Deutschland hat gewählt, und klar ist: Die SPD bekam bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel kann aber trotzdem noch nicht in Rente gehen, denn noch ist nicht klar, wer ihr nachfolgt. In Deutschland wählt der Bundestag den Kanzler. Wer das Amt will, braucht die Stimmen der Mehrheit aller Abgeordneten. Um die zu bekommen, müssen jetzt mehrere Parteien eine Koalition bilden, denn keine Partei hat alleine genug. Für ein Zweierbündnis aus SPD und Grünen, von dem im Vorfeld beide Parteien angetan schienen, reicht es nicht.
Das bedeutet: Wenn eine weitere große Koalition vermieden werden soll, müssen FDP und Grüne als dritt- und viertstärkste Kraft im neuen Bundestag Teil des neuen Regierungsbündnisses sein. Beide Parteien waren, das fiel nach dem Wahlabend auf, bei den jungen Wählern unter dreißig besonders beliebt.
Diese und weitere Erkenntnisse haben die vier großen Meinungsforschungsinstitute infratest dimap, Forschungsgruppe Wahlen, Institut Allensbach und Forsa aus den Daten der Bundestagswahl gewonnen. Führende Forscherinnen und Forscher der Institute haben in der Bundespressekonferenz nach der Wahl vorgestellt, was sie aus der Wahl gelernt haben: Matthias Jung (Forschungsgruppe Wahlen), Renate Köcher (Allensbach), Peter Matuschek (forsa), Nico A. Siegel (infratest dimap).
watson hat nachgefragt, was sich über das Wahlverhalten junger Menschen sagen lässt. Das sind die vier wichtigsten Erkenntnisse.
Aus Sicht von Peter Matuscheck, Chef von Forsa, ist bei jüngsten Menschen am auffälligsten, wie stark ihre politische Ausrichtung von der anderer Altersgruppen abweicht. Die meisten der unter 30-Jährigen haben ihre Stimme der FDP oder den Grünen gegeben. Matuscheck meinte dazu: "Es sah eine Weile so aus, als würden die Grünen mit ihrer Gründerschaft altern, aber jetzt gibt es jungen Nachschub."
Gleichzeitig zeige sich an dieser Wahlentscheidung, dass die Volksparteien bei den Jüngeren nicht allzu hoch im Kurs stünden. Matuscheck meint hierzu, mit Blick auf die Zukunft der Parteienlandschaft:
Jugendforscher Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School of Governance, wundert es derweil nicht, dass die FDP so viele junge Menschen für sich gewinnen konnte.
Im Gespräch mit watson erklärt er: "Meiner Einschätzung nach hat es die FDP geschafft, ihren Markenkern Freiheit und Selbstbestimmung für das Individuum in den Vordergrund zu rücken." Das sei gerade nach der Coronapandemie für junge Menschen von enormer Bedeutung. Hurrelmann erklärt das so: "Sie haben sich eingesperrt gefühlt haben und sich nach Selbstbestimmung und der Wiedergewinnung von Selbstkontrolle gesehnt."
Dadurch, dass die FDP diesen Wunsch bedient habe, habe sie die AfD abgelöst, die bei jungen Menschen bei früheren Wahlen an zweiter Stelle hinter den Grünen gelegen hatte.
Die Tatsache, dass die FDP für wirtschaftlichen Wohlstand stehe und dabei digitale Prozesse betone, sei gerade bei gut gebildeten jungen Wählenden gut angekommen. "Vor allem bei den jungen Männern, zumal die gesamte Kampagne der FDP voll auf männliches Leistungsstreben zugeschnitten war", sagt Hurrelmann.
Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, stellt bei jungen Wählern vor allem einen Zusammenhang zwischen Bildung und Wahlentscheidung fest.
"Bei den unter 30-Jährigen mit einem hohen Bildungsniveau ist die Zustimmung zu den Grünen außerordentlich höher als bei den unter 30-Jährigen mit einem geringeren Bildungsniveau", sagt sie.
Ihr Kollege Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sieht das Geschlecht als einen der entscheidenden Faktoren. Auf die Nachfrage einer Journalistin, ob – wie 2017 – besonders viele Frauen die Union gewählt hätten, antwortet er, dass die Union bei Frauen in allen Altersgruppen verloren habe. Er sagt aber auch: Es greife zu kurz, nur auf das Geschlecht zu achten: Junge Frauen wählten nämlich schon immer seltener die Union.
Nico Siegel von infratest dimap hebt hervor, dass im Vorfeld der Wahl eine besondere Lust auf Veränderung bei jungen Menschen aufgefallen sei – vor allem bei Klimaschutz und Rente.
So sei jungen Menschen vorrangig die Klima- und Umweltthematik wichtig. Hier zeige sich, dass sich viele von ihnen wünschten, dass sich die Parteien endlich bewegen. Siegel meint aber, Klima sei bei weitem nicht das einzige Thema, dass jungen Menschen wichtig ist.
Reformwille gebe es nämlich auch in einem zweiten Themengebiet, das vielen jungen Menschen Angst macht: der Altersvorsorge und der Zukunft des Rentensystems. "Das ist kein Thema, das nur alte Menschen betrifft", sagt Siegel.
Im Osten sei die Altersgruppe der unter 30-Jährigen zwar weniger grün als im Westen – aber auch dort habe die Partei bei jungen Menschen deutlich an Zustimmung zulegen können, erklärt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Er hält es für möglich, dass das Wachstum der Grünen in den ostdeutschen Bundesländern nur etwas später als in den westlichen stattfinde.
Klar sei aber auch, dass die Bindung an Parteien in diesen Ländern weniger stark ausgeprägt sei als in den West-Ländern. Daraus folgt: Zuwächse und Abstürze fallen im Osten in der Regel heftiger und schneller aus als im Westen.