Deutschland steht bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nach Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einer schwierigen Phase. "Es stehen uns sehr, sehr schwere Monate bevor", sagte die CDU-Politikerin laut "Bild"-Zeitung vom Sonntagabend in einer Schaltkonferenz mit den CDU-Fraktionschefs der Bundesländer. Die Kanzlerin gehe von weiter stark steigenden Infektionszahlen aus und rechne damit, dass mindestens bis Februar auch draußen keine größeren Veranstaltungen mehr möglich seien.
Über die bevorstehende Ministerpräsidentenkonferenz, die von Mittwoch bis Freitag unter Vorsitz Berlins geplant ist, zeigte sich Merkel laut "Bild" besorgt. Sie habe "kein so gutes Gefühl", sagte die Kanzlerin demnach. "So kann es nicht weitergehen."
Am Montag berät Merkel erneut mit den zuständigen Bundesministern im Corona-Kabinett. Am Freitag kommen die Regierungschefs der Bundesländer zu ihrer Jahreskonferenz zusammen, den Vorsitz hat seit Anfang Oktober Berlin inne. In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Appelle für mehr Einheitlichkeit bei den Corona-Auflagen bundesweit gegeben, etwa von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sagte der "Rheinischen Post" (Montag): "Wir brauchen einen einheitlichen Maßnahmenkatalog. Die Bürger wollen Transparenz, sie wollen wissen, was passiert, wenn ihr Landkreis rot, gelb oder grün eingestuft ist."
Gleich acht Bundesländer starten nach den Herbstferien wieder in den Schulbetrieb. Während der unterrichtsfreien Zeit stiegen die Infektionszahlen stark. Corona-Auflagen gelten vielerorts weiter oder wurden noch verschärft. So müssen in Berlin Schüler der Oberstufe sowie aller Berufsschulen und Oberstufenzentren Masken auch im Unterricht tragen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), hatte unlängst betont, Schulen und Kitas seien keine Treiber der Pandemie. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Hans-Peter Meidinger, mahnte hingegen, der Einfluss der Schulen auf das Infektionsgeschehen könne größer sein als viele glaubten.
Studien legten nahe, dass dies bei Kindern unter zehn Jahren der Fall sei, sagte Meidinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). Es sei aber fahrlässig so zu tun, als gelte das automatisch auch für 13- oder 14-jährige Schüler, die bald schon Erwachsene seien und dazu noch zahllose Kontakte hätten. "Der Schulbetrieb ist die größte tägliche Massenveranstaltung in Deutschland mit über 10 Millionen Teilnehmern. Ich rate zu großer Vorsicht", sagte Meidinger.
Merkel hatte am Wochenende erneut betont, Gebot der Stunde sei für alle, die Zahl der Kontakte zu reduzieren. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sich in der "Passauer Neuen Presse" (Montag) für einen "sehr kurzen, zeitlich eng begrenzen Teil-Lockdown" zur Eindämmung des Virus aus. "Weniger Freunde treffen, weniger Restaurantbesuche, weniger ins Kino und zu Sportveranstaltungen gehen. Die Einhaltung von Abstand, Hygiene und das Tragen von Masken allein, ohne die Zahl der Kontakte zu begrenzen, reicht nicht mehr aus. Die Bürgerinnen und Bürger sollten auf größere Treffen und Feiern in ihren Wohnungen verzichten", sagte Lauterbach. "Zum jetzigen Zeitpunkt könnten wir den deutlichen Anstieg der Infektionszahlen noch eindämmen. Das Fenster schließt sich aber deutlich", sagte Lauterbach.
Habt weniger Kontakte - das predigt auch die SPD-Spitze. "Wir appellieren eindringlich an die Bevölkerung, Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren und sich an die bekannten Hygienemaßnahmen zu halten", erklärten die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie Lauterbach in einem gemeinsamen Statement gegenüber dem RND. Schulen, Kitas und Betriebe müssten offen bleiben.
"Damit das gelingt, müssen auch hier die Kontakte so weit wie möglich begrenzt werden, in den Schulen durch reduzierte und entzerrte, digital gestützte Unterrichtsmodelle und im Beruf durch verstärktes Homeoffice."
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) formulierte zwei Appelle. GdP-Vize Jörg Radek rief die Bürger in der "Rheinischen Post" (Montag) zu mehr Eigenverantwortung auf, sie sollen sich zurückzunehmen, an die Auflagen halten und nicht bei der "kleinsten Gereiztheit" nach der Polizei rufen. Und die Verwaltung solle "widerspruchsfreie Auflagen" formulieren, "sonst wird die Arbeit der Polizei unnötig erschwert", mahnte Radek.
Angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen geraten viele Gesundheitsämter an ihre Grenzen, bei der Kontaktverfolgung kommen sie kaum noch hinterher. Überlegungen, sich dabei nur noch auf Risikogruppen zu konzentrieren, treffen beim Vorsitzenden der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, auf scharfen Widerspruch.
Eine Aufgabe der Kontaktverfolgung durch Gesundheitsämter wäre ein "öffentlicher Offenbarungseid", sagte Brysch der "Rheinischen Post" (Montag). Er forderte, dass sich der Bundestag mit dem Thema befasst. "So muss hier auch geklärt werden, warum es nicht gelingt, den öffentlichen Gesundheitsdienst krisenfest zu machen", sagte Brysch.
(pcl/dpa)