Demo gegen rechten Terror in Hamburg (17.06.2019).Bild: www.imago-images.de/Jannis Grosse
Deutschland
Mancher Polizist nimmt immer wieder die gleichen Kleinkriminellen fest. Und mancher Soldat im Auslandseinsatz zweifelt am gesellschaftlichen Rückhalt. Auf diese Sorgen antwortet die AfD mit ihrem Ruf nach dem starken Staat.
Die AfD gibt sich angesichts der von Friedrich Merz
angestoßenen Debatte abgeklärt: "Dass die AfD unter Polizisten und
Soldaten ein höheres Ansehen genießt als die Altparteien, liegt doch
auf der Hand", erklärt Leif-Erik Holm. Kein Wunder,
angesichts der "katastrophalen Politik von Bundes- und
Landesregierungen", meint der AfD-Bundestagsabgeordnete.
"Wir verlieren offenbar Teile der Bundeswehr an die AfD. Wir verlieren Teile der Bundespolizei an die AfD."
Das hatte der frühere Unions-Fraktionschef Merz (CDU) der "Bild am Sonntag" gesagt. Studien
dazu kennt auch Merz nicht, er beruft sich auf Gespräche im
persönlichen Umfeld.
Wie rechts ist die Polizei?
Verlässliche Untersuchungen, die aktuelle Rückschlüsse auf politische
Einstellungen oder das Wahlverhalten von Uniformierten aus Polizei
und Militär erlauben würde, gibt es indes nicht – eine Lücke, die
Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg bedauert.
"Der Aufklärungswille bei den Innenministern ist da viel zu gering.
Keiner von ihnen gibt Geld für Forschung in diesem Bereich – vielleicht auch aus Angst, was da herauskäme. Es werden Symptome
bekämpft, ohne über Strukturen und Klima einer Organisation
ausreichend nachzudenken", sagt Behr.
Stellt sich die Frage, ob Sympathien für eine demokratisch gewählte
Partei wie die AfD wirklich problematisch sind. Das sei keine
juristische Frage, sondern eine der politischen Kultur, erwidert
Behr. "Das Problematische ist nicht die AfD per se, sondern die Denkfiguren, die sie repräsentiert, und die teils menschenverachtende Haltung ihrer Vertreter." Die AfD verschiebe die Grenzen des Sagbaren
nach rechts.
Hinweise auf rechte Tendenzen bei Polizei und Bundeswehr gibt es genug:
- Da sind die Beamten des sächsischen Spezialeinsatzkommandos (SEK), die es witzig finden, für einen Kollegen den Namen des rechtsextremen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt als Decknamen zu wählen – für den Einsatz beim Deutschlandbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
- In Nordrhein-Westfalen findet sich in einem Polizei-Mannschaftswagen ein Aufkleber der rechtsextremen Gruppierung "Identitäre Bewegung".
- In Frankfurt erhält eine türkischstämmig Anwältin Drohschreiben, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet sind.
- Zugleich wird wegen einer mutmaßlich rechtsextremen Chatgruppe der Polizei weiter ermittelt.
- Bei der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr macht eine aus dem Ruder gelaufene Geburtsfeier mit Hitler-Gruß und Schweinekopf-Werfen Schlagzeilen.
Einzelfälle?
"Es gibt Merkmale am Polizeiberuf, die Menschen mit
Sympathien für rechte Positionen anziehen: Uniformen, Waffen, die
Möglichkeit, staatlich legitimiert Macht anzuwenden", sagte Oliver
von Dobrowolski. Er ist Vorsitzender der Gruppierung "Polizei-Grün",
die Beamte mit Sympathien für grüne Positionen vereint, und selbst
aktiver Polizist beim Landeskriminalamt Berlin.
