Vom deutschen "Brexit"-Moment ist die Rede: Die Wahl der neuen SPD-Spitze sorgt seit Tagen für Unruhe und Spekulation. Die Basis der Sozialdemokraten entschied sich für die GroKo-Skeptiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Für viele Beobachter des politischen Berlins schien da klar: Das Ende der so unbeliebten großen Koalition ist nah.
Aber ist es das? Wir geben euch einen Überblick über die möglichen Szenarien – und wie Experten die Situation bewerten.
Nach den skeptischen Tönen der neuen SPD-Spitze gegen eine Fortführung der großen Koalition wirken die Sozialdemokraten nun versöhnlicher. Sie halten außerdem an einer Sache fest: Erst soll mit der Union über neue Projekte in der GroKo verhandelt werden.
Wenn die Delegierten der SPD am Wochenende über den Leitantrag zur GroKo entscheiden, dann ist eine klare Entscheidung für oder gegen die Koalition nicht vorgesehen.
Die 600 Delegierten sollen stattdessen ihre Parteispitze zu "Gesprächen" mit der Union über vier Themenfelder beauftragen. Gefordert werden Nachbesserungen am Klimapaket. "massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur" und Schritte hin zu einem perspektivischen Mindestlohn von zwölf Euro.
Walter-Borjans bekräftigte, dass der Parteivorstand keine simple Abstimmung des Parteitags über Ende oder Fortsetzung der GroKo wolle. Es gehe jetzt um Inhalte, "nicht ob Ja oder ob Nein". Ein Ausstieg aus der Koalition könne kein Selbstzweck sein. Gleichzeitig könne die SPD "nicht ohne Wenn und Aber" in einer Koalition bleiben, "in der eine Menge Fragen offen sind".
Das klingt nun nicht danach, dass schon auf dem Parteitag das Ende der GroKo beschlossen wird.
Kevin Kühnert war stets einer der lautesten GroKo-Kritiker der Sozialdemokraten. Daran hat sich auch in dieser Woche nicht so viel geändert, auch wenn ein Interview des Juso-Chefs am Mittwoch zu besagen schien: Liebe Genossen, ein vorzeitiges GroKo-Ende ist gefährlich.
Tatsächlich aber sagte Kühnert im Gespräch mit der "Rheinischen Post": "Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung." Und meinte damit wohl: Wenn die SPD die GroKo auflöst, hat sie nicht in der Hand, dass es zu Neuwahlen kommt.
Kühnert sagte aber auch: Die Delegierten müssten sich entscheiden. Entweder werde weiterhin der Koalitionsvertrag umgesetzt. Oder die Delegierten gewichten "den Vertrauensverlust insbesondere heute junger Menschen gegenüber der Politik schwerer".
Sollten die inhaltlichen Verhandlungen mit der CDU also scheitern, könnte der Ruf nach einem vorzeitigen Ende der GroKo schnell wieder sehr viel lauter werden.
Am Donnerstag wurde zudem bekannt: Die SPD-Linke will auf dem Bundesparteitag eine Abstimmung über den GroKo-Ausstieg durchsetzen. Die Parteilinke Hilde Mattheis kündigte in der "Passauer Neuen Presse" dazu einen Initiativantrag an.
Überraschenderweise könnte es auch die Union werden, an der die GroKo letztlich scheitert. Am Dienstag knüpfte CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer zunächst die Grundrente, ein sozialdemokratisches Leuchtturmprojekt, an ein klares Bekenntnis der SPD zur Koalition.
Bereits mit ihrer unabgestimmten Forderung nach einer Sicherheitszone in Nordsyrien überrumpelte AKK die SPD – laut Beobachtern eine klare Provokation gegen den Koalitionspartner. Hat es die CDU-Chefin auf ein vorzeitiges Ende der GroKo abgesehen, um bald selbst Kanzlerin zu werden?
Ein CDU-Vorstandsmitglied sagte der "Bild"-Zeitung am Mittwoch anonym:
Aber nicht nur Neuwahlen werden in der CDU diskutiert. GroKo-Pöbler und CDU-Grande Friedrich Merz hatte kürzlich bereits die Option einer Minderheitsregierung ins Spiel gebracht. Offen aber ist, ob die CSU da mitmachen würde.
Bleibt die große Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass die SPD oder die Union sich aus der Koalition verabschiedet? Watson hat sich bei Politikexperten umgehört.
Das Ergebnis: Zwei Experten gehen klar von einem Weiterbestehen der GroKo aus, eine Politologin schließt den Bruch der Koalition nicht aus.
Politikwissenschaftler Klaus Schroeder von der FU Berlin geht von einem Fortbestand der GroKo aus. Er vermutet, dass weder die SPD noch die CDU/CSU echtes Interesse an einem Koalitionsbruch haben.
Auch für Volkswirt Karl-Heinz Paqé, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, ist ein Ende der GroKo nicht realistisch. "Die inzwischen bekannten Planungen für den Parteitag der SPD lassen einen aktiven Bruch der GroKo durch die SPD kaum erwarten." Schief gehen könne das höchstens, wenn die Jusos beim SPD-Parteitag eine "Revolution" anzettelten. "Das ist allerdings nicht wahrscheinlich."
Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung dagegen hält ein Scheitern der GroKo weiter für möglich. Zwar erwartet sie, dass sich der SPD-Parteitag eher moderat positionieren wird.
Die Zukunft der GroKo hänge nun davon ab, welche Kräfte sich innerhalb der SPD durchsetzen können – Ausgang offen.