Chemnitz am Sonntag.Andreas Seidel/dpa
Deutschland
27.08.2018, 14:1427.08.2018, 20:25
In Chemnitz sind nach einem tödlichen Streit am Sonntag Hunderte Menschen durch die Innenstadt gezogen.
- Hintergrund ist der Tod eines 35-jährigen Deutschen nach einem verhängnisvollen Streit zwischen Menschen mehrerer Nationalitäten in der Nacht zum Sonntag nach dem Chemnitzer Stadtfest.
- Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen einen Syrer und einen Iraker beantragt. Den beiden Männern werde vorgeworfen, in der Nacht zum Sonntag "ohne rechtfertigenden Grund" mehrfach auf einen 35 Jahre alten Deutschen eingestochen zu haben.
- Unter den Demonstranten waren auch rechte und gewaltbereite Fußballfans, die Sprüche wie "Wir sind das Volk" skandierten.
- Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete von Rangeleien. Videos von Aktivisten in sozialen Medien sollen Übergriffe auf Migranten zeigen.
- Am Montag bereitet sich die Polizei auf neue Kundgebungen in der Stadt vor. Im Internet gebe es verschiedene Aufrufe zu Demonstrationen, sagte eine Sprecherin der Chemnitzer Polizei am Montag. Derzeit liefen Planungen, wie damit umgegangen werden solle.
Steffen Seibert sagte in Berlin: "Solche
Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer
Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das
nehmen wir nicht hin."
Im Netz kursierten Gerüchte von einem zweiten Toten:
Worum ging es in dem tödlichen Streit in der Nacht zu Sonntag?
An dem Streit sind laut Polizei nach ersten Ermittlungen maximal zehn Personen mehrerer Nationalitäten beteiligt gewesen. Das 35-jährige Opfer starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Zwei weitere verletzte Männer im Alter von 33 und 38 Jahren wurden ebenfalls ins Krankenhaus gebracht.
Mehrere Medien berichteten zunächst, dass eine Belästigung der Auslöser für die Auseinandersetzung gewesen sei. Die "Bild" schrieb etwa, das Opfer des Messerangriffs habe Frauen helfen wollen, bevor er tödlich verletzt wurde. Die Polizei Sachsen stellte jedoch klar, dass es für diese Behauptung bislang keine Anhaltspunkte gebe.
Die Polizei hat zwei 22 und 23 Jahre alte Männer vorläufig festgenommen, die sich vom Tatort entfernt hätten. Zu deren Nationalität wollten die Beamten zunächst keine Aussage machen, da noch geprüft werde, ob und wie diese in die Auseinandersetzung involviert gewesen seien. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen Totschlags.
Wie kam es zu den Versammlungen?
Laut der Polizei hatte es am Sonntag mehrere Aufrufe im Internet gegeben, sich in der Innenstadt einzufinden. Auch die Chemnitzer AfD hatte für eine "Spontandemo gegen Gewalt" auf ihrer Facebook-Seite mobilisiert. Den Angaben nach hatten sich daraufhin zunächst gegen 15 Uhr rund 100 Menschen versammelt. Diese Zusammenkunft sei störungsfrei verlaufen. Diese Versammlung ging auf einen Aufruf der Alternative für Deutschland (AfD) zurück.
Dem folgte eine weitere Versammlung um 16.30 Uhr. Zu dieser Versammlung hatte laut Medienberichten die rechte Ultragruppe "Kaotic Chemnitz" aufgerufen. Bei der zweiten Versammlung nahmen laut Polizei rund 800 Personen teil.
Wie verhielten sich die Demonstranten?
"Die Personengruppe reagierte nicht auf die Ansprache durch die Polizei und zeigte keine Kooperationsbereitschaft", teilten die Beamten mit. Die Gruppierung habe sich plötzlich in Bewegung gesetzt. Die Polizei sei zunächst nur mit geringen Kräften vor Ort gewesen, hieß es weiter. Weitere Einsatzkräfte kamen zu diesem Zeitpunkt aus Dresden und Leipzig.
Das Volksfest in Chemnitz wurde abgebrochen.Bild: dpa-Zentralbild
Ein Video, das während der Krawalle aufgenommen sein worden soll, zeigt Jagdszenen. Darin ist zu sehen, wie eine Personengruppe mit dem Ausruf "Kanacken" auf zwei Männer zustürmt und sie auf eine befahrene Straße treibt.Bild: screenshot: twitter
- Die Ansammlungen hatten sich am Abend aufgelöst.
- Es werden laut Polizei vier Anzeigen bearbeitet, darunter zwei wegen Körperverletzung, eine wegen Bedrohung sowie eine wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
- In einem weiteren Video ist zu sehen, wie Demonstranten sich Krawalle mit der Polizei liefern.
Wie geht es an diesem Montag weiter?
Die gesamte Nacht über waren verstärkt Einsatzkräfte im Stadtgebiet unterwegs. "Es war ruhig. Es gab keine besonderen Ereignisse in der Nacht", sagte ein Sprecher der Polizei.
Die rechtsextreme Gruppe "Pro Chemnitz" rief dazu auf, sich am Abend erneut zu versammeln. Ein Aufruf zu der rechtsextremen Versammlung wurde in den Sozialen Medien über Nacht mehrere tausend Mal geteilt.
Antifaschisten haben unterdessen eine Gegendemonstration angekündigt und mobilisierten auch aus den sächsischen Großstädten Dresden und Leipzig.
Was sagt die Politik zu der Lage in Chemnitz?
"Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt", sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) dem MDR. "Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen – das ist schlimm."
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte die Vorfälle in Chemnitz zunächst nicht kommentieren. "Ich möchte zunächst einen authentischen Bericht der Verantwortlichen", sagte er am Montag am Rande eines Termins im bayerischen Freilassing. Er warnte die Politik in dem Zusammenhang davor, Dinge zu schnell beurteilen zu wollen.
(gam/pb/fh/dpa/rtr)
Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.