Der Shitstorm gegen den SPD-Bürgermeister der Kleinstadt Bad Frankenhausen ist gewaltig. Er wird beschimpft, sein Rücktritt gefordert. Dabei will Matthias Strejc eigentlich nur ein Zeichen für Demokratie und gegen Rassismus setzen, als er sich einer Demo gegen den völkischen Nationalisten und AfD-Spitzenkandidaten in Thüringen, Björn Höcke, anschließt.
Was folgt, sind falsche Gesten, unglückliche Postings und ein AfD-Social-Media-Apparat, der aus einem Bürgermeister, der für Demokratie auf die Straße geht, einen Feind der Demokratie macht. Es ist auch eine Geschichte darüber, wie Lokalpolitiker in der ganzen Republik der AfD oft ohnmächtig gegenüberstehen. Sie machen den Job, dann kommen die Höckes und erzählen Gespenstergeschichten vom Ende des Abendlandes. In Städten und Gemeinden wie Bad Frankenhausen, in denen es dem Großteil der Bürger objektiv gut geht.
Aber von Anfang an.
Diese Geschichte beginnt im Grunde ein paar Jahre früher. Am Kyffhäuser, einem Berg nicht unweit der Kleinstadt Bad Frankenhausen. Der Sage nach schläft dort der rotbärtige Kaiser Friedrich Barbarossa, wartet seit nun über 800 Jahren geduldig auf seine Rückkehr, um Land und Leute zu einen, zu befreien.
Dieser Mythos gefällt vor allem dem völkischen bis rechtsextremen Flügel um Björn Höcke. Seit 2015 treffen sich die Rechtsaußen der AfD, um den schläfrigen Kaiser als Erlöser zu feiern. Bis der mit "seinen Getreuen" erwachen wird, "um das Reich zu retten", wie es Höcke einmal formuliert hat.
Bei einem dieser Treffen unterhalb des Kyffhäuser-Denkmals kommt SPD-Bürgermeister Matthias Strejc ins Spiel.
Strejc fürchtet um den Ruf seiner Stadt, der Region. Er will wissen, was genau bei diesen Zusammenkünften eigentlich geschieht. Und hat eine Idee: Bei einem dieser Treffen schleicht er sich als Kellner ein. "Das war schon erschreckend, was da passierte", erzählt er heute. Die Sprache, die Agitation, die Kleidung. Strejic wird Zeuge einer elitären Runde, die diese Republik ablehnt und verändern will. Er wird Zeuge, wie sich auf diesen Veranstaltungen um den Rechtsaußenmann Höcke ein regelrechter Kult formiert.
Wir springen ins Jahr 2019. Eben jener Björn Höcke steht am Nachmittag des 13. Oktobers auf dem Marktplatz von Bad Frankenhausen. Er kommt dieses Mal in die Region als Spitzenkandidat einer Partei, die realistische Chancen hat, die Wahl zu gewinnen.
Höcke nennt die Veranstaltung Familienfest. Und beginnt, sein Bild eines vor dem Untergang stehenden Landes entsprechend "familiengerecht" zu zeichnen. Er spricht von einem Land, in dem man nicht mehr offen reden dürfe, das durch "unkontrollierte und von den Kartellparteien gewollte Masseneinwanderung destabilisiert" werde. Höcke sieht eine "Zusammenrottung von Hunderten mit Migrationshintergrund in Schwimmbädern", er sieht "türkische Hochzeitskorsos, die westdeutsche Autobahnen blockieren – unter Inkaufnahme von Verletzten und Toten". Er sieht "Menschen, die mit Macheten am helllichten Tage zerstückelt werden", er sieht "Terroranschläge" und "Amokläufe".
SPD-Bürgermeister Strejc sieht in diesem Moment vor allem einen Björn Höcke, der diesmal nicht am Fuße des Barbarossa-Denkmals vor völkischen Nationalisten spricht, sondern auf dem Markplatz der Stadt, in der er Bürgermeister ist. Strejc steht als Privatperson auf der Gegendemo, die von der Kirchengemeinde und Kulturvereinen initiiert wurde. Sie pfeifen, trommeln, protestieren.
Von der Polizei abgesperrt am Rande des Marktplatzes darf sich der SPD-Bürgermeister anhören, dass einer wie er, der sich seit Jahren für Stadt und Region engagiert, einer dieser von Höcke beschriebenen Politiker sein soll, der "Politik gegen das Volk" macht. Einer, der Deutschland abschafft, dieses Land spaltet. Strejc sieht Gewerbetreibende, Vereinsvorstände, Ärzte, sieht Bürger seiner Stadt – sie stehen auf der anderen Seite.
Am Abend dann, Höcke hat Bad Frankenhausen längst wieder verlassen, setzt Matthias Strejc unter den noch frischen Eindrücken folgende Zeilen auf Facebook ab:
"Für mich persönlich erschreckend war nur festzuhalten, dass doch einige Vorstände von großen Frankenhäuser Vereinen oder auch Geschäftspartner der Kurstadt mit bei der AfD-Veranstaltung gegen uns als 'Altparteien' und gegen Nächstenliebe demonstriert haben. Es ist ihr Recht, dies zu tun. Genauso ist es das Recht des Stadtrates und der Verwaltung genau zu überlegen, wen man zukünftig finanziell fördert und mit wem man zukünftig zusammen arbeitet."
