Frankreich: Macrons Macht bröckelt – und mit ihr Europas Handlungsfähigkeit
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steckt in der schwersten Krise seiner Amtszeit. Nach dem Rücktritt von Premierminister Sébastien Lecornu sucht der Élysée-Palast erneut nach einer stabilen Regierung. Neuwahlen gelten vorerst als unwahrscheinlich, doch die politische Lähmung in Paris hat längst Folgen für ganz Europa.
Der Frankreich-Experte Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht in der Pariser Regierungskrise längst kein nationales Problem mehr. Auf Anfrage von watson warnt er, Frankreichs innenpolitische Lage sei "dramatisch" – mit Konsequenzen, die weit über Paris hinausreichen, bis nach Brüssel.
EU-Experte warnt: Frankreichs Krise lähmt auch Europa
"Die neueste Episode der innenpolitischen Krise Frankreichs, die man mittlerweile permanent nennen muss, verstärkt den Eindruck, dass wichtige europäische Mitgliedsstaaten zunehmend gelähmt sind und damit natürlich auch Entscheidungen auf der EU-Ebene erschweren", sagt Ross zu watson.
Zwar habe die Bundesregierung vor einer "Dramatisierung" gewarnt. Doch Ross hält dagegen:
Frankreich ist neben Deutschland einer der zentralen Pfeiler der EU, seine Instabilität trifft das gesamte europäische Gleichgewicht.
Krise in Frankreich: Deutsch-französische Achse auf der Kippe
Das Land steht mit einer Staatsverschuldung von mehr als 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einem Defizit von 5,8 Prozent unter Druck. In nur dreieinhalb Jahren hat Macron fünf Premierminister verschlissen, zuletzt Sébastien Lecornu, der nach nur vier Wochen im Amt zurücktrat.
Seine Minderheitsregierung zerbrach am Streit über den Sparkurs, höhere Steuern für Reiche und über Macrons umstrittene Rentenreform, die das Eintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anhebt.
Das politische Tauziehen in Paris bleibt nicht ohne Folgen für Europa. Schon jetzt mehren sich Warnungen, dass die anhaltende Instabilität Frankreichs gemeinsame Projekte mit Deutschland gefährden könnte.
Ross sieht die Qualität der deutsch-französischen Zusammenarbeit bedroht. Ende August hätten beide Regierungen in Toulon eine ambitionierte Agenda beschlossen, um Blockaden etwa in Energie- oder Handelspolitik zu lösen. "Diese Agenda ist nun mindestens gefährdet, vermutlich obsolet", so Ross. Viele Minister:innen, die damals am Tisch saßen, seien nicht mehr im Amt.
Macrons Machtverlust schwächt Frankreichs Rolle im Ukraine-Krieg
Auch außenpolitisch bleibt die Lage heikel. Frankreich hatte zuletzt eine zentrale Rolle in der sogenannten "Koalition der Willigen" gespielt, die militärische Unterstützung und diplomatische Initiativen für die Ukraine koordiniert. Deren Einfluss auf die gescheiterten Waffenruhe-Verhandlungen sei jedoch begrenzt gewesen, entsprechend halte sich auch die unmittelbare Wirkung von Macrons Machtverlust "wohl in Grenzen".
Langfristig aber könnte die Krise Europas Kurs verändern. Sollte der rechtsnationale Rassemblement National mitregieren, warnt Ross. Demnach könnten "Waffenlieferungen und auch die politische Unterstützung für die Ukraine grundsätzlich in Frage gestellt werden".
Zugleich wächst der Druck auf den Präsidenten selbst. Aktuell mehren sich Rücktrittsforderungen, nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus seinem eigenen Lager. Selbst sein früherer Premier Édouard Philippe forderte, Macron müsse "den Weg für vorzeitige Präsidentschaftswahlen freimachen".
Sébastien Lecornu hatte zuletzt im französischen Fernsehen betont, er sehe Chancen auf einen Kompromiss beim Haushalt. Nach Gesprächen mit anderen Parteien habe er Macron mitgeteilt, dass "noch ein Weg möglich" sei. Wie Frankreich aus seiner Blockade herausfindet, bleibt ungewiss. Sicher ist nur, dass Europa ohne Paris nur schwer vorankommt.