Landwirte protestieren vor dem Brandenburger Tor.Bild: dpa
Deutschland
30.01.2020, 08:3630.01.2020, 09:06
Milliardenhilfen für Landwirte, Förderung für
berufliche Weiterbildung und Unterstützung für Krisenbranchen: Die
große Koalition will mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen auf
Veränderungen in der Arbeitswelt und im Agrarbereich reagieren. Das
beschlossen die Spitzen von CDU, CSU und SPD am frühen
Donnerstagmorgen in Berlin.
"Wir wollen Wandel nicht nur erleiden,
wir wollen ihn auch politisch mit begleiten und gestalten", sagte
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. CSU-Chef Markus Söder betonte:
"Wer hätte noch im Dezember gedacht, dass die Koalition so stark
voranschreitet?" Einige große Streitthemen wurden allerdings vertagt.
Die Beschlüsse im Detail:
Landwirte
Die Koalition reagiert auf die heftigen Bauernproteste
wegen der geplanten Verschärfung der Düngeverordnung. Die Landwirte
sollen innerhalb von vier Jahren mit einer Milliarde Euro unterstützt
werden, damit sie den anstehenden Transformationsprozess besser
meistern. Weil Nitratwerte im Grundwasser schon seit Jahren zu hoch
sind, hat die EU-Kommission Deutschland beim Europäischen Gerichtshof
verklagt. Daher muss Berlin weitere Düngebeschränkungen angehen.
Söder sprach von einem "klaren Signal der Wertschätzung und der
Unterstützung in schwierigen Zeiten" für die Bauern.
Kurzarbeit
Der Einsatz von Kurzarbeitergeld in Industriebranchen
mit schweren Strukturproblemen soll einfacher werden. Unter anderem
soll die Bundesregierung es dann auf 24 Monate verlängern können,
wenn während der Kurzarbeit eine berufliche Weiterbildung erfolgt.
Unter dieser Bedingung können auch Sozialversicherungsbeiträge
zur Hälfte übernommen werden. Die Koalition reagiert damit auf die
unbeständige konjunkturelle Lage und den absehbaren Strukturwandel
auf einem digitalisierten Arbeitsmarkt.
Weiterbildung
Berufliche Weiterbildungen sollen stärker
gefördert werden. Wenn man Transferkurzarbeitergeld bekommt, sollen
Weiterbildungskosten in kleinen Unternehmen bis 250 Beschäftigte
künftig zu 75 Prozent durch die Arbeitsagentur übernommen werden.
Weiterbildungen, die beim Übergang in einen neuen Job helfen, sollen
unabhängig vom Alter und der bisherigen Qualifikation der
Beschäftigten gefördert werden. Wenn ein Betrieb mindestens ein
Fünftel seiner Beschäftigten umfassend weiterbilden muss, soll sich
die Arbeitsagentur stärker an Lehrgangskosten beteiligen als bisher.
Autoindustrie
Um den Strukturwandel in der Autoindustrie zu
unterstützen, soll es in besonders betroffenen Regionen
Dialogplattformen geben. Mit neuen Technologien sollen hier neue
Perspektiven und Arbeitsplätze entstehen.
Arbeitslosigkeit
Künftig soll man sich elektronisch als
arbeitsuchend oder arbeitslos melden können. Die Beratung der
Arbeitsagentur soll auch per Videochat möglich sein.
Innovationen
Bestehende Maßnahmen zur Förderung von Innovationen
und technologischer Entwicklung sollen gebündelt und dadurch
einfacher zugänglich werden. Vor allem mittelständische Unternehmen
sollen digitale Technologie besser steuerlich abschreiben können,
damit sie Anreize für Investitionen haben und beim schnellen
technischen Wandel mitkommen.
Themen, die vertragt wurden
Über die SPD-Forderung nach mehr Investitionen in
Infrastruktur wie Straßen, Schulen und Krankenhäuser wollen die
Koalitionsspitzen erst beim nächsten Ausschuss voraussichtlich im
März sprechen. Bis dahin solle eine Arbeitsgruppe vorschlagen, wo es
konkret Investitionsbedarf gibt, sagte SPD-Chef Norbert
Walter-Borjans. In dieser Arbeitsgruppe sollten die Fraktionsspitzen
von Union und SPD, Kanzleramtsminister Helge Braun, Finanzminister
Olaf Scholz und er selbst beraten, sagte Walter-Borjans. Sie sollen
auch Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung diskutieren und darüber
reden, wie Personengesellschaften so besteuert werden können wie
Kapitalgesellschaften.
Im Bundeshaushalt gibt es Spielraum, denn im vergangenen Jahr
wurde ein Rekordüberschuss erzielt: Gestützt von niedrigen Zinsen gab
es nicht nur 13,5 Milliarden Euro mehr Einnahmen als Ausgaben. Weil
die sogenannte Asyl-Rücklage nicht angezapft wurde, stehen sogar 17
Milliarden Euro zur Verfügung.
Keine Einigung im Kassenbon-Streit
Keine Lösung gibt es weiterhin im Streit um die Kassenbonpflicht,
wo die Union Ausnahmen für Einkäufe unter zehn Euro möchte. Auch das
Thema Mindestlohn soll erst später aufs Programm kommen. Zum
Vorschlag der SPD, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die
meisten Bundesbürger um ein halbes Jahr auf diesen Sommer
vorzuziehen, gab es ebenfalls keine Einigung. Nach bisherigem Plan
soll der Soli für 90 Prozent der Zahler zum 1. Januar 2021 wegfallen.
6.5 Prozent sollen ihn nur noch teilweise zahlen, die
einkommensstärksten 3.5 Prozent werden weiter voll zur Kasse
gebeten.
(dpa/lin)
Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.