RKI-Chef Wieler nimmt auch Arbeitgeber in die Pflicht.Bild: imago images / Metodi Popow
Deutschland
An mehreren Tagen zeigt die Statistik derzeit mehr als 1000
Corona-Tote in Deutschland. Das liegt auch daran, dass die Regeln im
zweiten Corona-Lockdown weitaus halbherziger befolgt wurden als im
ersten. Was muss das Land dazulernen?
RKI-Analyse: Lage könnte sich verschlimmern
Es reicht einfach nicht: Das Verhalten der
Bundesbürger im zweiten Corona-Lockdown ist nach einer Analyse des
Robert Koch-Instituts weiterhin zu inkonsequent, um die Pandemie
zeitnah in den Griff zu bekommen. Auch die bisherigen Pandemie-Regeln
gehen dem Bundesinstitut nicht weit genug.
"Diese Maßnahmen, die wir jetzt machen – für mich ist das kein
vollständiger Lockdown", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am
Donnerstag. "Es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und es wird nicht
stringent durchgeführt." Mit Blick auf ansteckendere Mutationen des
Coronavirus ergänzte er: "Es besteht die Möglichkeit, dass sich die
Lage noch verschlimmert."
"Das ist, als ob Sie im Regen stehen, den Schirm nicht aufspannen und dann hinterher sagen, der Schirm funktioniert nicht."
RKI-Präsident Lothar Wieler
Bisher kein Rückgang der Zahlen erkennbar
Bisher ist es nach der RKI-Statistik nicht gelungen, die
Infektionsraten in Deutschland massiv zu drücken. Mehr als 25.000
neue Covid-Fälle meldete das Institut am Donnerstag. Damit bleibt es
trotz kleiner Lichtblicke, die noch keinen Trend belegen, bei einem
viel zu hohen Plateau. Die Quittung für die seit Wochen hohen
Infektionszahlen gibt es jeden Tag in Alten- und Pflegeheimen, auf
den Intensivstationen und beim Blick auf Todesfallzahlen. Mit 1244
Menschen sind am Donnerstag so viele Tote innerhalb von 24 Stunden
gemeldet worden wie noch nie seit Beginn der Pandemie.
Das RKI hält deshalb auf der Basis von Rechenmodellen einen
strengeren Lockdown für sinnvoll. Regeln, die zu weniger Kontakten
führten, müssten verschärft werden, sagte Epidemiologe Dirk
Brockmann. "Alle Modelle sind sich einig, dass das massiver und
effektiver passieren muss." Deutschland müsse in einer Phase kommen,
in der die Inzidenz substanziell und schnell heruntergehe. So wie im
Frühjahr.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
will sich bereits für "weitere und schärfere Maßnahmen" einsetzen,
kündigte er am Donnerstag an. Er wolle bei Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) auch darauf dringen, dass die für den 25. Januar geplante
Videokonferenz mit den anderen Ministerpräsidenten auf nächste Woche
vorgezogen werde.
"Der Aspekt mit den Toten bedrückt mich enorm", sagte RKI-Präsident
Wieler. Sehr viele finden wir in Pflege- und Altenheimen." Die
Einrichtungen müssten besser geschützt werden. Eugen Brysch, Vorstand
der Deutschen Stiftung Patientenschutz, findet deutlichere Worte.
"Die vielen Infektionen und hohen Todesraten unter den 900.000
Pflegeheimbewohnern sind vor allem auf mangelnde Hygiene
zurückzuführen", kritisierte er. Es gebe kaum noch externe Kontrollen
durch die Gesundheitsämter und weiterhin keine verpflichtenden Tests
vor jedem Dienstbeginn und Besuch. "Das ist die toxische Mischung."
Bisher versagten Bund, Länder, Gemeinden und auch die Einrichtungen
vor Ort bei dieser lebensentscheidenden Aufgabe.
Die deutsche Bevölkerung ist noch zu inkonsequent
Inkonsequenz beim Befolgen der Pandemie-Regeln in Deutschland kann
für Wieler viele Gesichter haben: Firmen zum Beispiel, die gute
Hygienekonzept für ihre Büros haben – doch dann treffen sich große
Gruppen von Kollegen zum Mittagessen in der Kantine. "Es braucht mehr
verantwortungsvolle Arbeitgeber", mahnte er. Und Homeoffice, wo es
geht.
Es braucht aber wohl auch mehr verantwortungsvolle Bürger. Die
Sonntagsausflüge im Dezember etwa nahmen der RKI-Mobilitätsanalyse zufolge kaum ab – ganz anders als beim ersten Lockdown im
Frühjahr. Weihnachten gab es weniger weite Reisen, doch insgesamt
ging die Mobilität nach Brockmanns Analyse im Vergleich zum Vorjahr
nur um 10 bis 15 Prozent zurück. Das reiche nicht.
"In allen Bereichen gibt es Luft nach oben", bilanzierte Wieler. Er
zeichnet ein Bild für das Verhalten im Land: "Das ist, als ob Sie im
Regen stehen, den Schirm nicht aufspannen und dann hinterher sagen,
der Schirm funktioniert nicht."
Im Moment ist zudem laut Wieler die Mutations-Situation in
Deutschland noch nicht abschätzbar. Doch klar sei: Die ansteckenderen
Virusvarianten hätten Reisende aus Großbritannien und Südafrika
mitgebracht. Bislang gebe es rund 20 Belege in Deutschland. Deshalb
Wielers Appell: Bitte wenn möglich nicht reisen!
Zum Schutz aller geht es darüber hinaus um Regeln, die der RKI-Chef
seit Wochen gebetsmühlenartig wiederholt: möglichst wenige Menschen
treffen, und wenn, dann am besten draußen. Abstand halten, Masken
tragen, Händewaschen. Zu Hause bleiben und zu Hause arbeiten, wo und
wann immer das möglich ist.
Doch die Realität sieht oft anders aus: Wenn die 83-Jährige im
Supermarkt um 1,5 Meter Abstand an der Kasse bittet, wird sie in
Berlin von anderen Kunden angeblafft – man trage doch schließlich
Masken!
Das Impfen als Weg aus der Pandemie wird dauern. Mit 840.000 Menschen
sei nun rund ein Prozent der Bevölkerung geimpft, sagte
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Damit habe der Weg heraus
aus der Pandemie begonnen. Jeder muss jedoch zweimal geimpft werden.
"Gleichzeitig sind wir noch in der schwersten Phase der Pandemie",
sagte Spahn. Die Zahl der Infektionen und Toten sei sehr betrüblich.
Wieler versuchte, es positiv zu formulieren: "Am Ende dieses Jahres
werden wir die Pandemie kontrolliert haben." Das sind noch elfeinhalb
Monate – und wie viele Tote?
(vdv/dpa)
Mehr als zweieinhalb Jahre nach Wladimir Putins Ankündigung, Kiew innerhalb weniger Tage einzunehmen, setzt sich das Töten, Sterben und Verwunden an der ukrainischen Front ungebremst fort. Den gefährlichen Kampfeinsatz versüßt der russische Machthaber seinen Soldaten mit stetig steigenden Solden.