Die Kanzlerin macht Urlaub. Wie in den vergangenen Jahren reist Angela Merkel in der Sommerpause nach Südtirol. Die "Bild"-Zeitung hat die CDU-Politikerin dabei bei ihrer Ferienlektüre erspäht – und die ist ziemlich vielsagend.
Wie auf den Fotos zu sehen ist, liest Merkel gerade das Buch "Der Tyrann" des amerikanischen Literaturkritikers Stephen Greenblatt.
Der 75-Jährige gehört zu den bekanntesten Shakespeare-Experten in der Literaturwelt. In "Der Tyrann" untersucht Greenblatt die verschiedenen Herrscher-Figuren im Werk von William Shakespeare. Das Buch ist vor allem eine literarische Untersuchung – und dennoch dürfte Merkel es nicht allein aufgrund der Shakespeare-Analyse ausgewählt haben.
Wir geben euch einen kleinen Einblick in die Urlaubslektüre von Angela Merkel.
Im ersten Kapitel schreibt Greenblatt: "Warum lassen sich so viele Menschen in die Irre führen, obwohl sie wissen, dass man sie belügt?"
Klingt ein wenig nach einem Präsidenten eines großen Landes, der es mit der Wahrheit nicht genau nimmt? Einem Präsidenten, mit dem Angela Merkel in den vergangenen Jahren immer wieder aneinander geraten ist und zu dem sie keinen rechten Zugang zu finden scheint?
Zum Erscheinen des Buchs sagte Greenblatt dem Deutschlandfunk:
Der Literaturkritiker aber will sein Buch nicht als Ratgeber im Umgang mit Tyrannen und Despoten verstanden wissen. Der Name Trump taucht im Buch nie explizit auf, auch nicht der von Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan. "Ich glaube nicht, dass uns Shakespeare einen Rat geben kann, was die gegenwärtige Situation anbelangt", sagte er dem Deutschlandfunk.
Aber dennoch habe der englische Dichter "ein paar sehr gewichtige Dinge" gesagt über Kulturen, die wie die westliche derzeit das Gefühl haben, in eine Krise zu rutschen.
Greenblatt analysiert etwa in seinem Buch Shakespeares Historiendrama "Heinrich VI." und schreibt, wie das Stück die Erfindung politischer Parteien erklärt – und wie eine konfrontative Parteipolitik den Aufstieg eines Despoten begünstigt.
"Heinrich VI." basiert auf der Vorgeschichte der Rosenkriege, bei denen sich die englischen Adelshäuser York und Lancaster bekämpften. Die Wappen der Häuser, die weiße Rose des Hauses Yorks und die rote Rose des Hauses Lancaster, wurden zu den Symbolen der blutigen Auseinandersetzung. Die Embleme würden "Gruppensolidarität und -hass befördern", schreibt Greenblatt in seinem Buch. "Dieser Hass ist ein wichtiger Teil dessen, was zum sozialen Zusammenbruch und schließlich zur Tyrannei führt."
Über die Figur des John Cades, der in Teil 2 des "Heinrich VI." auftaucht und König werden will, schreibt Greenblatt: "Cade verkündet offensichtliche Lügen über seine Herkunft, prahlt mit den großen Dingen, die er tun will, und die Menge nimmt alles begierig auf."
Und:
Offensichtlich, an wen Angela Merkel im Urlaub da wohl denken wird, wenn sie diese Zeilen liest.
(ll)