Die FDP gibt sich "überrascht" von den AfD-Stimmen. Dabei wurde Kemmerich darauf vor seiner Wahl explizit in einem Interview angesprochen.Bild: reuters
Deutschland
06.02.2020, 12:2006.02.2020, 12:21
Die Wahl eines Ministerpräsidenten ist in 99 Prozent aller Fälle eine reine Formalie, kein mit Spannung erwarteter Termin. Am Mittwoch nun war das anders.
Der Aufschrei ist groß, seitdem Thomas Kemmerich (FDP) sich im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten in Thüringen wählen hat lassen – mit Stimmen von CDU und AfD. Quer durch alle Parteien (außer AfD) ist von einem Tabubruch die Rede, auch viele FDP-Kollegen fordern Kemmerich offen zum sofortigen Rücktritt auf.
Christian Lindner nannte die Stimmen der AfD, die ja auch einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte, "überraschend". In den sozialen Netzwerken macht nun jedoch ein Kemmerich-Interview vor der Wahl die Runde, das Sprengstoff birgt.
Der Grund: Kemmerich wurde in dem MDR-Interview mehrfach explizit darauf angesprochen, dass die AfD angekündigt hat, im dritten Wahlgang möglicherweise nicht mehr den eigenen, sondern den FDP-Kandidaten zu unterstützen.
Das Interview wurde einen Tag vor der Ministerpräsidentenwahl geführt – Kemmerich kann also nicht mehr überrascht von den AfD-Stimmen gewesen sein. Auch, wenn er im Interview selbst zunächst eine unglaublich naive Position vertritt.
Das Kemmerich-Interview im Wortlaut:
- Angesprochen auf seine Kandidatur im dritten Wahlgang sagte Kemmerich: "Wir wollen und werden alles deutlich machen, dass wir nicht mit Stimmen der AfD gewählt werden wollen und senden auch keine Signale in diese Richtung. Deshalb haben wir uns entschlossen, im dritten Wahlgang für eine andere Konstellation aus der Mitte der Gesellschaft zu werben, wenn nur die Extreme von Links und Rechts zur Kandidatur stehen."
- Der Moderator hakt nach und konfrontiert Kemmerich mit der AfD-Ankündigung: "Aber gerade die AfD sagt ja, sie könnte sich im dritten Wahlgang auch vorstellen, einen Kandidaten von CDU oder FDP zu wählen. Sie müssen also sogar damit rechnen, dass sie Stimmen von der AfD bekommen könnten."
Kemmerich naiv:
"Aber ich meine, die können ja keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken und dann jemanden anders wählen."
Genau damit hatte die AfD jedoch vor der Wahl schon kokettiert. Der Moderator knallte Kemmerich diese Tatsache erneut ins Gesicht:
- "Aber Torben Braga, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, hat eben schon angekündigt, gegebenenfalls einen geeigneten Kandidaten von CDU oder FDP unterstützen zu können, sich das vorzustellen. Wie gehen Sie denn damit um?"
- Kemmerich schweigt mehr als zwei Sekunden, stottert dann herum: "Mm. Wir… Also… Hier wird viel spekuliert. Wir schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. In jeglicher Form."
- Der Moderator: "Also das ist dann ein klassisches: 'Das wäre halt so und da kann man nichts machen.' Aber das ändert nichts an ihrer Entscheidung, im dritten Wahlgang antreten zu wollen?"
- Kemmerich bleibt dabei: "Wenn wir bei jedem politischen Angebot, was wir machen – sobald die AfD Zustimmung signalisiert – dieses dann zurückziehen, beschädigen wir auch unsere Demokratie. Wir sind überzeugt, in einem möglichen dritten Wahlgang gegen eine Kandidatur der AfD und Linken ein Angebot zu machen, was Thüringen weiterbringt. Dann werden wir uns nicht durch taktische, durchschaubare Manöver der AfD davon abbringen lassen."
Auf die Frage, ob er mit den AfD-Stimmen gerechnet hatte, wurde Kemmerich auch im "Heute Journal" angesprochen. Im Interview mit Marietta Slomka verstrickte er sich in Widersprüche. Zunächst sagte er: "Wir mussten damit rechnen, dass dieses passiert." Daraufhin ruderte er zurück und sagte, dass er "nicht davon ausgegangen" sei, dass die AfD ihn wählen würde.
Kemmerich-Interview macht auf Twitter die Runde
Auf Twitter greifen zahlreiche User nun das MDR-Interview auf. Fest steht: Überraschend kann die AfD-Unterstützung für Kemmerich nicht gewesen sein.
(hau)
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