Die Stadtoberhäupter von zehn großen deutschen Kommunen haben sich in einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bereiterklärt, Flüchtlinge aus dem abgebrannten griechischen Lager Moria aufzunehmen. In dem Schreiben appellieren sie an Merkel und Seehofer, dafür den Weg zu ebnen, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Donnerstagabend berichtete.
Der Brief wurde demnach von den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern von Bielefeld, Düsseldorf, Freiburg, Gießen, Göttingen, Hannover, Köln, Krefeld, Oldenburg und Potsdam unterzeichnet. Die Stadtoberhäupter bekräftigten darin ihre Bereitschaft, "einen humanitären Beitrag zu einer menschenwürdigen Unterbringung der Schutzsuchenden in Europa" zu leisten: "Wir sind bereit, Menschen aus Moria aufzunehmen, um die humanitäre Katastrophe zu entschärfen."
Tausende Flüchtlinge auf Lesbos harrten nun dritte Nacht in Folge im Freien aus, oft mit unzureichender Nahrung. Viele der Obdachlosen waren Familien mit kleinen Kindern, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP beobachteten. Viele von ihnen hatten nicht einmal richtige Decken. "Das ist Europa?", fragte die Syrerin Fatma Al-Hani, während sie ihren zweijährigen Sohn an sich klammerte. "Ich habe genug, ich will, dass mein Baby in Frieden aufwächst", sagte sie unter Tränen.
Deutschland wird nun nach Angaben von Innenminister Horst Seehofer 100 bis 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufnehmen. Insgesamt hätten sich bisher zehn EU-Staaten bereiterklärt, die etwa 400 unbegleiteten Minderjährigen aus dem Camp auf der griechischen Insel Lesbos aufzunehmen, sagte der CSU-Politiker am Freitag in Berlin bei einer Pressekonferenz mit EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas.
Man sei mit weiteren Ländern im Gespräch. Deutschland und Frankreich seien bereit, mit rund 100 bis 150 Personen den Großteil aufzunehmen. Man habe der griechischen Regierung zudem Hilfe bei der Versorgung vor Ort zugesagt. Die griechische Regierung habe am Donnerstagnachmittag eine Bedarfsliste übermittelt.
Merkel hatte zuvor angekündigt, dass Deutschland ebenso wie Frankreich minderjährige Flüchtlinge aus Moria aufnehmen werde. Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Verhandlungskreisen erfuhr, geht es um die Verteilung von rund 400 Kindern und Jugendlichen innerhalb der EU. In dem auf der Ägäis-Insel Lesbos gelegenen Lager - dem größten der Europäischen Union - lebten vor den Bränden allerdings rund 12.000 Menschen.
Merkel sagte bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, sie habe den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis gefragt, "was wir helfen können". Er habe die Bitte geäußert, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aufzunehmen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bestätigte bei einem Treffen der EU-Mittelmeeranrainerstaaten auf Korsika, dass er mit Merkel eine europäische Initiative zur Flüchtlingsaufnahme plane.
"Wir werden versuchen, eine möglichst große Zahl europäischer Länder zu bewegen, Flüchtlinge aufzunehmen, vor allem Minderjährige", sagte Macron. Die Niederlande erklärten sich bereits bereit, rund hundert Menschen aufzunehmen.
Entwicklungsminister Gerd Müller setzt nach der deutsch-französischen Ankündigung auf die Solidarität innerhalb der EU. Jetzt müssten auch die anderen europäischen Länder und die EU-Kommission entschlossen handeln, sagte der CSU-Politiker der "Passauer Neue Presse" (Freitag). "Die dramatischen Ereignisse in Moria müssen ein Weckruf sein, die Zustände zu ändern und endlich zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in Europa zu kommen." In Moria seien keine Flüchtlinge Griechenlands. "Das sind Europas Flüchtlinge."
Kritik äußerte Müller auch an den griechischen Behörden, die das überfüllte Lager auf Lesbos über Jahre nicht nennenswert erweitert, saniert oder umgebaut hätten. Er habe bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen, es in kleinere Einheiten umzubauen, nach den Standards des UN-Flüchtlingshilfswerks, sagte Müller. "Im Irak oder in Kenia ist das ja auch möglich." Über die Zustände auf Lesbos sagte er: "Ich war in vielen Flüchtlingslagern in Afrika oder in Nahost. Nirgends herrschen so dramatische Zustände wie in Moria - und das mitten in Europa." Der "Augsburger Allgemeinen" sagte er: "Kaum ein Lager der Welt hat schlechtere Lebensbedingungen."
Mitsotakis sagte bei dem Treffen auf Korsika, die EU müsse in der Flüchtlingsfrage "von Solidaritätsparolen zu einer Politik des solidarischen Handelns" übergehen. Moria war seit Jahren völlig überfüllt. Die Menschen lebten dort unter teils katastrophalen Bedingungen.
Durch die Brände wurde das Lager fast völlig zerstört. Die am Dienstag ausgebrochenen Feuer vernichteten die innersten Teile des Lagers, in denen etwa 4000 Menschen lebten. Durch ein weiteres Feuer am Mittwoch wurden dann auch jene Teile des Lagers weitgehend zerstört, in denen rund 8000 Menschen in provisorischen Baracken und in Zelten wohnten, wie das Migrationsministerium in Athen mitteilte.
Die Ursachen der Brände waren weiter unklar. Vor dem Ausbruch der ersten Feuer hatte es Proteste gegen die Quarantäne-Anordnung für 35 Lagerbewohner gegeben, die positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.
Anwohner widersetzen sich unterdessen der Errichtung neuer Zelte für die Flüchtlinge, indem sie Straßenbarrikaden errichteten. "Jetzt ist die Zeit, um Moria endgültig zu schließen", sagte Vangelis Violatzis, Vorsitzender der Gemeinde Panagiouda, zu AFP. Die griechischen Behörden planten derweil, einen Teil der Flüchtlinge vorübergehend auf einer Fähre und zwei Marineschiffen unterzubringen.
(pcl/afp)