Ricarda Lang und Steffen Mau nennen wirksamstes Mittel gegen die AfD
Für alle, die ihr 400-Seiten-Buch nicht lesen wollen: Worum geht es?
Mau: Es geht um die Anfechtung der liberalen Demokratie, um Rechtspopulisten und um die Frage, was hinter der neuen Konfliktdynamik steckt, die wir gerade erleben. Wir wollten Ideen entwickeln, wie wir mit dieser bedrohlichen Situation umgehen.
Lang: Außerdem geht es darum, wie wir Menschen wieder für die Demokratie begeistern können – nach vorn gerichtet, statt immer nur zu verteidigen.
Das klingt jetzt erstmal recht abstrakt. Herr Mau, welche bedrohliche Situation meinen Sie?
Mau: Das eine ist natürlich, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Und gleichzeitig haben wir eine Themensetzung vonseiten der Rechtspopulisten, die uns alle unter Druck setzt und uns den Blick nach vorne versperrt.
Lang: Viele haben das Gefühl, dass nichts mehr funktioniert: wenn sie mit der verspäteten Bahn unterwegs sind, wenn sie keinen Bürgeramtstermin bekommen, wenn sie sich durch einen BAföG-Antrag kämpfen müssen. Gleichzeitig verbringen wir als Gesellschaft den lieben langen Tag mit Ablenkungsdebatten. Da wird dann wochenlang über Veggie-Wurst gestritten, während für bezahlbare Mieten oder gute Investitionen in die Bahn kein Raum mehr bleibt.
Liegt die Schuld dann nicht auch bei den Parteien, die an den Menschen vorbeireden?
Mau: Wir glauben, dass die Parteien ihrer Funktion zur kollektiven Willensbildung nicht mehr gerecht werden – und da schließe ich jetzt von meiner Seite die Grünen mit ein. Mein Lieblingsbeispiel ist die Wehrpflicht. Das wird jetzt hinter verschlossenen Türen zwischen Koalitionspartnern ausdiskutiert. Dabei betrifft das wahnsinnig viele junge Leute – die treibt das um, die diskutieren das in der Schule und in ihrer Freizeit. Aber einen offenen gesellschaftlichen Diskurs gibt es nicht.
Lang: Die Kritik nehme ich durchaus an. Und ich teile das: Wir müssen wieder mehr in die Diskussion gehen, dabei aber auch selbstbewusst den eigenen Standpunkt vertreten. Letzteres ist mir wichtig. Viel zu oft schauen Parteien auf die Umfragewerte und versuchen, nachzubilden, was eine Mehrheit oder die eigene Klientel denkt und sagt. Das ist aber kein Diskurs, sondern führt in so einen Kaninchen-vor-der-Schlange-Modus, der der Demokratie nicht guttut.
Sie sprechen auch im Buch an, dass sich gerade junge Menschen immer weniger an Parteien binden wollen. Was macht die AfD da in ihrer Kommunikation besser?
Lang: Ich mag es nicht, wenn Politiker auf Fragen nach jungen Menschen immer nur mit "sozialen Medien" antworten. Das ist dann oft ein "wir müssen unsere Politik nur besser erklären" – nur für Jugendliche. Aber natürlich sind soziale Medien total wichtig für die Frage, wie ich mich über Politik informiere. Es gibt diese These, dass auf Social Media nur die AfD gewinnen kann, weil dort Emotionen besser klicken. Letzteres stimmt. Ich glaube aber, dass wir als demokratische Parteien auch Emotionen rüberbringen können: Hoffnung und Freude, gern auch mal Wut. Wir müssen den Kampf um die sozialen Medien weiter und stärker aufnehmen.
