Monatelang befand sich die SPD im Führungsvakuum. Am Samstag wurde der Ausgang des Mitgliedervotums bekanntgegeben: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen die Doppelspitze bilden. Auf dem Parteitag am nächsten Samstag werden die beiden als neue Vorsitzende formal gewählt. Am Donnerstag vor der Entscheidung war das Duo, wie zuvor Olaf Scholz und Klara Geywitz, bei Markus Lanz zu Gast gewesen.
Und was soll man sagen: Einen Gefallen haben sich die beiden mit dem Auftritt nicht getan, wenn man sich das Echo in den sozialen Netzwerken ansah. Eine Aussage über Olaf Scholz fiel Saskia Esken so sehr auf die Füße, dass sie sich am Morgen nach der Sendung dafür entschuldigte. Dazu gleich mehr.
Die Sendung zeigte sinnbildlich: Im Vergleich mit erfahrenen Erste-Reihe-Politikern auf Bundesebene, wie es der unterlegene Konkurrent Scholz etwa ist, fehlt es Walter-Borjans und vor allem Esken bislang an rhetorischer Geschliffenheit, an Abgebrühtheit und Souveränität beim öffentlichen Auftreten.
Das Gespräch hatte schon komisch angefangen. Markus Lanz, der für seine Nachfragen bekannt ist, war an diesem Tag in Höchstform. Sein Lieblingsopfer: Saskia Esken.
Sie fühle sich gerüstet, sagte Saskia Esken im Anschluss nur. Eine etwas sehr dünne Antwort. Norbert Walter-Borjans, der rhetorisch deutlich versiertere Teil des Duos, machte da schon große Augen. Doch es ging weiter.
Auch den nächsten Themenkomplex lenkte Lanz mit seinen Nachfragen schnell in eine Richtung, in der Esken nicht gut aussah.
"Kommen wir zu den schönen Dingen des Lebens: Wie sind Sie beide sich näher gekommen?", fragte Lanz. Esken antwortete: "Ich habe Norbert eine SMS geschrieben, dass wir reden müssen." Sie habe sich die Geschichte von Walter-Borjans angeschaut und sei beeindruckt gewesen von seinem Einsatz als NRW-Finanzminister. Der SPD-Politiker hatte damals viele Steuer-CDs gekauft und einen von der schwarz-gelben Bundesregierung bereits abgenickten Entwurf für ein bilaterales Steuergesetz mit der Schweiz mitverhindert, von dem seiner Meinung nach Steuerhinterzieher profitiert hätten.
Stille im TV-Studio. Lanz fassungslos:
Esken geriet weiter ins Schwimmen: "In so langen Jahren in Regierungsverantwortung hat man sich schon in Kompromisse begeben in vielen langen Jahren, die tatsächlich die Sozialdemokratie auch... nicht standhaft..."
Walter-Borjans, der diese unglücklichen Momente stillsitzend mit ansehen musste, machte erneut große Augen.
Walter-Borjans versuchte, die Situation zu retten. "Es gibt ja einen Grund, warum ich mich, nachdem Olaf Scholz schon im Rennen war, auch entschieden habe, zu kandidieren." An manchen Stellen müsse man mal durchziehen und nicht immer den Kompromiss finden, so der Kandidat für den SPD-Vorsitz.
Die Aussage seiner Co-Bewerberin kassierte Walter-Borjans dann jedoch galant ein: "Das ist jetzt für mich keine Frage von mangelnder Standhaftigkeit."
In den sozialen Netzwerken hat der Auftritt von Walter-Borjans und Esken, die wenig später die Mitgliederbefragung für sich entschieden, für Diskussionen gesorgt. Die meisten User sind sich einig: Das war nix.
Jetzt sind Esken und Walter-Borjans (noch designierte) Parteichefs, und als solche stehen sie spätestens ab Samstag 24/7 unter permanenter, besonders kritischer Beobachtung. Das bedeutet nicht nur, dass Fehler wie solche in der "Lanz"-Sendung ab jetzt schwerer verziehen werden.
Sondern, dass die beiden stattdessen begeistern, euphorisieren, mitreißen müssen. Dafür müssen sich Walter-Borjans und Esken rhetorisch noch einiges draufschaufeln.
(hau)