Mit den designierten Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans deutet sich ein Linksruck bei der SPD an. Mit Spannung wird erwartet, welchen Kurs das Siegerduo des Mitgliederentscheids in der großen Koalition einschlägt. Esken und Walter-Borjans hatten noch am Samstagabend kritische Töne gegenüber dem Regierungsbündnis angestimmt. Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister und die Bundestagsabgeordnete gewannen die Stichwahl mit 53,06 Prozent.
Für ihre Konkurrenten, die GroKo-Befürworter Vizekanzler Olaf Scholz und die Brandenburger Politikerin Klara Geywitz, gab es eine herbe Niederlage: Sie kamen lediglich auf 45,33 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 54,09 Prozent. In den kommenden Tagen wollen Esken und Walter-Borjans mit den führenden Köpfen der Partei ihren Kurs für den Parteitag Ende der Woche in Berlin beraten.
Die wichtigsten Fragen nach der Überraschungswahl:
Einen überstürzten Ausstieg aus der großen Koalition streben Walter-Borjans und Esken nicht an. Sie und Walter-Borjans planten auch "keinen Alleingang", sondern einen gemeinsamen Kurs mit der Bundestagsfraktion und den SPD-Ministern, sagte Esken am Samstagabend in der ARD. Esken sagte im TV-Sender Phoenix, der Parteitag werde über die Zukunft der GroKo entscheiden.
Fest steht: Wenn es mit der GroKo weitergehen soll, will das Duo erstmal den Koalitionsvertrag neu verhandeln. Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und staatliche Investitionen in Straßen, Schulen oder auch die Bahn – das sollen die Kernpfeiler künftigen sozialdemokratischen Regierungshandelns sein. Bereits kurz nach ihrem Sieg verlangte Esken einen deutlich höheren CO2-Preis von 40 statt 10 Euro pro Tonne. An Inhalten wie diesen wollen Esken und Walter-Borjans die Koalitionsfrage stellen.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bereits angedeutet, dass sie keine Nachverhandlungen will. "Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist", sagte AKK nun am Sonntag bei einem Besuch in Split in Kroatien
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak unterstrich nach dem SPD-Basisentscheid, die CDU freue sich auf "eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes". Zugleich verwies Ziemiak auf den Koalitionsvertrag als Grundlage für die Arbeit des Regierungsbündnisses – das klang auch nicht nach großer Bereitschaft zum Nachverhandeln.
CSU-Generalsekretär Markus Blume und der scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) warnten die SPD vor einem Ausstieg.
So manches ist noch unklar vor dem dreitägigen Delegiertentreffen, das am Freitag in Berlin beginnt: Stellen sich die zwei designierten Chefs gemeinsam oder nacheinander auf die Bühne? Wer von beiden redet zuerst? Doch sind das nur die kleineren Fragen. Fieberhaft dürften die Sozialdemokraten in den kommenden Tagen in ihren Gremien darum ringen, was den Delegierten in Sachen Groko empfohlen werden soll – und wie hoch die Latte für ein Weiterregieren gelegt werden soll.
Ein schnelles Groko-Aus dürfte es nach Lage der Dinge nicht geben. Doch wenn die SPD tatsächlich ihre Minister aus der Regierung abziehen sollte, dann könnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchen, mit einer Minderheitsregierung weiterzumachen.
Immerhin übernimmt Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft – das spricht gegen Neuwahlen unmittelbar davor. In Koalitionskreisen wird davon ausgegangen, dass es schnell nach dem SPD-Parteitag einen Koalitionsausschuss geben wird.
Spitzenpolitiker anderer Parteien zeigten sich von dem Ergebnis überrascht. "Ich bin völlig baff", schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter.
FPD-Fraktionsvize Michael Theurer sieht den Linksruck der SPD und das Ende der Koalition besiegelt.
Linke-Chef Bernd Riexinger freute sich via Twitter:
Die Führungsspitze der Grünen gratulierte Esken und Walter-Borjans. "Wir wünschen ihnen viel Erfolg und freuen uns auf eine faire, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit", hieß am Samstagabend in einer gemeinsam Erklärung der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie der Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.
Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder meldete sich zu Wort und zeigte sich kritisch: "Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis", sagte der SPD-Politiker dem "Spiegel".
(hau/dpa)