Sein kleiner Körper ist in eine rote Decke gehüllt. Mit einem Arm verdeckt er halb sein Gesicht. Der vierjährige Jack liegt auf dem Boden eines Krankenhauses im englischen Leeds. Weil nicht genügend Betten frei sind, liegt er hier. Der Junge leidet vermutlich an einer Lungenentzündung.
Die britische Zeitung "Mirror" druckte ein Foto des Jungen am Montag auf seiner Titelseite ab. Seitdem kennt wohl ganz Großbritannien die Geschichte von Jack.
Es ist die ganz heiße Phase im Wahlkampf, am Donnerstag wählen die Briten ein neues Parlament. Und das Foto des kleinen Jacks und die Aussagen darüber erzählen gleich drei Geschichten über diesen Wahlkampf.
Zur Erinnerung: Großbritannien wählt vorzeitig ein neues Parlament, weil Premierminister Boris Johnson keine Mehrheit im Unterhaus für seinen Brexit-Deal mit der EU bekommen hat. Natürlich ist der Brexit ein Thema im Wahlkampf – aber er ist lange nicht das einzige.
Auch der National Health Service (NHS), der nationale Gesundheitsdienst in Großbritannien, ist ein Topthema. Denn der Zustand des Dienstes, der hauptsächlich aus Steuergeldern finanziert wird und Arztpraxen und Krankenhäuser betreibt, ist erbärmlich.
Es fehlt an Personal – und an Plätzen in Krankenhäusern. Nach einer am Dienstag in Teilen vom "Guardian" veröffentlichten Studie sollen seit 2016 insgesamt 5449 Menschen in England gestorben sein, nur weil sie zu lange in Notfallaufnahmen warten mussten.
Und so kam es auch, dass der vierjährige Jack stundenlang auf dem Fußboden eines britischen Krankenhauses ausharren musste. Der "Mirror" berichtete am Dienstag dann noch von einem ähnlichen Fall eines Babys, das an Durchfall und einer Ohrenentzündung litt, in einem anderen Krankenhaus.
Alle Parteien versprechen, mehr Geld in den NHS zu stecken. Gerade für die Labour-Partei ist Gesundheitsvorsorge ein zentrales Wahlkampfthema. Es war die Regierung des Konservativen David Cameron, die einen rigorosen Sparkurs beim NHS fuhr.
Der Labour-Chef, Jeremy Corbyn, sagte am Dienstag im BBC-Interview, dass der am Boden schlafende Junge kein Einzelfall sei. Auch viele Senioren müssten unter den Zuständen im Gesundheitsbereich leiden.
Labour und Parteichef Corbyn haben im Wahlkampf wieder einmal mit Antisemitismus-Vorwürfen zu kämpfen. Labour hofft, mit dem Thema NHS doch noch bei den Wählern zu punkten. In den Umfragen aber liegt die Partei abgeschlagen hinter den Konservativen von Boris Johnson. Der Premier steuert nach den derzeitigen Prognosen auf eine komfortable Mehrheit im Unterhaus zu.
Dennoch: Boris Johnson hat in diesem Wahlkampf keine gute Figur abgegeben. Wieder einmal. Seine Gegner kritisierten die Reaktion des Premiers auf das Foto von Jack als herzlos.
Skurril wurde es dann am Montagabend. Ein Reporter des Fernsehsenders ITV konfrontierte Johnson mit dem Bild des Jungen. Der Premier ging im Interview zunächst gar nicht darauf ein, er redete einfach weiter und spulte seine Wahlkampf-Parolen ab.
Der Reporter hatte das Bild auf seinem Handy und wollte es Johnson zeigen. Der Premier aber kassierte das Smartphone einfach ein und steckte es in seine Manteltasche.
Erst als der Reporter ihn darauf ansprach, holte Johnson das Handy wieder hervor, schaute das Foto an und sagte, es sei ein "schreckliches, schreckliches Bild".
Die Zeit vor dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 war geprägt von Lügen und Falschinformationen. Und auch dieser Wahlkampf drei Jahre später ist durchsetzt davon.
Am Montag verkündete ein Account auf Facebook – angeblich der Account einer Krankenschwester aus Leeds – das Foto von Jack sei für politische Zwecke gestellt worden. Der "Mirror" hatte berichtet, die Mutter des Jungen wolle nun zum ersten Mal in ihrem Leben Labour wählen.
Aber: Das Foto ist kein Fake. Das Krankenhaus in Leeds bestätigte dem britischen "Guardian", dass für Jack kein Bett frei gewesen sei und entschuldigte sich für die Situation.
Der "Guardian" machte zudem die Inhaberin des Facebook-Accounts ausfindig, der die Falschinformation streute. Sie sei gehackt worden, sagte die Frau. Der "Guardian" veröffentlichte den Namen der Frau nicht, weil sie laut eigenen Angaben Morddrohungen bekommen habe.
Die Falschinformation verbreitete sich dennoch massiv – unter anderem dank der Hilfe von Allison Pearson, Kolumnistin für den konservativen "Telegraph".
Nicht der einzige Fall von Falschinformation in dieser Woche. Am Montagabend schwirrte das Gerücht durch Twitter, ein Mitarbeiter von Gesundheitsminister Matt Hancock sei von einem Labour-Aktivisten geschlagen worden.
Berater von Hancock sagten Journalisten, der Labour-Aktivist habe den Mitarbeiter "ins Gesicht geschlagen". Die Journalisten verbreiteten die Nachricht. Doch ein Video zeigte dann: Das war eine Lüge.
Labour-Schattenkanzler John McDonnell warf den Tories daraufhin vor, sie wollten die Medien manipulieren, um von dem Foto des vierjährigen Jungen abzulenken.
Der Wahlkampf in Großbritannien war in den vergangenen Wochen eher zäh gewesen. In der letzten Woche aber wird er nun richtig angespannt.