Nach der Entscheidung des Bundestags gegen eine Corona-Impfpflicht sieht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keinerlei Möglichkeiten mehr für einen weiteren Abbau der Maßnahmen gegen die Pandemie. "Das, was wir an Lockerungen machen konnten, haben wir verbraucht", sagte er am Freitag in Berlin. Für weitere Schritte gebe es "keinen Spielraum".
Dem Hin und Hin um die Impfpflicht war eins um das Ende der Isolierungspflicht vorausgegangen, bei dem Lauterbach mit einer Kehrtwende und unter anderem einem nächtlichen Entschuldigungs-Tweet für Aufsehen sorgte. Auf die Frage von watson-Redakteur Sebastian Heinrich, ob er mit Fehlern wie diesen Vertrauen verspielt habe, sagte der Gesundheitsminister:
"Wenn ich einen Fehler korrigiere und das gut erkläre, dann wird das meine Glaubwürdigkeit nicht schwächen, sondern eher stärken." Viele Menschen fühlten sich wohler mit einem Minister, der bereit sei "einen Fehler einzuräumen", als mit einem Politiker, der fest auf einem Standpunkt beharre, um sich nicht korrigieren zu müssen, sagte Lauterbach.
Der SPD-Minister wurde nach seinem insbesondere auf Social Media gefeierten Start ins Amt in der jüngsten Zeit vermehrt für seinen Kurs in der Corona-Politik kritisiert – unter anderem dafür, die Isolierungspflicht ab Mai streichen zu wollen und das dann wenige Stunden später in der ZDF-Sendung "Lanz" zu revidieren.
Auf die watson-Frage danach, wie er damit umgehe, an ihn gestellte Erwartungen zu enttäuschten, sagte Lauterbach: "Ich bin Politiker, kein Influencer". Er tue das, was politisch möglich sei: "Ich glaube, das spüren die Menschen nach wie vor". Er bekomme weiterhin viel Zuspruch, vor allem im persönlichen Gespräch und er sei in Umfragen auch nicht das "unbeliebteste Kabinettsmitglied". Lauterbach stellte klar: "Mir geht es nicht darum, bestimmten Gruppen oder wem auch immer zu gefallen. Die Regeln müssen funktionieren."
Der SPD-Politiker verwies dabei auch auf die Kritik am Ende der Maskenpflicht, die er persönlich lieber beibehalten hätte. Doch dazu habe die rechtliche Grundlage gefehlt. "Das sind Dinge, die man alle nicht im Netz erklären kann", so Lauterbach.
Zu den aktuell verbliebenen Corona-Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes und der nun gescheiterten Impfpflicht sagte der Gesundheitminister, das Land werde so "im Herbst mit Sicherheit nicht über die Runden kommen." Es werde beispielsweise "mit großer Wahrscheinlichkeit" nicht ohne die Wiedereinführung einer Maskenpflicht in vielen Bereichen gehen. Deshalb müsse das Gesetz noch einmal geändert werden.
Wäre die Impfpflicht beschlossen worden, seien vermutlich "mehr Freiheiten im Infektionsschutzgesetz" möglich gewesen, so der Gesundheitsminister. Die Impfpflicht wäre aus seiner Sicht "dringend nötig" gewesen.
Lauterbach bekräftigte, dass er weiter Gespräche im Bundestag zum Thema Impfpflicht führen wolle. Er sei dabei aber "sehr skeptisch", räumte er ein.
Er wolle nun "noch einmal an eine kreative Kampagne für die Impfung herangehen", kündigte Lauterbach zugleich an. "Wenn wir das kreativ und gut machen", könne die Impfquote bis zum Herbst noch erhöht werden.
Zur aktuellen Corona-Lage sagte Lauterbach, die Neuinfektionen gingen derzeit deutlich zurück. "Wir sind jetzt in einen relativ stabilen Rückgang der Fallzahlen gekommen." Für die Osterferien bat er darum, sich vor einer Reise testen zu lassen, damit es nicht zur Unterbrechung dieser Entwicklung komme. Bei den schweren Krankheitsfällen und den Sterbefällen sehe es allerdings nicht so gut aus, sagte Lauterbach weiter.
Ähnlich äußerte sich Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). Der Höhepunkt der aktuellen Welle sei überschritten, sagte er. Die Fallzahlen lägen aber immer noch auf hohem Niveau. Es sei "sehr beruhigend", dass die meisten Infektionen mit der Omikron-Variante mild verliefen. Gleichzeitig sei es bedrückend, dass immer noch täglich 200 bis 300 Todesfälle verzeichnet würden.
Eine bundesweite Überlastung der Intensivstationen gebe es derzeit nicht, berichtete Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen liege seit Anfang Februar konstant zwischen 2000 und 2400.
Dennoch seien die Stationen "mehr als belastet". Bei 40 Prozent von ihnen stünden Ampeln auf Rot. Operationen müssten verschoben werden, das Personal sei am Limit.
Wieler rief erneut dazu auf, sich impfen zu lassen. Eine Omikron-Infektion allein biete keinen Schutz gegen andere Varianten, sagte er. Die Impfung reduziere das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf und auch das Risiko für Langzeitfolgen. Für bestimmte Gruppen sei - wie es die Ständige Impfkommission empfehle - auch eine vierte Impfung sinnvoll.
Außerdem riet Wieler dazu, in Innenräumen weiter Masken zu tragen. Es sei ein Sommer mit höheren Fallzahlen als in den letzten beiden Sommern zu erwarten, sagte der RKI-Präsident. "Lassen Sie uns gemeinsam füreinander sorgen und positiv nach vorne blicken."
(fas /afp)