Es klingt wie das Script für einen guten Agenten-Thriller. Zwei befreundete Staaten machen in den 1970er Jahren beim Abhören anderer Länder gemeinsame Sache. Sie kaufen eine Spezialfirma für Verschlüsselungstechnik und verhökern so vermeintlich abhörsichere Chiffriermaschinen, in denen eine Hintertür schlummert.
Über Jahrzehnte hören die beiden Staaten damit auch Verbündete ab – während sie über die Spezialfirma sogar Geld damit verdienen. Dabei sammeln sie Informationen über Militärputsche, Mordaktionen, Truppenbewegungen. Selbstverständlich ohne, dass die Abgehörten die leiseste Ahnung haben.
Einen symbolträchtigen Namen hat die Aktion auch: "Operation Rubikon", jener Fluss, den einst Julius Cäsar überschritt in dem Wissen, nun gibt es kein Zurück mehr.
Am Ende fliegt der Geheimdienst-Coup auf, weil geheime Berichte großen Medien in den aktiv beteiligten Ländern zugespielt und über zwei Jahre hinweg ausgewertet werden. Wer da ausgepackt hat, das muss geheim bleiben. Veröffentlicht wird das Ganze – wir schreiben inzwischen das Jahr 2020 – unter einem Hashtag #cryptoleaks.
Abspann, Ende. Popcorn aus der Kleidung klopfen, Getränkebecher ausschlürfen, Handy wieder anschalten.
Und jetzt die Post-Credit-Scene: Was da gerade über die Leinwand flimmerte, das war keine gute Spy-Fiction – sondern eiskalte Realität.
Und in dieser Realität haben offenbar der deutsche Auslandsgeheimdienst BND und der notorische US-Nachrichtendienst CIA gemeinsame Sache gemacht beim Ausspähen von 100 Staaten, darunter Nato-Partner wie die Türkei und Italien oder EU-Mitglieder wie Irland und Portugal.
Das berichten seit Dienstag das ZDF, die "Washington Post" und das Schweizer Fernsehen SRF. Demnach belauschten Bundesnachrichtendienst und die CIA von 1970 bis 1993 gemeinsam die verschlüsselte Kommunikation von mehr als 100 Staaten.
Das belegen bisher unveröffentlichte Dokumente, die von führenden BND- und CIA-Mitarbeitern verfasst wurden. In den Akten heißt es:
Auf den rund 280 Seiten wird die sogenannte "Operation Rubikon" als "eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit" bezeichnet.
Der frühere Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer, CDU, bestätigte die Geheimdienstoperation.
Der BND habe diese Zusammenarbeit mit der CIA aber 1993 beendet. Der Bundesnachrichtendienst teilte auf Anfrage mit, er nehme "zu Angelegenheiten, welche die operative Arbeit betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung."
Zentral für "Operation Rubikon": die Schweizer Spezialfirma Crypto AG. Seit 1970 waren die beiden Geheimdienste zu je 50 Prozent Eigentümer der Firma.
Das Unternehmen stellte Verschlüsslungstechnik für abhörsichere Kommunikation her und verkaufte diese weltweit. Ihre Kunden wussten nicht, dass BND und CIA die Technik manipulieren ließen. Historiker und Geheimdienstexperten haben die vorliegenden Akten ausgewertet.
Richard Aldrich von der Universität Warwick kommt zu dem Schluss: "Die Operation Rubikon war eine der kühnsten und auch skandalträchtigsten Operationen, denn über hundert Staaten zahlten Milliarden Dollar dafür, dass ihnen ihre Staatsgeheimnisse gestohlen wurden."
Die Dokumente belegen erstmals, dass BND und CIA frühzeitig über den Sturz des chilenischen Präsidenten Allende 1973 und die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die argentinische Militär-Junta informiert waren.
Am Ende steigt der BND aus der Kooperation aus, weil Hans Bühler, ein Vertreter der Crypto AG, im Iran neun Monate lang wegen Spionageverdachts in Haft saß – ohne, dass der wusste, dass seine Firma tatsächlich in einen Abhör-Coup verwickelt war.
Der deutsche Nachrichtendienst zahlte offenbar eine Million Dollar Lösegeld für dessen Freilassung – im Geheimen. Der Freigekaufte vermutet hinterher öffentlich, er sei Opfer eine Geheimdienst-Intrige geworden, verliert seinen Job und verpflichtet sich schließlich, für Schweigegeld den Mund zu halten.
1993 verkauft der BND schließlich seine Anteile an der Crypto AG. Nach der Wiedervereinigung misstrauen die europäischen Nachbarn dem großen Deutschland in ihrer Mitte – ein Abhöraktion befreundeter Staaten kommt der BRD da ungelegen. Außerdem wirft die Aktion wohl nicht mehr genug Material ab.
Die CIA betreibt "Rubikon" noch einige Jahre weiter. 2017/2018 verkauft auch sie die Crypto AG. Laut den Recherchen für 50 bis 70 Millionen Dollar.