Immer wieder muss sich Olaf Scholz (SPD) dem Vorwurf des Zauderns stellen.Bild: dpa / Marijan Murat
Analyse
31.01.2023, 18:3801.02.2023, 11:58
Die Lieferungen von Waffen an die Ukraine laufen schleppend – zumindest ist das das Bild, das in der breiten Öffentlichkeit ankommt. Wochenlang wurde über die Lieferung der Leopard-2-Panzer debattiert. Der Kanzler unterdessen hat auf die westlichen Partner verwiesen, auf die USA, die doch bitte auch Panzer rüberschicken sollen. Letztlich hat Olaf Scholz (SPD) zugestimmt. Genauso hat sich US-Präsident Joe Biden bereiterklärt, die gewünschten "Abrams"-Kampfpanzer zu liefern.
Die Entscheidung ist gefallen: Deutschland wird Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern.Bild: dpa / Philipp Schulze
Ein diplomatischer Erfolg, so verkauft es die SPD. Und auch die Ampelpartnerinnen, so macht es den Anschein, sind befriedet. Chef-Kritikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) nannte die Entscheidung eine "erlösende Nachricht für das ukrainische Volk". Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprach von einer richtigen Entscheidung – aber auch vom "Bild des Getriebenen, der viel zu lange zögert."
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Ein Zögern, das aus Sicht von Militärexperten angebracht ist. Gegenüber watson erklärte Stefan Kroll von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, es sei wichtig, dass der Westen behutsam und gemeinsam vorgehe. Eine Einschätzung, die Ralph Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft, teilt.
Und jetzt, wo die Leoparden-Debatte abgeschlossen ist, wird die nächste Diskussion losgetreten. Die Ukraine fordert Kampfjets. Der Kanzler lehnt die Lieferung ab. Genauso wie der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Bei einer Pressekonferenz während seiner Südamerikareise kritisierte Scholz die Kampfjet-Debatte.
Kommunikationsexperte: Scholz trifft Stimmung der Bevölkerung
Insgesamt, meint Autor und Kommunikationsexperte Johannes Hillje, kommt das Leitprinzip des Kanzlers "Abstimmung statt Alleingang" bei der Bevölkerung gut an. "Die einseitige Verkündung roter Linien ist mit diesem Prinzip aber nicht logisch vereinbar", stellt Hillje klar.
Aus Sicht von Johannes Hillje muss Scholz an seiner Ansprache arbeiten.Bild: imago/Metodi Popow
Denn mit dem kategorischen Ausschluss folge Scholz nicht mehr dem Prinzip der internationalen Abstimmung – da westliche Partner den Lieferungen sehr wohl zustimmen. Laut Medienberichten schließen weder die Niederlande, noch Frankreich oder Polen die Lieferung der Kampfjets aus.
Der Kanzler habe die Bedenken der Bevölkerung bezüglich Waffenlieferungen im Blick, meint der Experte. Allerdings leitet Scholz wohl die falschen Schlüsse ab. Denn Bedenken und Ängste erforderten nicht weniger, sondern mehr Debatte. Hillje sagt:
"Vertrauen, das Scholz einfordert, entsteht durch Verständigung. Wenn die Zeitenwende auch eine mentale Wende der Gesellschaft in der Sicherheitspolitik sein soll, dann sollten den Kanzler öffentliche Debatten darüber nicht nerven. Eine Zeitenwende verursacht Redebedarf."
Der Führungsstil von Olaf Scholz bestehe zu wenig aus kommunikativer Sinn- und Orientierungsstiftung, meint der Experte. Es sei klar, dass der Kanzler keine Details aus Verhandlungen ausplaudern könne. Was er aber tun könne, sei die eigenen Abwägungen und Zielsetzungen besser zu erläutern.
Nach den Kampfpanzern werden nun Kampfjets gefordert.Bild: Planet Pix via ZUMA Press Wire / Ssgt Danielle Sukhlall/U.S Air
Am Ende kommuniziere Scholz seine Entscheidungen als Produkt, nicht aber den Prozess dort hin. "Der Kanzler sollte wissen: Die Zeitenwende und deren Folgen erklären sich für viele Menschen nicht von selbst", fasst Hillje zusammen.
Kein Ende der Debatte: Kritik an roten Linien
Scholz ist nicht der einzige westliche Staatschef, der die Lieferung von Kampfjets ausgeschlossen hat. Auch die USA wollen keine Flugzeuge liefern. Kritik an diesen roten Linien kommt nicht nur von der Ukraine, sondern auch von westlichen Verbündeten.
So plädiert zum Beispiel Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda dafür, dass sich der Westen alle Optionen offen halten solle. "Diese roten Linien müssen überschritten werden", sagte Nauseda am Montagabend mit Blick auf Vorbehalte zu den geforderten Kampfflugzeugen und Raketen mit größerer Reichweite.
Diese Waffensysteme seien eine "unverzichtbare militärische Hilfe". "In dieser entscheidenden Phase des Krieges, in der der Wendepunkt bevorsteht, ist es wichtig, dass wir unverzüglich handeln", sagte der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes in einem Interview im litauischen Fernsehen.
Nauseda verwies darauf, dass seit dem russischen Angriff auf die Ukraine bereits einige rote Linien überschritten worden seien. "Nach Kriegsausbruch erklärte Deutschland zunächst kategorisch, dass es nur Westen, Helme und dergleichen schicken würde, keinesfalls aber Waffen", sagte er mit Blick auf die deutsche Militärhilfe und fügte hinzu: "Ich spreche nicht nur von Panzern. Der EU-Kandidatenstatus der Ukraine war auch einst ein Tabu."
Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev fordert die Lieferung von Kampfjets.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, pochte nach der Kampfpanzer-Zusage auf die Lieferung auch von Kampfflugzeugen an sein Land. "Wir haben Deutschland noch keine Anfrage wegen Kampfjets gestellt", sagte Makeiev der Deutschen Welle. Doch sie seien wichtig, weil man sie dafür benötige, um russische Raketen abzuschießen. "Russland feuert viele Raketen auf ukrainische Städte und Infrastruktur ab" – die Kampfjets seien Teil der ukrainischen Bemühungen, den Luftraum zu verteidigen.
Die Leoparden-Debatte hat gezeigt, wie lange sich Diskussionen ziehen können – ehe sie doch zu einem Ergebnis kommen. Im Zuge dieses Streites hat sich ein neues Verb entwickelt: "scholzing". Der britische Historiker Timothy Garton brachte den Begriff nach der Rede des Kanzlers auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in den sozialen Medien in Umlauf.
Ob das kategorische Nein von Olaf Scholz also Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Es hat aber den Anschein, als müsse der Kanzler nicht nur gegenüber der eigenen Bevölkerung, sondern auch international einen neuen Ton anschlagen.
(Mit Material von dpa)
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