Ein Herero-Mädchen, Mitglied einer Bevölkerungsgruppe, die das Aussöhnugnsabkommen mit Deutschland kritisiert.Bild: imago images / imagebroker
Deutschland
Ein Verband von Häuptlingen der Volksgruppen der
Herero und Nama hat das von Deutschland vorgeschlagene Abkommen
abgelehnt, durch das die Bundesregierung die Verbrechen der deutschen
Kolonialmacht vor mehr als 100 Jahren im heutigen Namibia als
Völkermord anerkennt. Sie fordern, dass die geplante
Unterzeichnungszeremonie zwischen Deutschland und Namibia verschoben
wird.
Die von der Bundesregierung angebotenen Unterstützungszahlungen in
Höhe von 1.1 Milliarden Euro über 30 Jahre seien "eine schockierende
Offenbarung", "inakzeptabel" und ein "Affront gegen unsere Existenz",
erklärten Vertreter des von der namibischen Regierung anerkannten
Rates der Häuptlinge in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung.
Der "beleidigende Betrag" werde abgelehnt.
Zwar begrüße der Rat die Anerkennung des Völkermords durch die
Bundesregierung, das Schuldeingeständnis für die mehr als 100 Jahre
zurückliegenden Gräueltaten und die geplante Bitte um Vergebung. Die
Reparationsfrage müsse jedoch neu verhandelt werden, hieß es.
Häuptlinge nicht rechtzeitig eingebunden
Nach fast sechs Jahren Verhandlungen hatten sich die deutsche und die
namibische Regierung vergangene Woche auf ein Abkommen zur Aussöhnung
gekommen. Der Rat der Häuptlinge erklärte nun, er sei nicht
rechtzeitig in die Verhandlungen eingebunden worden, um die
betroffenen Volksgruppen zu konsultieren. Die Ovaherero Traditional
Authority, eine weitere Herero-Gruppe, hatte das Abkommen vergangene
Woche bereits als PR-Coup Deutschlands und Betrug der namibischen
Regierung bezeichnet.
Die namibische Regierung zeigte sich über die Stellungnahme des Rates
der Häuptlinge überrascht und sprach von einem schwerwiegenden
Rückschritt. Der Rat sei im gesamten Verhandlungsprozess involviert
gewesen, sagte der Sonderbeauftragte und Verhandlungsführer der
namibischen Regierung, Zed Ngavirue, der Deutschen Presse-Agentur.
Das namibische Parlament befinde sich bis zum 8. Juni in einer
Sitzungspause; danach werde der Premierminister einen Bericht
vorlegen. Man müsse die Verhandlungen nun neu bewerten. "Ich denke,
Deutschland war sich der Tatsache bewusst, dass es in diesem Land
Spaltungen gibt ... Wir alle müssen beurteilen, inwieweit (die
Stellungnahme des Rats der Häuptlinge) ernsthaft in Betracht gezogen
werden muss", betonte Ngavirue.
Deutschland sieht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung
Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, dass es aus ihrer
Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe. Die 1.1
Milliarden Euro seien als politisch-moralische Verpflichtung zu
verstehen.
Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im damaligen
Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des
Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord,
der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. Historiker schätzen,
dass 65 000 von 80 000 Herero und mindestens 10 000 von 20 000 Nama
getötet wurden. Seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt dafür den
Begriff Völkermord in seinem allgemeinen Sprachgebrauch. Jetzt werden
die Gräueltaten auch offiziell als Völkermord bezeichnet.
(ogo/dpa)
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