Merz sortiert Migranten: Stadtbild und Arbeitsmarkt im Fokus
Merz ist zurückgerudert. Also ein wenig. Nicht zu viel. Nachdem seine Aussagen zu seinem Stadtbild-Problem und dem Einspannen aller Frauen (oder Töchter) in seine rassistische Rhetorik zu Protesten geführt haben, zeigt sich der Bundeskanzler bei einem Besuch in London einsichtig reumütig einordnend. Eine pompöse Entschuldigung gibt es nicht, auch kein bescheidenes Sorry.
Er lieferte eine trockene Erklärung. Deutschland brauche in Zukunft Einwanderung, vor allem für die Arbeitsmärkte; Menschen mit Migrationshintergrund seien unverzichtbar; Problem seien eben die Lungernden, Arbeitslosen, die Gesetzesbrecher – allesamt "Stadtbild-Beschmierer", so die merzsche Rhetorik.
Merz überrascht überhaupt nicht
Guter Ausländer, böser Ausländer also. Stellt sich die Frage, wie er diese unterscheidet. Kleidung? Frisur? Geruch? Gar nicht so einfach, zumal Merz die Hautfarbe allein als Kriterium ausgeschlossen hat.
Bezogen aufs Stadtbild ersäuft die Einordnung offensichtlich in Widersprüchen. Der Vorwurf einer mangelhaften Erklärung ist völlig nachvollziehbar. Keiner der zuvor Empörten wird denken: Ach so, er meinte nur die Schmuddelmigranten. Oder doch? Wer weiß.
Denn, so traurig ist die Wahrheit eben, diese Kategorisierung ist nicht neu, auch nicht etwas, worauf die CDU ein Patent hat. Selten ist die Schärfe, in der Merz das formuliert hat. Doch dass Menschen von außerhalb nur dann Platz in der Gesellschaft haben, wenn sie in Arbeit sind, teilen SPD und Grüne gleichermaßen.
Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck paraphrasierte das in einem Zehn-Punkte-Plan, Finanzminister Klingbeil ebenfalls, im Grunde alle Politiker:innen, die von irregulärer Migration sprechen – und davon, diese zu begrenzen. Anstoß gibt es da selten. In Sachen Staatsführung überrascht das aber auch nicht.
Es entspricht der Logik eines Staates, zu bestimmen, wer Teil des Staatsvolks ist, und dass dieses auch für den Arbeitsmarkt verwertbar ist. Schließlich hätten Territorium und Grenzen keinen Sinn, wenn sich Menschen einfach niederlassen könnten – ohne Erlaubnis, ohne Nutzen. Das klingt technisch – ist aber im Kern ein Machtanspruch: Wer hier lebt, soll nützlich sein.
Zuwanderung ist demnach okay, wenn sie den Fachkräftemangel ausgleicht, wenn sie dabei hilft, Wachstum zu bringen. Der Bundeskanzler spricht es offen aus. So offen, dass es an rassistischen Ressentiments kratzt.
Zeit, den Blick zu weiten
Was machen wir jetzt damit? Protestieren wäre ein Anfang. Ein einfacher Weg wäre, die Forderungen nach der Wachstumslogik auszurichten. Der Ruf nach effizienten Integrationsmaßnahmen, nach schnellerer Eingliederung in den Arbeitsmarkt, nach einer schnelleren Einbürgerung wäre eine Option. Letztere hat die Bundesregierung wieder abgeschafft – einen aktuellen Anlass gäbe es also.
Genauso könnten Protestierende fordern, Geflüchteten mehr Aussichten auf Ausbildungsplätze zu geben, Nachwuchsmangel herrscht in vielen Branchen. Dem Vorwurf sogenannter irregulärer Migration würde so schnell Bodenhaftung entzogen. Alles eher sozialdemokratisch, bräsiger Reformismus.
Schwungvoller (und mutiger) wäre es, die Wachstumslogik zu hinterfragen und damit auch den Vorbehalt der Regierungen, zu entscheiden, wer wie in einem Land leben darf. Denn dieser nationalistische Anspruch mündet notwendigerweise in rassistischen Begründungen. Die Stadtbild-Aussage ist ein Beleg dafür. Dass Merz sich nicht entschuldigt, passt da nur zu gut – wozu auch, wenn der Fehler im System liegt.