Stundenlang diskutierten SPD, die Grünen und FDP hinter verschlossenen Türen. Es sollte endlich eine Lösung für den Dauerkrach in der Ampel gefunden werden. Vor allem für die angestauten Probleme zwischen den Grünen und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
"Man schweigt sich auseinander. Und man diskutiert sich zusammen", schreibt Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf Twitter. Die Ampelmitglieder verkünden, der Koalitionsausschuss habe gefruchtet und zu Kompromissen geführt – allerdings stoßen diese einigen sauer auf.
Die Beschlüsse der Ampel-Koalition zum Klimaschutz und zur Planungsbeschleunigung rufen bei mehreren Verbänden und den Oppositionsparteien Kritik hervor. Umweltorganisationen werfen der Koalition eine Aufweichung des Klimaschutzgesetzes vor. "Unfassbar", schreibt etwa die "Deutsche Umwelthilfe" auf Twitter.
Der Deutschen Umwelthilfe zufolge beschließe die Ampel eine Attacke auf den Klimaschutz. Denn: In Zukunft will die Regierung jährlich verpflichtende Sektorziele und damit wirksame Pflichten abschaffen. Damit "versündigen" sie sich an künftigen Generationen, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei für sie ein "Klimakatastrophenkanzler". Der zeigt sich hingegen recht zufrieden über die Koalitionseinigung.
Nach vielen Stunden intensiver Diskussionen könne er sagen: "Es hat sich gelohnt!", schreibt er auf Twitter. Die Modernisierung Deutschlands bringe Wachstumschancen, wie es sie lange nicht gegeben habe, meint Kanzler Scholz. "So schaffen wir die Digitalisierung und halten den menschengemachten Klimawandel auf." Das sieht die Bewegung Fridays For Future (FFF) offenbar anders.
"Was zur Hölle?", fragen sich die FFF-Aktivist:innen auf Twitter. Sie üben Kritik an dem Ergebnis, dass die Ampel Sektorziele und jährliche Schritte im Klimaschutzgesetz streicht. "Die Reaktion auf einen Verkehrsminister, der seine Klimaziele verfehlt, ist also, die Ziele abzuschaffen?", schreiben sie.
Dabei brauche es dringend eine Verkehrswende mit starkem Ausbau von Bussen und Bahnen, warnt die Bewegung. "Doch stattdessen stufe die Ampel im Koalitionsausschuss ganze 144 Autobahn-Bauprojekte als 'im überragenden öffentlichen Interesse' ein und beschleunigt damit weiter in die Klimakrise." Verkehrsminister Wissing sieht die beschlossenen Lösungen allerdings als "echten Fortschritt".
Auf Twitter schreibt Wissing nach Ende der Verhandlungen: "Am Ende steht ein Befreiungsschlag für unser Land. Wir haben hart gerungen und sehr gute Lösungen gefunden. Echter Fortschritt!" Ihm zufolge bestärke der Koalitionsausschuss die CO2-freie Mobilität. Moderne Schiene, E-Mobilität, E-Fuels, Digitales – Deutschland schaffe klimafreundliche Angebote. Dadurch könne jede:r einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Grünen-Politiker Erik Marquardt hat daran offenbar Zweifel.
Auf Twitter fragt er sich: Wie soll der Klimaschutz eigentlich gelingen, wenn Grüne für jeden notwendigen Schritt in die richtige Richtung schmerzhafteste Zugeständnisse machen müssen? Dabei könne man das Klima nur als "Gemeinschaftsaufgabe halbwegs" retten.
Auch die Klimaschutzaktivistin Carla Reemtsma äußert sich sichtlich enttäuscht über die Koalitionseinigung.
Laut Ingwar Perowanowitsch (Partei Klimaliste Berlin) ist die Aufhebung der Sektorziele im Verkehr "katastrophal". Auf Twitter fordert er:
Perowanowitsch geht weiter hart ins Gericht mit Wissing: Weil er "unfähig oder unwillig" sei, Klimaziele im Verkehrssektor einzuhalten, werden wichtige Sektoren aufgehoben. Dazu kritisiert er die 144 geplanten Autobahnprojekte ohne Grünflächenausgleich. Es sei unfassbar für ihn.
Einfach nur mehr Geld aus der Erhöhung der Lkw-Maut in die Schiene zu stecken, werde nicht reichen, um einen gerechten Klimabeitrag im Verkehr zu leisten, warnt Perowanowitsch. Ohne Tempolimit und Abschaffung klimaschädlicher Subventionen werde es nicht gehen. "Jetzt müssen andere Sektoren ausbaden, was Wissing vergeigt", schreibt er.
Mittlerweile stellt sich Klimaforscher Stefan Rahmstorf die Frage: "Wo ist dieser Mann?" und postet dazu ein altes Wahlplakat von Olaf Scholz mit der Aufschrift: "Kanzler für Klimaschutz".
Die Ampel-Parteien haben sich in ihren Mammutberatungen auf ein Maßnahmenpaket zur klimafreundlichen Transformation der Wirtschaft verständigt. Die Vereinbarungen umfassen eine erhebliche Stärkung der Bahn, eine Erhöhung der Lkw-Maut, eine Beschleunigung von Planungsverfahren sowie den beschleunigten Ausbau einer begrenzten Zahl von Autobahnen, wie die Parteichefs mitteilten.
Die Koalition peilt demnach auch eine Änderung des Klimaschutzgesetzes an: Die bislang strikten Emissionsvorgaben für einzelne Wirtschaftssektoren sollen aufgegeben werden. Lindner gab darüber hinaus bekannt, dass das Klimaschutzgesetz geändert werden solle. Demnach sollen Zielverfehlungen in einem Sektor in einem anderen ausgeglichen werden und auch eher längerfristige Zielvorgaben gesetzt werden.
(mit Material der dpa)