Es steht mal wieder ein Herbst der Entscheidung an für die notorisch zerstrittene schwarz-rote Koalition. In zwei Wochen wählen die Menschen in Sachsen und Brandenburg neue Landtage.
Politische Erfolge sind in einer solch heiklen Lage dringend nötig. Wohl auch aus diesem Grund rauft sich der Koalitionsausschuss am Sonntagabend bei wichtigen Themen zum gemeinsamen Vorgehen zusammen. Die oft zerstrittenen Koalitionäre dürften so vor den wichtigen Wahlen im Osten ein Signal der Handlungsfähigkeit setzen wollen.
Fast schon im Eiltempo, nach nicht einmal einer Stunde, präsentieren Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Einigung auf ein Wohn- und Mietenpaket. Damit sollen Mieter und Immobilienkäufer entlastet und der Bau von mehr Wohnraum soll angekurbelt werden. Schaut her, liebe Wähler, soll das wohl heißen: Wir schaffen noch was.
Einen für das interne Klima in der Koalitionsspitze womöglich noch wichtigeren Beschluss teilt die Runde am späten Abend nach ihrer rund viereinhalbstündigen Sitzung mit: Die Bundesregierung will die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Bestandsaufnahme und die Entscheidung, welche neuen Vorhaben vereinbart werden müssen, ausdrücklich gemeinsam bis spätestens Mitte Oktober vornehmen.
Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht. Denn koalitionskritische Kreise in der SPD sehen den Revisions-Passus im Koalitionsvertrag als möglichen Hebel, um aus der ungeliebten Regierung auszusteigen.
Zwar muss der SPD-Parteitag im Dezember, bei dem auch eine neue Parteispitze gewählt werden soll, die Halbzeitbilanz der Bundesregierung noch bewerten – er könnte sie auch ablehnen. Es dürfte allerdings dennoch von erheblichem Gewicht auch für die interne Diskussion bei den Sozialdemokraten sein, wenn deren Regierungsmitglieder eine positive Zwischenbilanz ziehen. Sie würden damit signalisieren: Es lohnt sich, Schwarz-Rot bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 fortzusetzen.
Ob die Ergebnisse vom Sonntagabend tatsächlich dazu beitragen, die fragile Lage der Koalition zu stabilisieren, ist offen. Zuletzt hatten die Spitzen von CDU und SPD teils wie durch den Wind gewirkt, nervös und flatterig.
Unmittelbar vor dem Koalitionsausschuss muss CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ein neuerliches Kommunikationsdesaster verkraften. Den ganzen Samstag ist sie damit beschäftigt, das Echo eines Interviews mit der Funke-Mediengruppe einzufangen.
Die Journalisten hatten die CDU-Vorsitzende angesichts des mit Querschüssen nervenden Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen gefragt, ob sie über ein Ausschlussverfahren nachdenke. Als die Meldungen zu ihrer Antwort mit dem Tenor "Kramp-Karrenbauer bringt Ausschluss von Maaßen ins Spiel" in den Nachrichten laufen, sind Aufregung und Empörung vor allem unter den Unionswahlkämpfern in den Ostländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen groß.
Tatsächlich hatte AKK kein Ausschlussverfahren verlangt oder gar angekündigt. Doch wie in den ersten Monaten als Parteichefin, als sie mit ungeschickten Reaktionen auf die CDU-Kritik des Youtubers Rezo oder Äußerungen zur Meinungsfreiheit für Entrüstung gesorgt hatte, ist Kramp-Karrenbauer schon wieder in der Defensive.
Nach Wochen gefühlter Lethargie ist das Bewerberkarussell für eine künftige SPD-Doppelspitze in Schwung gekommen. Doch auch hier gilt: Bis zum Parteitag im Dezember, der die Entscheidung über die neue SPD-Führung und wohl auch den Verbleib in der Koalition bringen soll, stehen noch Wochen der Unsicherheit und des internen Wahlkampfes an. Für die Lösung von Sachproblemen und eine stabile Regierung dürfte ein solcher Zustand Gift sein.
Immerhin gibt sich Finanzminister und SPD-Vize Olaf Scholz beim Tag der offenen Tür der Bundespressekonferenz am Sonntag gewohnt gelassen.
Ungewöhnlich gefühlig wird der als eher nüchtern bekannte Norddeutsche, als er seine überraschende Kandidatur für den SPD-Vorsitz begründet. Er sei seit seinem 17. Lebensjahr Sozialdemokrat. "Ich spür' das tief in meinem Magen, was da gegenwärtig an Umfragewerten zu verzeichnen ist und möchte alles dazu beitragen, dass sich das ändert", sagt er.
Für den Fortbestand der großen Koalition dürfte die Kandidatur von Scholz von besonderer Bedeutung sein: Bei nahezu allen anderen Bewerber-Duos ist eher davon auszugehen, dass mit ihnen der Ausstieg näherrücken würde.
Auch für CSU-Chef Markus Söder hängt viel am Erfolg der GroKo, auch seine Partei sieht den Wahlen im Osten bang entgegen. Nur in Regierungsverantwortung im Bund kann die CSU ihren Sonderstatus in Bayern aufrecht erhalten. Dabei baut Söder vor, damit seine CSU nicht unvorbereitet in eine mögliche Neuwahl schlittert.
Seit Wochen biegt der CSU-Chef seine konservative Partei auf den grünen Pfad, gibt sich als Retter von Tierarten und Weltklima. So würde es für die CSU leichter, sich im Fall der Fälle einem Bündnis mit den seit Monaten starken Grünen zu öffnen – zumindest durch thematische Überschneidungen. Die nun vom Koalitionsausschuss vereinbarten zusätzlichen Sitzungstermine zum Klimathema dürften Söder nicht gefallen: Ihm geht die Diskussion zu langsam.
Und die Kanzlerin? Merkel präsentiert sich beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt betont gelassen. Sie preist die Kunst der Geduld, die man immer wieder neu erlernen müsse, und gibt Einblicke in Verhandlungstaktik. Eine Regel kennen auch Familien im Umgang mit Kindern, wie Merkel sagt.
"Wenn Eltern abends ausgehen wollen und wollen, dass die Kinder schnell ins Bett gehen, dann geht das meistens schief, weil die Kinder riechen das und brauchen besonders lange." Genauso sei es in der Politik. "Wenn derjenige, mit dem man verhandelt, spürt, dass ich ungeduldig bin, dann wird's garnüscht", sagt Merkel. "Ungeduld riecht man."
(pb/dpa)