"Zurückhaltend, geduldig, selbstbeherrscht, nachsichtig und tolerant": Das sind die Eigenschaften, die ein Präsident der USA nach Analyse der beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt haben sollte. Und dabei geht es ihnen zufolge nicht nur um bloße Etikette – sondern vielmehr um den Fortbestand der Demokratie.
Die beiden Harvard-Forscher und Politikwissenschaftler haben untersucht, wie in Europa und Südamerika aus funktionierenden Demokratien in Ländern wie Ungarn, Chile oder der Türkei autoritäre Regime und Diktaturen wurden. Lange hatten sie dabei in andere Länder blicken müssen. Nun, schreiben die beiden, sehen sie die Gefahr auch in den USA.
In ihrem Buch "Wie Demokratien sterben" beschreiben die beiden, für das Überleben einer Demokratie ist es nicht ausreichend, dass sich alle an die Verfassung halten. Vielmehr ist es wichtig, dass der Umgang zwischen den Institutionen und mit politischen Gegnern respektvoll ist.
Eigenschaften, die nicht gerade auf den US-Präsidenten Donald Trump zutreffen. Seine Ankündigung, die bevorstehende Präsidentschaftswahl verschieben zu wollen, weil er bei der Abstimmung per Briefwahl Manipulationen befürchtet, ist nur ein Beweis von vielen, dass er nicht verstanden hat, wie eine Demokratie funktioniert.
Ein wichtiger Teil der gegenseitigen Kontrolle verschiedener Gewalten ist die Unabhängigkeit der Gerichte. Bisher hat Trump es zwar weitestgehend vermieden, die Entscheidungen des obersten Gerichts der USA offen anzuzweifeln. Aber in seinen Tweets untergräbt er gerne die Autorität des Supreme Court und stellt dessen Unabhängigkeit infrage.
So zum Beispiel, als der Supreme Court 2018 Trumps geplantes verschärftes Asylgesetz per einstweiliger Verfügung gestoppt hatte. Trump hatte daraufhin den zuständigen Richter, Jon Tigar, angegriffen und ihm Parteilichkeit vorgeworfen. Der vorsitzende Richter John Roberts verteidigte anschließend sein Gericht und erklärte: "Wir haben keine Obama-Richter oder Trump-Richter, Bush-Richter oder Clinton-Richter."
Doch von der nötigen Zurückhaltung fehlte bei Trump auch danach jede Spur. Statt die Entscheidung des obersten Gerichts der USA anzuerkennen und damit Respekt vor den Institutionen zu zeigen, ging er wieder zum Gegenangriff über und unterstellte den Richtern, keine unabhängigen Entscheidungen zu treffen:
Damit zeigt Trump nicht nur charakterliche Schwäche, sondern gefährdet auch das Vertrauen in eines der wichtigsten Prinzipien der Demokratie: die Unabhängigkeit der Justiz.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Analyse von Levitsky und Ziblatt ist, dass Politiker Respekt vor dem politischen Gegner haben: "Deine Gegner in einer Frage könnten deine Freunde in der nächsten sein", so das Motto in einer gesunden demokratischen Kultur. Es sei keine Frage der Freundschaft, sondern es gehe um den Grundsatz: "Wenn du dich nicht wie ein Arschloch verhältst, tue ich es auch nicht", wie ein Senator den beiden Autoren zufolge erklärt hat.
Trump hingegen lässt solchen Respekt stark missen. Er geht seine politischen Gegner persönlich an und macht sich über sie lustig. Scheinbar nichts ist ihm heilig. Seinem aktuellen demokratischen Gegenkandidaten Joe Biden unterstellt er aufgrund seines Alters – er ist gerade einmal drei Jahre älter als Donald Trump – nicht in der Lage zu sein, das Präsidentenamt zu führen.
Hillary Clinton wollte er wegsperren lassen und machte sich über ihren Toilettengang lustig. In vorherigen Präsidentschaftswahlkämpfen undenkbar, den Gegenkandidaten auf so persönliche Art zu diffamieren.
Als nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis Demonstrationen stattfanden, die in gewalttätige Ausschreitungen übergingen, warf Trump dem dortigen Bürgermeister Unfähigkeit vor. Außerdem unterstellt er ihm eine linksradikale Gesinnung, um ihn weiter zu diskreditieren.
Trump verstärkt damit ein Klima, in dem es normal ist, seinen politischen Gegner mit allen Mitteln zu bekämpfen und keinerlei Grenzen zu setzen. Wozu das führen kann, zeigte jüngst Ted Yoho, einer von Trumps Parteikollegen im Kongress, als er die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als "verdammte Schlampe" bezeichnet hatte.
Doch die bis dato wahrscheinlich schwerwiegendste Entscheidung war es, die rechtmäßige Durchführung der Briefwahl im kommenden Herbst anzuzweifeln. Zwar hat Trump inzwischen zurückgenommen, die Wahl verschieben zu wollen. Er kann es auch rein formal gar nicht. Der Eindruck bleibt aber, dass Trump es sich offen hält, die Wahl nicht anzuerkennen. Ein absoluter Tabubruch.
Als im Jahr 2000 George W. Bush die Wahl gegen den Demokraten Al Gore gewann, hatte Gore über 500.000 Stimmen mehr als der Republikaner Bush. Doch das komplizierte Wahlmännersystem begünstigte Bush. Hinzu kamen einige bis heute ungeklärte Umstände um das Ergebnis der Auszählung in Florida. Also genug Angriffsfläche, um das Ergebnis anzufechten. Doch Gore verzichtete und gab sich schließlich der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes geschlagen, der die Wahl als rechtmäßig anerkannte.
Ob Trump im Zweifelsfall dieselbe Größe und den Respekt vor den Institutionen besitzt, ist fraglich.