45 Millionen Küken werden nach wie vor jährlich getötet.Bild: imago stock&people / BildFunkMV
Deutschland
09.09.2020, 09:0109.09.2020, 17:58
Mit dem massenhaften Töten männlicher Küken in
der Legehennenzucht in Deutschland soll Ende kommenden Jahres Schluss
sein. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) will die Praxis ab
dann verbieten und stellte dazu einen Gesetzentwurf
dazu vor. Klöckner sprach von einem "Meilenstein für den Tierschutz", der auch eine Signalwirkung für andere Staaten haben solle. "Das Töten von Eintagsküken, weil sie ein bestimmtes Geschlecht haben, ist ethisch nicht vertretbar."
Das Ministerium verweist darauf, dass alternative Verfahren
marktreif seien, um das Geschlecht im Ei zu bestimmen und männliche
Küken gar nicht schlüpfen zu lassen. Noch werden 45 Millionen Küken
jährlich getötet, die keine Eier legen und nicht so viel Fleisch
ansetzen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2019 entschieden, dass
die umstrittene Praxis nur noch für eine Übergangszeit zulässig ist.
Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte der Deutschen
Presse-Agentur: "Ich sehne den Tag herbei, an dem dieses Thema
endlich Geschichte ist. Praxistaugliche Verfahren zur
Geschlechtsbestimmung sollten schnellstmöglich flächendeckend zum
Einsatz kommen." Wichtig sei, dass die gesetzliche Regelung nicht
durch den Einkauf von Eiern im Ausland unterlaufen werde.
Geflügelhalter fordern EU-weite Regeln
Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft erklärte, die
Branche wolle den Ausstieg aus dem Kükentöten lieber heute als
morgen. "Das Gesetz darf aber nicht den Eindruck erwecken, eine
kurzfristige Lösung bis Ende 2021 sei völlig unproblematisch
möglich", sagte Präsident Friedrich-Otto Ripke der dpa. Im freien
EU-Warenverkehr könnten zum Beispiel polnische oder niederländische
Brütereien weiterhin männliche Küken am ersten Lebenstag töten und
Eier hier anbieten. "Nur EU-Recht kann dieses Dilemma auflösen."
In der "Rheinischen Post" forderte Klöckner die Bürger auf,
künftig auch auf Eier aus dem Ausland zu verzichten, wenn die Tiere
dort weiterhin geschreddert werden. "Das Töten von Eintagsküken ist
ethisch nicht vertretbar. Es darf nicht sein, dass Tiere nach dem
Schlüpfen sofort getötet werden, weil sie ein bestimmtes Geschlecht
haben", sagte Klöckner dem Blatt. Die in der Geflügelhaltung gegebene
Praxis, dass Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet werden, weil die
Aufzucht wirtschaftlich unrentabel sei, werde beendet. Deutschland
sei damit weltweiter Vorreiter. Die Ministerin verteidigte die
Übergangszeit bis Ende 2021. Ein Verbot habe nur Sinn, wenn der
Branche eine Alternative zur Verfügung stehe, begründete sie.
Um das Kükentöten zu vermeiden, sind zwei Verfahren entwickelt
worden. Bei der einen Methode wird einige Tage lang bebrüteten Eiern
durch ein winziges Loch etwas Flüssigkeit entnommen, um das
Geschlecht zu bestimmen. Weibliche Küken werden ausgebrütet,
männliche nicht. So erzeugte Eier werden bereits in Supermärkten
angeboten. Beim zweiten Verfahren wird ein spezieller Lichtstrahl ins
Ei-Innere geschickt, wie das Ministerium erläutert. Das Geschlecht
wird dann durch eine Analyse des reflektierten Lichts bestimmt.
Urteil: Kükentötung nur zulässig, bis es Alternativen gibt
Laut Bundesverwaltungsgericht ist das Kükentöten nur noch so
lange zulässig, bis gut funktionierende alternative Verfahren zur
Verfügung stehen. Das Tierschutzgesetz besagt in Paragraf 1, dass
niemand einem Tier "ohne vernünftigen Grund" Schmerzen, Leiden oder
Schäden zufügen darf. Die Frage war, ob wirtschaftliche Interessen
der Hennenzüchter ein "vernünftiger Grund" sein können. Dazu hatten
die Bundesrichter festgestellt, dass die Belange des Tierschutzes
schwerer wiegen.
Die SPD sieht trotz des angekündigten Gesetzentwurfs
Versäumnisse. Klöckner habe sich viel zu lange nicht um eine Lösung
gekümmert, sagte Susanne Mittag, die Tierschutzbeauftragte der SPD im
Bundestag, der dpa. "Sowohl im Koalitionsvertrag als auch in einem
ergänzenden Entschließungsantrag hatten wir schnellere Lösungen
beschlossen." Vereinbart sei gewesen, schon bis zur Mitte der
Wahlperiode das Verbot der Kükentötung durchzusetzen. "Dadurch, dass
Frau Klöckner erst den Weg der Freiwilligkeit gehen wollte, hat sie
viel Zeit verschenkt."
Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD:
"Das Töten von Eintagsküken werden wir bis zur Mitte der Legislaturperiode beenden."
Auch den Grünen geht es zu langsam. Seit
2015 hätten die Landwirtschaftsminister der Union das Ende des
"Kükenschredderns" angekündigt, sagte Fraktionsvize Oliver Krischer
der dpa. "Ich erwarte, dass jetzt eine gesetzliche Verpflichtung
umgesetzt wird, dass die Brütereien die neue Technik umgehend
einsetzen müssen und nicht irgendwann in den nächsten Jahren." Die
neue Technik führe zu Mehrkosten von zwei Cent pro Ei. "Das ist es
wert."
Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Gero Hocker,
nannte es "traurig und ambitionslos zugleich", dass sich Frau
Klöckner mit einem nationalen Verbot begnüge. "Sie lässt damit die
großartige Chance der deutschen Ratspräsidentschaft ungenutzt
verstreichen." Würde ihr es wirklich um das Wohl der Tiere gehen,
hätte sie einheitliche europäische Rahmenbedingungen angestrebt. So
aber bleibe die Bundesregierung bei billiger Schaufensterpolitik, und
für die Küken bleibe alles beim Alten. Nur eines werde sich ändern:
Die männlichen Küken würden künftig knapp hinter der deutschen Grenze
getötet.
SPD und Grüne fordern zudem weitere Schritte. Es brauche eine
Haltungskennzeichnung für Eier auch in verarbeiteten Produkten, sagte
Krischer. "Dort werden immer noch in großem Umfang Eier von Hühnern
aus Käfighaltung eingesetzt. Wenn das dort drauf steht, werden
weniger Käfigeier nachgefragt." Susanne Mittag mahnte, Klöckner müsse
"endlich ein staatliches Tierwohllabel vorlegen, das auch Geflügel
sowie Eier erfasst". Das geplante Label soll in einem ersten Schritt
für Schweinefleisch gelten, weitere sind aber geplant.
(se/dpa)
Boris Pistorius (SPD) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.