Einen größeren Gefallen hätte Sigmar Gabriel der AfD gar nicht machen können – und keinen schlimmeren der SPD.
"Die Arbeiterpartei ist derzeit die AfD" soll der Ex-SPD-Parteivorsitzende (2009-2017), Ex-Minister und Ex-Vize-Kanzler Gabriel auf einer Veranstaltung in Hamburg laut Hamburger Abendblatt vergangene Woche gesagt haben.
Für die AfD eine Steilvorlage. Die lässt sich naturgemäß nicht zweimal bitten und beruft sich nun auf das einstige SPD-Schwergewicht als neuen Kronzeugen. Sie nutzt Gabriels Satz als eine Art Ritterschlag von einem, der es ja wissen muss.
Natürlich machte und macht das Gabriel-Zitat die Runde in Social Media. Die AfD-Spruchkartenproduzenten hatten es vermutlich nie so einfach, denn das Gabriel-Zitat ist für die Rechtspopulisten reinstes Spruchkartengold. Das Zitat Gabriels dient AfD und "alternativen" Medien fortan als Beweisführung dafür, dass sich die AfD um die hart arbeitende Bevölkerung kümmert. Der Tenor: 'Seht her, wir sind die neue Arbeiterpartei.'
Dabei galt Gabriels Satz eigentlich mehr der SPD als der AfD. Denn Gabriel ist ein scharfer Kritiker der AfD. Er hatte bei der Rede in Hamburg zu einer Grundsatzkritik gegen die eigene Partei ausgeholt. Er erklärte, warum die Partei aus seiner Sicht die eigentliche Urklientel, die Arbeiter, verliere.
Gabriel kritisierte, dass Themen wie "Schwulenrechte, Gleichstellungsrechte, Migration" überhandnehmen und deswegen die SPD ihre klassische Bindewirkung an den großen Teil der Gesellschaft verlieren würde. Ökonomische und soziale Fragen würden in der SPD nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen mache sie Politik für Minderheiten.
Mit anderen Worten: Die AfD spricht die Themen und Menschen an, die eigentlich die SPD ansprechen müsste. In diesen Kontext fiel auch der AfD-Verweis.
Seit langem stört sich Ex-Parteichef Sigmar Gabriel an Kurs und Spitzenpersonal der eigenen Partei. Zu links, zu akademisch, zu wenig bei den Menschen. "Dorthin gehen, wo es stinkt", hatte er den Genossen einst sinngemäß ins Handbuch geschrieben. Mehr noch aber dürfte ihn ärgern, dass er in der Partei keine Rolle mehr spielt – und seit Andrea Nahles kurzzeitig den Vorsitz übernommen hatte, auch keine mehr spielen darf. Weil das so ist, hat er im November auch sein Bundestagsmandat abgegeben. "Wenn man nicht mehr gebraucht wird, dann soll man besser gehen", hatte er in seinem Abschiedsbrief an die Genossen geschrieben.
Was ihn offenbar nicht daran hindert, seinen Nachfolgern regelmäßig durch Wortbeiträge ein schlechtes Zeugnis auszustellen. Waren es in der Vergangenheit vor allem Andrea Nahles oder Kevin Kühnert, die mit Gabriel-Kritik leben mussten, attackierte Gabriel in seiner Hamburger Grundsatzrede auch eine Genossin, die erst noch in der SPD-Spitze ankommen will.
"Bei uns haben die Leute das Sagen, die die schlechtesten Wahlergebnisse haben" hatte er in der Hamburger Rede vorgetragen und meinte damit Saskia Esken. Sie soll auf dem Parteitag am Wochenende zusammen mit Norbert Walter-Borjans das neue Spitzenduo bilden. Esken hatte bei der vergangenen Bundestagswahl in ihrem Wahlkreis gerade einmal 16,9 Prozent der Erststimmen geholt, weshalb sich Gabriel zu der Bemerkung hinreißen ließ:
Es sind Äußerungen wie diese, die doch eher nach Abrechnung als nach wohlmeinender Kritik klingen. Nach Fundamentalkritik gegen eine am Boden liegende Partei, ausgesprochen von einem, der noch bis vor zwei Jahren acht Jahre lang an der Spitze der Organisation stand, die er nun in Grund und Boden kritisiert.
Und es sind Sätze, die sich nicht mehr so einfach einfangen lassen. Lange noch werden sich AfD-Anhänger darauf berufen, die SPD als Arbeiterpartei abgelöst zu haben. Sie werden sich berufen auf Sigmar Gabriel, den Sozialdemokraten, den einstigen Vizekanzler und Außenminister.
(ts)