Lange Zeit war Corona das dominierende Thema in den Polit-Talkshows. Doch nun schiebt sich ein weiteres Geschehen in den Fokus: Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Auslöser war der gewaltsame Tod von George Floyd, einem Afroamerikaner. Moderator Markus Lanz wollte in seiner Sendung nun beide Schwerpunkte thematisieren und hatte sich dafür die gebürtige US-Amerikanerin und Journalistin Melinda Crane, Filmemacherin Mo Asumang, FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und Physiker Prof. Dirk Brockmann eingeladen.
Begonnen wurde mit den brandaktuellen Protesten in den USA. Während in einigen Städten friedlich demonstriert wird, kommt es in anderen Regionen zu Ausschreitungen bis hin zu Plünderungen. Mo Asumang findet es bemerkenswert, dass auch Weiße mitlaufen bei den Protesten, das sei "nicht selbstverständlich". Melinda Crane findet es vor allem interessant, dass es dieses Mal nicht nur Weiße sind, die mitmachen, sondern auch Latinos, Alte und Junge – es sei eine "sehr heterogene Mischung". Es sei deshalb auch nicht passend von Rassenunruhe zu sprechen, denn die Proteste richten sich auch gegen das Establishment, betont Crane.
Markus Lanz hebt noch einmal eine drastische Zahl hervor: Es gibt 1000 Tote durch Polizeigewalt jedes Jahr in den USA. Eine Zahl, die ihm so nicht bewusst gewesen sei. Dass es noch immer zu so viel Polizeigewalt kommt, habe auch mit Trumps Politik zu tun. Denn unter der Regierung Obamas habe das Bundesjustizministerium noch mit Polizeieinheiten zusammengearbeitet, um deeskalierende Taktiken zu lernen. Aber unter Trump sei das Programm sofort beendet worden, erklärt Crane.
Trumps Umgang mit der aktuellen Situation stößt in der Talk-Runde auf Unverständnis und Kritik. Der Präsident versteckt sich im Regierungsbunker, hat Militär vor dem Weißen Haus postiert. Etwas, was es so vorher noch nicht gegeben hat und etwas, was man eher in Lateinamerika vermuten würde, wie Wolfgang Kubicki meint. Und der FDP-Politiker wird deutlich:
Auch eine andere Szene geriet in den Fokus der Gäste: Wie Trump sich den Weg zu einer Kirche in der Nähe des Weißen Hauses quasi mit Tränengas freischießen ließ, um dann dort mit einer Bibel in der Hand zu posieren. Dazu sagt Crane:
Markus Lanz lenkt das Gespräch anschließend auf den Rassismus in Deutschland und lässt vor allem Filmemacherin Mo Asumang zu Wort kommen. Sie hat als Tochter eines Afroamerikaners selbst rassistische Erfahrungen sammeln müssen. Vor allem in ihrer Zeit als Taxifahrerin sei sie mit gewalttätigen und rassistisch motivierten Übergriffen konfrontiert gewesen. Lanz meint allerdings, dass er dennoch den Eindruck habe, dass Deutschland eigentlich in der großen Masse ein sehr tolerantes und liberales Land sei. Da kann Asumang nur schmunzeln:
Ihrer Meinung nach habe sich die Stimmung gerade durch die AfD in Deutschland massiv geändert. Ihr begegne mittlerweile wieder deutlich mehr Alltagsrassismus.
Nach diesem Diskurs folgte ein extrem harter Cut und Markus Lanz schwenkte vom Thema Rassismus auf den weiteren Schwerpunkt der Sendung: die Corona-Pandemie. Dafür hatte er Wolfgang Kubicki und Dr. Dirk Brockmann vom RKI eingeladen. Auslöser war, dass Lanz kürzlich eine Aussage Kubickis zitiert hatte, die der FDP-Politiker so nicht stehen lassen wollte. Wenn sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten im April hinsetzen und im Beisein des RKI-Chefs sagen, dass der R-Wert wieder bei eins liegt, sei das "politisch gewollt", hatte Lanz zitiert und gesagt, diese Aussage fände er daneben. "Das finde ich auch daneben", meint Kubicki nun. Er wolle dem RKI keinesfalls vorwerfen, falsche Zahlen verbreitet zu haben.
