Die SPD hat bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz gut abgeschnitten. Aber ist die Partei stark genug, um mit Olaf Scholz den nächsten Kanzler zu stellen?Bild: Getty Images Europe / Michele Tantussi
Analyse
16.03.2021, 18:5617.03.2021, 08:43
Die Landtagswahlen am vergangenen Sonntag waren erst der Anfang. In vier weiteren Bundesländern werden in diesem Jahr die Landesparlamente noch neu gewählt, im Herbst steht die Bundestagswahl an.
Sieben Wahlen auf Länder- und Bundesebene in einem Jahr gab es in Deutschland zuletzt 2011 – also vor zehn Jahren. Und noch eine Besonderheit zeichnet das Wahljahr aus – Angela Merkel will zukünftig nicht mehr regieren. Das heißt: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik tritt kein Amtsinhaber im Rennen um das Kanzleramt an.
Politisch könnte dieses Jahr also viele Veränderungen mit sich bringen. Umso aufmerksamer wurden am Sonntag die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verfolgt. Denn auch wenn Landtagswahlen natürlich nicht mit der Bundestagswahl gleichzusetzen sind, können sie dennoch den politischen Ton für den Wahlkampf in den nächsten Monaten setzen. Und sie geben zumindest eine regionale Momentaufnahme davon, wie die Parteien für die noch anstehenden Wahlen aufgestellt sind.
Was können wir also aus dem Wochenende für den Rest des Wahljahres lernen?
Kanzler(in) mit Charisma
Der Erfolg der beiden siegreichen Parteien am Wochenende wird maßgeblich den Amtsinhabern in den beiden Bundesländern zugeschrieben. Die Ministerpräsidenten Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz und Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg sind beide sehr beliebt in den von ihnen geführten Ländern. Dieser Amtsinhaber-Bonus zeigte sich auch im Ergebnis: Die Grünen wurden in Baden-Württemberg stärkste Kraft, die SPD in Rheinland-Pfalz.
Warb im Wahlkampf mit seinem Amtsbonus: Winfried Kretschmann.Bild: ap / Michael Probst
Landtagswahlen sind traditionell häufig personenzentrierter als die Bundestagswahl. Aber die Wahlen am Wochenende haben erneut gezeigt: Gerade, weil Angela Merkel nun den Posten der Kanzlerin aufgibt, könnte die Wahl der Spitzenkandidaten der Parteien umso entscheidender sein. 16 Jahre regierte Merkel das Land – die Lücke, die sie hinterlässt, ist entsprechend groß, das Feld weit offen.
Eine charismatische Führungsfigur kann enorm dabei helfen, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in eine Partei zu stärken. Die Grünen etwa, für die sonst vor allem jüngere Wählergruppen stimmen, konnten in Baden-Württemberg plötzlich auch bei älteren Wählern enorm punkten. Ein Effekt, der sich vermutlich Kretschmanns Persönlichkeit zuschreiben lässt, wie der Wahlforscher Oskar Niedermayer bereits im watson-Interview erklärte.
Die SPD hat mit Olaf Scholz schon ihren Spitzenkandidaten ernannt. In der Union scheint ausgemacht, dass CDU-Chef Armin Laschet oder der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Partei in den Wahlkampf führen werden. Und bei den Grünen werden es wahrscheinlich die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck unter sich ausmachen.
Bei den Bundestagwahlen kann keine der Parteien vom Amtsinhaberbonus profitieren. Umso mehr wird also davon abhängen, welche Gesichter am Ende für die Parteien stehen und ob die Spitzenkandidaten es anschließend schaffen, nicht als graue Nebenfigur, sondern als kompetente Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden.
Niemand ist sicher, vor allem nicht die CDU
Für die Union war das Wochenende ein schlechter Start ins Wahljahr. In beiden Bundesländern schnitt die CDU so schwach ab wie nie zuvor. Das Ergebnis sei "enttäuschend", räumte CDU-Chef Armin Laschet am Montag nach den Wahlen ein. Norbert Röttgen, Mitglied des CDU-Präsidiums, nannte die Wahlen gegenüber der "Rheinischen Post" gar einen "Weckruf für die gesamte CDU".
Eigentlich ist die Union an das Regieren gewöhnt, könnte man sagen. Seit knapp 16 Jahren sitzt sie in der Bundesregierung, aktuell regiert sie in elf von 16 Länderparlamenten mit. Auch in Baden-Württemberg war die CDU bisher an der Regierung beteiligt, während in Rheinland-Pfalz seit 2016 SPD, Grüne und FDP in einer sogenannten Ampelkoalition ohne die CDU das Land führen.
Die Verluste der Partei in den beiden Bundesländern könnten nun nicht nur dazu führen, dass die CDU in Baden-Württemberg ebenfalls durch eine Ampelkoalition ersetzt wird. Sie haben auch gezeigt, dass eine stabile Regierung jenseits der CDU möglich ist. Das ist besonders in Baden-Württemberg bemerkenswert: Die CDU hat bis Kretschmanns Amtsantritt 2011 im Land jahrzehntelang den Ministerpräsidenten gestellt, bis 1992 regierte sie zwei Jahrzehnte lang mit absoluter Mehrheit.
Für den kürzlich gewählten CDU-Chef Armin Laschet war es kein guter Start ins Wahljahr. Bild: ullstein bild / ullstein bild Dtl.
Natürlich sollte man die Ergebnisse einer Landtagswahl nicht mit einem bundesweiten Trend verwechseln. In aktuellen Umfragen liegt die Union bundesweit mit rund 30 Prozent immer noch an erster Stelle. Eine Koalition ohne die Konservativen wäre daher auf Bundesebene aktuell kaum möglich.
