
Das Letzte, was du auf der Familienfeier siehst, bevor du wegen Genderns ausgelacht wirst.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Meinung
Doppelpunkt, Sternchen, Binnen-I: All das wird es unter CDU-Politikerin Karin Prien im Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht geben. Auch wenn die Ministerin es gut meinen sollte: Die Botschaft, die die Merz-CDU derzeit an sexuelle Minderheiten schickt, ist verheerend.
30.06.2025, 15:2730.06.2025, 15:27
Wovon träumen Unions-Politiker:innen wohl nachts, wenn sie Albträume haben? Ein Hai-Angriff? Dass sie von einer Hand in den Boden gezogen werden? Ihr Mandat zu verlieren?
Bloß schnell wieder aufwachen, schlimm sowas – und doch nichts im Vergleich zum allergrößten Übel: dem Gender-Zwang! Man hat aktuell den Eindruck, dass dieses Schreckensszenario vielen Christdemokrat:innen und Christsozialen das Blut in den konservativen Adern gefrieren lässt.
"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" wurde in der Union in den vergangenen Jahren von der Stammtischparole zur Parteiprogrammatik. Zwänge und Verbote, dazu noch mit dem moralischen Zeigefinger aufdiktiert: Das kann die so liberale Union nicht akzeptieren ... oder?
CDU: Karin Prien verbietet Ministerium Gender-Sternchen
Ausgerechnet die so sehr auf Sprach- und Redefreiheit bedachte Union beschneidet diese Grundrechte in den vergangenen Jahren am vehementesten.
In Hessen versuchte die Regierung, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Gendern zu verbieten (laut der Berliner Verfassungsrichterin Ulrike Lembke ein "verfassungswidriges Sprachverbot"), die CSU führte in Bayern gar ein Verbot der Gendersprache an Schulen, Hochschulen und Behörden ein.
Und nun verbietet Bildungs- und Familienministerin Karin Prien den Angestellten in ihrem Ressort das Nutzen des Gender-Sternchens, des Binnen-Is und anderer Sonderzeichen.
Das berichtete am Sonntag die "Bild". Demnach soll Prien eine diesbezügliche Hausanordnung erlassen haben und sich ihren Mitarbeitenden in einer internen Personalversammlung gegenüber erklärt haben.
Paradoxerweise erklärte Prien demnach in diesem Meeting gar, sie sehe es als "Aufgabe dieses Ministeriums" an, "auch für all jene Politik zu machen, die zu oft und wieder zunehmend an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden".
Ministerin Prien spricht gegenüber watson von "Vorbildfunktion"
In einem Appell soll Prien hinzugefügt haben, "dass wir für die Bürgerinnen und Bürger da sind", es jedoch eine adressatengerechte Kommunikation brauche. Sie wolle nicht als "Aktivistin" auftreten, sondern sich "aus der Sache heraus für das Recht jeder einzelnen Person" einsetzen.
In einem Statement gegenüber watson betonte Prien, das Ministerium hätte eine "Vorbildfunktion" und müsse mit seiner Sprache "Klarheit und Verständlichkeit für alle" gewährleisten. Es sei ihr "wichtig, dass Behörden einheitlich nach den Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung kommunizieren".
Man setze sich "für eine inklusive und geschlechtersensible Sprache ein", verzichte dabei jedoch "bewusst auf Sonderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich".
Ein Ministeriumssprecher bestätigte gegenüber watson zudem, dass Sonderzeichen vom Ministerium nur in begründeten Ausnahmefällen benutzt werden – "wenn ansonsten das Ziel einer adressatengerechten Kommunikation mit bestimmten Personengruppen nicht erreicht werden könnte", etwa bei Publikationen oder Broschüren.

Karin Prien will nicht als Aktivistin auftreten.Bild: dpa / Stefan Puchner
Union mit verheerender Botschaft an sexuelle Minderheiten
Nun ist Prien nicht gerade als Hardlinerin in und außerhalb der Union bekannt. Und immerhin weiß sie anscheinend um die Wichtigkeit inklusiver Sprache.
Doch selbst wenn man Prien guten Willen unterstellen will: Ihre Anweisung setzt nahtlos an eine Reihe von CDU- und CSU-Entscheidungen an, die sich aus Unions-Sicht gegen "Wokeness" richten sollen – letztendlich aber lediglich sexuelle Minderheiten vor den Kopf stoßen.
Das dauerhafte Agitieren gegen das Selbstbestimmungsgesetz, die Ernennung des stockkonservativen Wolfgang Weimer, der sich etwa kritisch gegenüber Coming-Outs und Homosexuellen äußerte, zum Kulturstaatsminister, das Einkassieren der Regenbogenflagge während des CSDs von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, mehrere Gender-Verbote.
Die Botschaft an sexuelle Minderheiten ist klar: Ihr seid nicht mitgemeint. Ihr zählt in unserer Politik nicht. Wir sehen euch nicht.
"Gender-Zwang" vs. "Gender-Verbote": Die Union checkt's nicht
Gender-Verbote sollen trotzdem keine Minderheiten benachteiligen, der CSD und seine Werte sind politisch laut Klöckner nicht neutral – und gleichzeitig warnen Politiker:innen wie Forschungsministerin Dorothee Bär vor der großen Gefahr des "Gender-Zwangs". Die Union erlaubt sich hier Faktenfreiheit und argumentiert teilweise realitätsfremd.
Nochmal: Prien ist nicht vorzuwerfen, dass sie sexuelle Minderheiten bewusst vors Schienbein tritt. Doch sie erweist dem bereits stark verkümmerten progressiven Teil der Union einen Bärendienst, den Minderheiten in Deutschland sowieso und stärkt gleichzeitig die rechten Strömungen in ihrer Partei.
"Mit dem Dreh, im Namen von Gleichberechtigung und Freiheit die Sprache einzuschränken, bewegt sich Prien deutlich zu nah am Trumpismus", erklärte auch Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke zu Priens Entscheidung.
In der Tat hat die Unions-Politik in Sachen Vielfalt, Freiheitsrechte – oder wie die christlichen Schwesterparteien es selbst ausdrücken würden: "Wokeismus" – zunehmend weniger mit Fakten zu tun.
In einem spitzen Kommentar im britischen "Guardian" zeichnen zwei Journalisten ein bitteres Bild von Deutschlands Umgang mit Migration.
Deutschland braucht dringend mehr Fachkräfte. Willkommen sind sie aber auch nicht. In einem spitzen Kommentar im britischen "Guardian" zeichnen die Journalisten Chris Reiter und Will Wilkes ein solch drastisches Bild von Deutschlands Umgang mit Migration: Das Land brauche dringend Zuwanderung – sende aber gleichzeitig das Signal, dass die Neuankömmlinge sich besser nicht willkommen fühlen sollten.