Allerdings hinterlasse die Publikation von Zahlen bei ihm den Eindruck, als sei es mehr politisch motiviert, als dass es wissenschaftlich begründet sei. Wo da der Unterschied liege, fragt Lanz. "Das ist ein großer Unterschied", betont Kubicki daraufhin. Das damals ausgerechnet Markus Söder gleichzeitig für das stark von Corona betroffene Bayern einen viel geringeren R-Wert präsentiert hatte, habe ihn aufhorchen lassen. Er und sein Büro hätten genau wie Wissenschaftsjournalisten daraufhin die Zahlen des RKI nachgerechnet und man sei auf einen Wert von 0,85 oder 0,87 gekommen.
Dass wenig später auch das RKI die Zahl von damals – ohne Nennung von Gründen – nach unten korrigierte, war dann natürlich Wasser auf seine Mühlen. Einen möglichen Grund für die Korrektur lieferte nun Brockmann: Die Datenlage, die zur Berechnung herangezogen wird, könnte sich schlicht und ergreifend geändert haben. Das sei nicht ungewöhnlich.
Lanz richtete sich daraufhin mit deutlichen Worten an Kubicki: "Sie diskreditieren Politik und sie diskreditieren Wissenschaft." Diesen Vorwurf wollte sich der Politiker natürlich nicht gefallen lassen und widersprach. Brockmann hingegen konnte über Kubickis Unterstellung, die Zahlen beim RKI seien geschönt gewesen, nur lachen. Die Unterstellung, Ergebnisse eines mathematischen Modells könnten frisiert sein, sei so weit weg von der Realität, dass es einfach nur amüsant sei, sagt er. Es seien alles publizierte Dinge, die jeder nachvollziehen oder nachrechnen könne, betont er.
Überhaupt habe sich Brockmann über die Fixierung auf den R-Wert von Anfang an total geärgert, wie er erklärt. Es sei eben nur ein Wert von vielen, der anzeigt, wo man in der Pandemie gerade stehe. "Es ist eine wichtige Zahl aber nicht die einzige wichtige Zahl", betont er. Hinzukommt laut Brockmann, dass ein bundesweiter R-Wert nichts über die tatsächliche Situation aussagt. Genauso wenig könne man zum jetzigen Zeitpunkt Aussagen zu einer möglichen zweiten Welle machen. Brockmann betont:
Kubicki, der von Lanz immer wieder scherzhaft als Nachwuchs-Epidemiologe angeführt wird, ist der Meinung, der R-Wert sei wichtig für eine Trendentwicklung, aber er "kann niemals Grundlage für grundrechtseinschränkende Maßnahmen sein".
Und dann kommt Lanz noch einmal auf eine Sache zu sprechen, die in seiner Sendung in den vergangenen Wochen quasi zu seiner Lieblingsfrage geworden ist: die Masken. Wie sehr wurde sich hinter den Kulissen des RKI über die Debatte um das Tragen von Mund-Nasen-Schutz gestritten, wollte er wissen. Brockmann sagt, er habe sich da an keinem Streit beteiligt, sich aber früh klar positioniert. Er habe immer gesagt, dass es sinnvoll sei, eine Maske zu tragen – das sei aber nicht epidemiologisch motiviert gewesen, "das war gesunder Menschenverstand".
Die Aussage, dass Masken nichts bringen, sei in seinen Augen absurd. Denn es ginge ja nicht um 100-prozentigen Schutz. Man stelle ja auch keinen Autogurt infrage, obwohl auch der keine 100-prozentige Sicherheit biete. "Wenn man sagt, es gibt keine Evidenz, dass sie was bringen, dann ist der Fehlschluss, dass sie nichts bringen. Das ist halt Mist", wird er deutlich.
(jei)