Aber innerhalb von zwei Monaten sind die Umfragewerte der Union stark gesunken. Während der Corona-Krise erlebten CDU/CSU zwischenzeitlich ein regelrechtes Hoch, mit Umfragewerten bis zu 40 Prozent. Nach Masken-Affäre, Impf-Problemen und fehlenden Schnelltests scheint der Höhenflug aber erstmal vorbei zu sein.
Das heißt: Auch die Union kann sich auf den Lorbeeren der vergangenen Jahre nicht ausruhen. Keine Partei, weder CDU oder CSU noch Grüne oder SPD, sollte sich bei den kommenden Wahlen ihrer Sache zu sicher sein. Das Rennen gewonnen hat noch lange niemand.
Kenia, Kiwi oder Ampel
Seit acht Jahren regiert in Deutschland auf Bundesebene die große Koalition aus Union und SPD. Eine gewisse Müdigkeit ist bei beiden Parteien inzwischen anzumerken.
Bereits nach der letzten Bundestagswahl 2017 hatte die SPD angekündigt, nicht mehr mit der Union regieren, sondern in die Opposition gehen zu wollen. Nachdem die Verhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP jedoch gescheitert waren, erklärte sich die SPD doch zur Regierungsbildung bereit. Ob sich die Sozialdemokraten jedoch noch einmal darauf einlassen, ist fraglich.
Zudem wäre nach aktuellen Umfragen ohnehin unsicher, ob CDU/CSU und SPD überhaupt eine Mehrheit erreichen würden. Je nach Prognose liegen die gemeinsamen Stimmenanteile derzeit zwischen 46 und 50 Prozent. Es könnte also durchaus sein, dass Deutschland nach den Wahlen von einer anderen Konstellation regiert wird.
Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben dabei eine neue Koalitionsmöglichkeit ins Spiel gebracht: die Ampel aus SPD, Grünen und FDP. In Rheinland-Pfalz regierte diese Konstellation unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer schon die letzten fünf Jahre. Offenbar erfolgreich: Auch zukünftig werden die drei Parteien dort wohl gemeinsam regieren.
Führt in Rheinland-Pfalz die bundesweit erste Ampel-Koalition an: SPD-Politikerin Malu Dreyer. Bild: dpa / Andreas Arnold
Rein rechnerisch würden auch diesen Parteien derzeit auf Bundesebene noch einige Prozentpunkte bis zur Mehrheit fehlen. Aber: Neue Koalitionsmöglichkeiten werden nach den Ergebnissen der Landtagswahlen gerade mit neuem Interesse diskutiert.
Neben der Ampel wäre eine weitere Option etwa die Kiwi-Koalition aus Union und Grünen, auch bekannt als Schwarz-Grün, oder die Kenia-Koalition, bei der die SPD noch als dritte Partei hinzukommt. Auch eine Verbindung aus SPD, Grünen und Linken wurde in den letzten Tagen ins Gespräch gebracht. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert sagte etwa gegenüber dem SWR: "Auf Bundesebene sehen wir, dass beide Dreier-Optionen, eine Ampel wie auch Rot-Rot-Grün, nicht im Bereich des Unmöglichen liegen." Ebenso stellte der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach den Wahlen erfreut fest: "Es ist möglich, in Deutschland zu regieren, ohne dass CDU und CSU daran beteiligt sind."
Für die Parteien heißt das auch: Sie werden in den kommenden Monaten genau austarieren müssen, wo sie eigentlich stehen. Während etwa die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans eher mit einer linken Koalition liebäugeln, lobte Olaf Scholz eine Ampelkoalition als "progressiv". Ähnlich widersprüchliche Gefühle dürfte es auch bei der FDP geben. FDP-Chef Lindner reagierte auf die Frage einer Ampelkoalition im Bund nach den Landtagswahlen eher kühl und verkündete, für solche "Farbenspiele" sei es noch zu früh. Und auch die Grünen halten sich was Koalitionspartner angeht bisher eher bedeckt – wohl auch um niemanden zu verprellen.
Allen gemeinsam ist nach den Landtagswahlen jedoch das Bewusstsein: Es gibt auch eine Politik jenseits der großen Koalition.
Die AfD ist nicht mehr bestimmend
Es gab eine Zeit, da konnte keine Wahl vorübergehen, ohne dass die AfD mit ihren Erfolgen für Schlagzeilen sorgte. 2016 zog die Partei etwa aus dem Stand mit zweistelligen Ergebnissen in die Landtage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit zweistelligen Ergebnissen ein.
Fünf Jahre später haben sich die wichtigsten politischen Themen jedoch verändert. Statt der Flüchtlingskrise beschäftigt die Menschen nun die Corona-Pandemie. Das zeigt sich auch in den Ergebnissen der Landtagswahlen: In Rheinland-Pfalz verlor die AfD vier Prozentpunkte, in Baden-Württemberg sogar fünf. In beiden Wahlen erzielten die Rechtspopulisten damit nur noch einstellige Ergebnisse.
Die AfD ist also immer noch da. Inzwischen scheint sie sich einen festen Wählerstamm erworben zu haben, der die Partei trotz Rechtsextremismus-Skandalen oder einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz wählt und unterstützt. Einfach verschwinden wird die Partei in den kommenden Jahren wohl nicht. Und auch bei den Bundestagswahlen und den Landtagswahlen im Osten könnte die Partei wieder zweistellige Ergebnisse holen.
Aber die AfD prägt die Politik, die Wahlsendungen und öffentlichen Debatten nicht mehr auf dieselbe Art und Weise, wie sie es noch vor einigen Jahren tat. Sie ist noch da, aber sie ist nicht bestimmend.