"Das hat auch viel mit klassischem Freund-Feind-Denken zu tun. Ein
Beispiel: Die Polizei begleitet eine Neonazi-Demonstration. Da gibt
es meist auch eine Gegenveranstaltung der linken Szene. Da dürfen Sie
jetzt raten, wem die meisten Polizistinnen und Polizisten sich eher
zugeneigt fühlen. Da heißt es dann: Die Rechten hören wenigstens auf
uns, die sind ja auch für Recht und Ordnung." Hinzu kämen die
Belastungen des Arbeitsalltags, Personalmangel. "Manche Kollegen
sehen sich als Ausputzer der Gesellschaft, manche sprechen sogar von
"Müllabfuhr"", sagt Dobrowolski. Er würde sich mehr Supervision
wünschen, also mehr Nachbereitung von Einsätzen.
Behr sieht das genauso: "Polizisten erfahren oft ihre eigene Ohnmacht
und die Vergeblichkeit ihrer Arbeit. Man hat mit Problemen zu tun,
die man selbst nicht lösen kann." Führungskräfte müssten in
Erinnerung rufen: "Man ist eben als Polizist nicht dafür da, um Leute
einzusperren, sondern man ist dafür da, um den Gerichten zu
ermöglichen, Urteile zu fällen."
Eine dreijährige Ausbildung sei zwar ein guter Anfang, doch danach
könne es bis zu fünf Jahren dauern bis zur ersten Fortbildung, sagt
Behr. "Es wäre gut, wenn Polizeianwärter nicht nur Praktika bei
Polizeidienststellen machen würden, sondern mal ein halbes Jahr bei
einer sozialen Einrichtung arbeiteten, um die Welt kennenzulernen, in
der ihre Klienten leben", schlägt er vor.
Auch die Bundeswehr hat ein Problem
Auch die Bundeswehr ist wegen mutmaßlich rechter Tendenzen in die
Debatte geraten. Spätestens seit der Aussetzung der Wehrpflicht im
Jahr 2011, vom damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu
Guttenberg praktisch im Handstreich vollzogen, sind die Streitkräfte
kein Abbild der Gesellschaft mehr.
Wer mit Soldaten spricht, spürt durchaus auch Sympathie für die AfD, die sich als Partei von Recht, Ordnung, aber auch traditioneller Männlichkeit präsentiert.
Des Extremismus werden nach Erkenntnissen des Militärischen
Abschirmdienstes (MAD) indes nur zwei Promille der Soldaten und
zivilen Mitarbeiter verdächtigt. Der MAD ist für Abwehr und
Überwachung von Extremisten in der Bundeswehr zuständig. Unter
250.000 Männern und Frauen gibt es aktuell rund 500 sogenannte
Verdachtsfälle in Bearbeitung, zwei Menschen unter 1000. Als erkannte
Extremisten eingestuft wurden im vergangenen Jahr vier Rechtsradikale
- und drei Islamisten.
Aber der MAD orientierte sich bisher an dienstrechtlichen Kriterien,
die auch einer Überprüfung vor Gericht standhalten. Dem in der
öffentlichen Debatten geprägten Extremismusbegriff wurde die Behörde
so nicht gerecht - und ist doch an die Gesetze gebunden. Der MAD
reagierte mit einer Einstufung nach dem Ampelsystem: Grün, Orange,
Rot. Einen Verdacht auf Rechtsextremismus gab es zuletzt in 450
Fällen.
"Wenn wir Leute in rot einstufen, dann muss das gerichtsfest sein",
sagte MAD-Präsident Christof Gramm im März der Deutschen
Presse-Agentur. "Die Entlassung aus der Bundeswehr sagt sich
leichter, als es getan ist. Auch da gibt es Rechtsgrundlagen." Aber:
"Dunkelorange und rot müssen aus der Bundeswehr raus. Die Frage ist,
auf welchem Weg."
(dpa)
Nach dem Ampel-Aus war abzusehen, dass die Rot-Grüne Minderheitsregierung ohne ihren Ex-Partner FDP nicht mehr viele Projekte im Bundestag umsetzen kann. Denn auch die Union zeigte bei den meisten Themen wenig Interesse an einer Zusammenarbeit.