Mau: Wir müssen aber auch sagen, dass die Parteimitgliedschaft als lebenslange Bindung mittlerweile irgendwie passé ist – fast so wie die Ehe. Es ist ja nicht so, dass es einen Mangel an Engagement von jungen Leuten gibt, sondern dass das Interesse viel punktueller und viel themenspezifischer ist. Da hat die AfD ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell entwickelt, weil sie nicht nur als Partei funktioniert, sondern weil sie den gesamten vorpolitischen Raum mitbesetzt. Parteien werden immer dann attraktiv für junge Leute, wenn sie das Gefühl haben, da ist richtig was los, da geht es um Themen, die mich interessieren. Wenn Parteien reine Verwaltungsapparate sind … Da hat man vielleicht am Freitagabend auch einfach Besseres zu tun.
Lang: Zustimmung. Wir denken immer, wir konkurrieren mit anderen politischen Parteien. In Wirklichkeit konkurrieren wir oft auch einfach mit Netflix und TikTok. Die Aufgabe für Parteien lautet also auch: spannend sein, auch mal unterhaltsam, Gemeinschaftsgefühl zurückbringen.
Haben Sie ein Beispiel, wie das funktionieren könnte?
Lang: Um beim Beispiel der Wehrpflicht zu bleiben: Steffen hatte kürzlich die Idee, dass man sich ein Zirkuszelt schnappt und damit durchs Land zieht, um mit denjenigen zu reden, die es am Ende betrifft – den jungen Menschen. Man könnte sie in einem solchen Rahmen nach ihrer Meinung und nach ihren Ängsten fragen, diese in den politischen Raum tragen und bei der genauen Ausgestaltung der Gesetze einfließen lassen. Grundlegender gesagt: Parteien und Politik können und sollten mehr sein als Entscheidungen, von denen man in der Tagesschau oder auf Insta erfährt.
Mau: Ich sage dazu immer, Parteien sollten so etwas bieten wie ein politisches Lagerfeuer.
Das müssen Sie erklären.
Mau: Es gibt ja zwei Typen von Lagerfeuer: Einmal gibt es die Gruppe, die total geschlossen wirkt und Schulter an Schulter am Feuer steht. Das ist eine Gesinnungsgemeinschaft, und da hat man Schwierigkeiten, dazuzutreten. Und dann gibt es Lagerfeuer, da sitzen Leute in lockeren Grüppchen und irgendwo spielt Musik: Man fühlt sich gleich eingeladen, vielleicht auch nur für zwei Songs zu bleiben und dann weiterzulaufen. So etwas würde den Parteien sehr guttun, um auch bestimmte Leute anzuziehen, die bislang bei diesem geschlossenen Lagerfeuer nicht in die Runde treten konnten.
Frau Lang, wie würden Sie das dann bei den Grünen umsetzen?
Lang: Der Grundgedanke dabei ist ja, offener und durchlässiger, letztlich: unkomplizierter zu werden. Das hat mir bei den Grünen immer gut gefallen. Da musste ich nicht zwanzig Jahre lang Plakate kleben, bevor ich auf einer Kreismitgliederversammlung mal etwas sagen durfte. Gleichzeitig haben auch wir ein Stück weit verlernt, Konflikte auszuhalten. Gerade in Regierungszeiten sind viele Formelkompromisse entstanden. Die Ecken sind runder, manche Position weniger streitbar geworden. Wenn wir wieder mehr zum Ort spannender Auseinandersetzung werden, glaube ich, dass so etwas wie ein Lagerfeuer entstehen kann.
Finden Sie denn, der aktuellen Regierung gelingt es, so eine Lagerfeuer-Atmosphäre zu erzeugen?
Lang: Die Regierung gibt mir eher so Kühlschrank-Vibes. (lacht) Aber im Ernst: Ich will eigentlich nicht immer diese ausgelatschten Rollen von Opposition und Regierung leben. Ich habe auch Punkte, da würde ich die Arbeit dieser Regierung loben. Aber dass sie das Land und unsere Gesellschaft besser zusammenführen würde als die Ampel – das sehe ich nicht. Auch die Merz-Regierung verliert sich im parteipolitischen Kleinklein. Ich sehe gerade keinen roten Faden, erst recht nicht für die Jugend.
