Seit fast zwei Monaten wird auch an deutschen Grenzen wieder kontrolliert. Ob das im Kampf gegen das Coronavirus hilft, ist umstritten.
In der Debatte über die in der Corona-Krise verhängten Grenzkontrollen wächst nun der Druck auf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Nach anderen Länderchefs verlangte auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Kontrollen an der deutsch-französische Grenze möglichst schon Anfang nächster Woche aufzuheben. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte die Kontrollen in einem dpa-Interview eine Gefahr für den Binnenmarkt.
Seehofer hatte zuletzt erklärt, es bestehe Einvernehmen in der Bundesregierung, die Kontrollen zunächst bis zum 15. Mai fortzusetzen. In der kommenden Woche soll über das weitere Vorgehen entschieden werden. Laschet dringt aber – ebenso wie andere Ministerpräsidenten – auf schnellere Entscheidungen.
"Wir brauchen dringend eine Öffnung der Grenze zu Frankreich", sagte der CDU-Politiker der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Samstag). "Dort endet der Lockdown am 11. Mai - das wäre ein guter Zeitpunkt, unseren Nachbarn zu signalisieren, dass wir eine gemeinsame europäische Antwort bei der Pandemiebekämpfung anstreben." Die Bundesregierung müsse "in diesem Sinne auch mit Österreich reden". Aus Laschets Sicht waren die vergangenen Wochen "zu sehr nationalstaatlich und zu wenig europäisch geprägt".
Am Freitag hatten bereits der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und seine rheinland-pfälzische Kollegin Malu Dreyer eine schnelle Öffnung gefordert. In Frankreich werden am Montag die Kontaktbeschränkungen gelockert. Die Bürger dürfen sich dann wieder in einem größeren Radius bewegen.
Die Grenzkontrollen waren erstmals Mitte März angeordnet und dann verlängert worden, um die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland zu verlangsamen. Menschen, die weder Deutsche noch dauerhaft hier ansässig sind, dürfen seither nur noch aus einem "triftigen Reisegrund" nach Deutschland kommen.
Juncker kritisierte die Kontrollen. Der Binnenmarkt lebe von offenen Grenzen, sagte der ehemalige EU-Kommissionspräsident der Deutschen Presse-Agentur. "Jeder, der sich an den Grenzen vergreift, auch wenn das manchmal dem nationalen Publikum gefällt, der bringt den Binnenmarkt in Gefahr. Insofern sollte man mit Grenzen in Europa sehr behutsam umgehen und nicht den radikalen Zöllner spielen."
Dass ausgerechnet zum 25. Jubiläum des Schengen-Abkommens für freies Reisen Grenzen zwischen Luxemburg und Deutschland geschlossen worden seien, sei grotesk, sagte Juncker. Seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen habe versucht, zumindest die Transporte im Binnenmarkt wieder herzustellen, was auch gelungen sei.
"Die Kommission als solche und Frau von der Leyen insbesondere hat ja keinen Fehler gemacht", sagte Juncker, der Ende November aus dem Amt geschieden war. "Es ist ja nicht der Kommission anzulasten, dass die Mitgliedsstaaten kopflos und jeder für sich in seiner Ecke sein eigenes Corona-Süppchen gekocht haben."