletzt auf dem Parteitag in Leipzig 2018. Kurz zuvor hatte Sahra Wagenknecht bei einer Veranstaltung gesagt, die Forderung nach "offenen Grenzen" sei "weltfremd".
Damit torpedierte die Fraktionsvorsitzende öffentlich eine Grundposition der eigenen Partei, die sie qua Amt eigentlich nach außen vertreten sollte. Es kam zu Rücktrittsforderungen, die Bundestagsfraktion drohte auseinanderzubrechen.
Die aktuelle Debatte um Russland besitzt eine ähnliche Sprengkraft. Angesichts schwacher Umfragewerte und desaströser Wahlergebnisse ist der Ton mittlerweile aber konstruktiver geworden, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
#linkemetoo kommt zusätzlich ins Spiel
In den vergangenen Tagen wurde noch ein weiteres Thema publik, dass der Linken zu schaffen machen dürfte: In der hessischen Linkspartei soll es jahrelang zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" über Fälle von sexualisierter Gewalt erklärte der geschäftsführende Landesvorstand am Freitag in Wiesbaden: "Wir nehmen die aufgeworfenen Anschuldigungen sehr ernst."
Die Partei habe Ende November 2021 Kenntnis davon bekommen und seitdem begonnen, "diese auf allen Ebenen aufzuarbeiten". Die Bundesvorsitzende Janine Wissler wandte sich entschieden dagegen, dass "mir unterstellt wird, ich hätte irgendjemanden geschützt".
Am Samstag sagte Sarah Dubiel, Bundessprecherin der Linksjugend, es hätten sich seit Freitag 17 weitere mutmaßlich Betroffene bei ihr gemeldet. Diese Vorwürfe beträfen auch Bundespolitiker. Bei Twitter werden die Vorwürfe unter dem Hashtag "#linkemetoo" diskutiert.
Spätestens auf dem Parteitag in Erfurt wird sich zeigen, wie die Partei auf diese Vorwürfe eingeht – und ob die Gemeinsamkeiten der Linken immer noch größer sind als ihre Differenzen.