"…überlegen, wen man zukünftig finanziell fördert und mit wem man zukünftig zusammen arbeitet." Der letzte Halbsatz fliegt Strejc um die Ohren. Die AfD macht daraus die Drohung eines Bürgermeisters gegen die Bürger seiner Stadt. Sie gibt eine Pressemeldung raus, wird auf Facebook aktiv.
Der Shitstorm ist dem SPD-Mann sicher.
"Der Post war ein Fehler", sagt Matthias Strejc heute. Er habe sich von seinen Emotionen hinreißen lassen. Allerdings habe er als Privatperson gepostet, nicht als Bürgermeister. Er wollte auch nicht den Eindruck erwecken, dass all jene, die bei Höcke waren, keine Aufträge mehr von der Stadt bekommen. Strejc postet am nächsten Morgen eine Entschuldigung auf Facebook. Auch trifft er sich mit den Vereinsvorständen und Gewerbetreibenden, die auf der Höcke-Veranstaltung waren, um sich zu entschuldigen. "Ich finde das nicht gut, aber ist es natürlich euer gutes Recht", sagt er ihnen.
Damit ist die Sache abgehakt. Für Strejc.
Nicht für die Gegenseite. Der AfD-Apparat läuft jetzt erst so richtig heiß.
Zwei Tage später legt auch Björn Höcke nach. Er hält das Posting für "sozialistische Repressionsmethoden".
Jürgen Elsässer vom AfD-nahen Compact Magazin schreibt bereits am Tag nach der Demo vom "Demokratienotstand" in Bad Frankenhausen und bebildert das mit einem Foto, dass Strejc auf der Demo mit ausgestrecktem Mittelfinger zeigt. Der "Sturzbetroffene mit dem Stinkfinger", schreibt Elsässer.
Das Foto ist echt. Und auch diese Reaktion bereut der SPD-Bürgermeister. "Die Stimmung war aufgeheizt. Trotzdem hätte ich so nicht reagieren dürfen. Das war ein Fehler mit dem Stinkefinger", sagt er. Das Foto hat der Landtagsabgeordnete der AfD Jens Cotta gemacht. Das Handy habe der Strejc direkt vor die Nase gehalten. Für Strejc eine gezielte Provokation. "Ich habe den Fehler gemacht, darauf einzugehen. Ich bin nun mal ein emotionaler Typ. Irgendwann bricht es dann aus einem heraus."
Bei Strejc entlädt sich an diesem Demo-Tag eine Menge Frust. Seit Jahren muss er beobachten, wie die AfD in der Region Zulauf bekommt. Dabei geht es der Gemeinde gut. Bad Frankenhausen ist eine Kurstadt, die Schulen saniert, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Bevölkerung wächst, die Touristenzahlen auch.
Trotzdem wird die AfD immer stärker. Bei der Bundestagswahl 2017 wird sie in der Gemeinde Bad Frankenhausen stärkste Partei, in den Kreistag des Kyffhäuserkreises zieht sie 2019 mit sieben Leuten ein. Und auch bei den Europawahlen im Mai dieses Jahres wird die AfD in der Gemeinde mit 25,9 Prozent wieder stärkste Kraft.
Sie gewinnt selbst in wohlsituierten Gegenden mit lauter Einfamilienhäusern, beobachtet Strejc. "Ich verstehe das nicht. Es ist uns noch nie so gut gegangen wie jetzt." Er fragt sich: "Was wollt ihr eigentlich? Was habt ihr eigentlich auszusetzen?" Eine Antwort darauf hat er nicht.
Strejc will gestalten, über Sachthemen reden. Höcke kommt, um dagegen zu sein. Strejc treibt gerade ein Hotelbauprojekt um. Höcke stellt sich auf den Marktplatz und doziert über die "Afrikanisierung Europas". "Wir machen die Arbeit, haben in Schulen und Tourismus investiert, die AfD kommt und redet alles schlecht", sagt Strejc. Er bemüht Argumente, Höcke und der AfD reichen Bauchgefühl und Emotionen.
Strejc frustriert es, dass er mit Argumenten nicht durchdringt. "Das Vertrauen ist weg", sagt er. Aber ohne gehe es eben nicht. "Ein Stück Vertrauen in die Politik muss man doch haben."
13 Jahre ist Strejc jetzt im Amt. Bis Sommer 2024 ist er gewählt. Hat er jetzt überhaupt noch Lust weiter zu machen? Sicher ist, "es gab schon bessere Zeiten", sagt er. Auf Facebook allerdings werde er nichts mehr posten.
Und während Lokalpolitiker wie Strejc fragend und ohnmächtig zurückbleiben und versuchen, die Lager nach solchen Auftritten zu versöhnen, zieht Höcke weiter durch Thüringen. Auf seinen Familienfesten wird er auf Marktplätzen vor der "Afrikanisierung Europas" warnen und von einer "Deutschlandauflösungspolitik der Kartellparteien" sprechen. In Sömmerda, Gotha oder Ilmenau.