Kaum ein Mensch ist in den vergangenen Tagen an ihnen vorbeigekommen: die erschütternden Bilder aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, wo nach massiven Überschwemmungen ganze Ortschaften verwüstet wurden und über 150 Menschen gestorben sind. Dass die Zunahme solcher Extremwetterereignisse mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist nahezu wissenschaftlicher Konsens.
Der Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD) Jörg Meuthen ist davon nicht überzeugt, wie er am Sonntagabend im ZDF-Sommerinterview erklärt: "Ich sehe zunächst einmal eine Unwetter-Wetterlage, wie man sie im Sommer manchmal hat, sie ist diesmal besonders krass ausgefallen." Diese Aussage ist wenig überraschend: Prominente Vertreter der AfD relativieren oder leugnen seit Jahren die menschengemachte Erderhitzung, im Grundsatzprogramm der Partei wird er kleingeredet.
Meuthen, der für die AfD im Europaparlament sitzt, jedoch nicht zur Bundestagswahl im September antritt, war der dritte Spitzenpolitiker, der sich im Rahmen der Sommerinterviews den Fragen der ZDF-Journalisten Shakuntala Banerjee und Theo Koll stellte. Zuvor waren schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die Co-Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin der Linken Janine Wissler zu Gast bei "Berlin direkt".
Die anhaltend kritische Lage in Westdeutschland dominiert den Beginn des Interviews: Zu der Flutkatastrophe sei es gekommen, weil ein Tief zwischen Hochs eingeklemmt gewesen sei, so der AfD-Politiker. "Inwieweit Klimawandel-Phänomene diese Geschichte nun verstärkt haben oder nicht, das wissen wir nicht."
Eine globale Erderwärmung streitet die AfD laut Meuthen zwar nicht ab, aber man bezweifle, "dass diese nur negative Folgen habe". So steht das auch im Wahlprogramm der Partei. Weiter heißt es dort: "Statt einen aussichtslosen Kampf gegen den Wandel des Klimas zu führen, sollten wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen, so wie es Pflanzen und Tiere auch tun."
Genau an diese Stelle knüpft Banerjee an, als sie Meuthen fragt, welches Tier der Partei dabei vorschwebe.
Meuthen weicht der Frage aus: Er sei kein Biologe und habe die Passage nicht mitverfasst. "Mir geht es darum, dass sich die Menschen anpassen und das tut man mit Hochtechnologie", sagt der AfD-Politiker. Dabei verweist er auf die Niederlande, wo man gelernt habe, mit dem Wasser umzugehen.
Die globale Erderwärmung zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, schätzt Meuthen als unrealistisch ein. "Ich halte es für menschliche Hybris zu sagen: Wir steuern hier das Weltklima auf 0,1 oder 0,2 Grad genau. Das ist menschlich nicht machbar", meint Meuthen. Sein Vorschlag: Man müsse "damit umgehen".
Ein weiteres Thema, das das 20-minütige Sommerinterview dominierte, waren – wenig überraschend – die parteiinternen Querelen. Im Mai wollte sich Meuthens Co-Parteivorsitzender Tino Chrupalla gemeinsam mit Alice Weidel zum Spitzenduo für den Bundestagswahlkampf wählen lassen. Meuthen hatte damals offen die Gegenkandidaten unterstützt, jedoch ohne Erfolg.
Die anhaltenden Spannungen mit Chrupalla und Weidel traten auch im ZDF-Sommerinterview zum Vorschein. Es sei "unklug" gewesen, dass sein Co-Parteivorsitzender jüngst eine Reise auf Einladung des russischen Verteidigungministers angetreten und dort eine Rede gehalten habe. Das Gleiche gelte für Weidel, die kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg Zeit in Russland verbracht habe.
Ein Grund für die Spannungen innerhalb der Partei sind radikale Strömungen. Auf dem Parteitag Ende vergangenen Jahres hielt Meuthen eine unter Parteikollegen umstrittene Rede, in der er Teilen der AfD eine zu große Nähe zur "Querdenken"-Bewegung vorwarf. Außerdem kritisierte er den Gebrauch von Begriffen wie "Corona-Diktatur".
Von Radikalisierungstendenzen innerhalb der AfD zu sprechen geht Meuthen wohl aber zu weit – vor allem, wenn es um seine eigene Verantwortung geht. "Ich habe keinen Anteil an der Radikalisierungsentwicklung und ich würde eine Radikalisierungsentwicklung auch in Abrede stellen", sagt er. Meuthen hatte allerdings selbst mehrmals Veranstaltungen des "Flügels" besucht. Der Verfassungsschutz stuft diese AfD-Gruppierung, die laut der Partei im Frühjahr 2020 aufgelöst wurde, als rechtsextrem ein.
Meuthen geht mittlerweile öffentlich auf Distanz zum "Flügel". Im ZDF-Sommerinterview gibt er zu: Der Versuch, die Gruppierung in die Partei zu integrieren, sei gescheitert. Inzwischen handle man jedoch sehr entschlossen und erfolgreich, meint Meuthen. Er verweist auf Andreas Kalbitz – den ehemaligen Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Landtag von Brandenburg, dem wegen rechtsextremer Aktivitäten die Parteimitgliedschaft entzogen wurde. Andere sind trotz rechtsradikaler Äußerungen noch AfD-Mitglieder.
Von denen konnte Banerjee auch gleich einige aufzählen, zum Beispiel Andreas Harlaß. Der stehe auf Listenplatz 5 der sächsischen AfD für die Bundestagswahl und dürfe gerichtlich als "lupenreiner Neonazi" bezeichnet werden. "Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich eine Verteidigung von einzelnen Listenkandidaten mache. Die Liste in Sachsen habe ich als Baden-Württemberger mit Sicherheit nicht mitgewählt", sagt Meuthen genervt. Doch Banerjee lässt nicht locker.
"Wer in diesen Zeiten nicht als Rechtsextremist diffamiert wird, macht irgendwas verkehrt", zitiert die Journalistin Jens Maier, der ebenfalls in Sachsen auf Listenplatz 2 steht. "Ich finde, dass Herr Maier mit solchen Sprüchen etwas verkehrt macht", erwidert Meuthen. "Wir können die zwanzig Minuten in toto damit verbringen, ich wüsste noch zehn, zwölf Namen zu sagen."
Am Ende hatte Banerjee trotzdem Zeit für weitere kritische Fragen: Etwa warum sich Meuthen als Bundessprecher und EU-Abgeordneter nicht durchsetzen konnte, als die Partei in ihrem Programm den Dexit, also den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, beschloss. Das sei ein Parteitagsbeschluss und der sei zu respektieren, antwortet Meuthen. Aber: "Ich halte es für einen Fehler und zahle jeden Tag die Zeche in Brüssel." Denn durch diese Position werde die Zusammenarbeit im Parlament mit anderen Parteien erschwert.
Zuletzt wollte Banerjee noch wissen, wie es um Meuthens Zukunft in der AfD stehe. Die ehemaligen Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry hatten am Ende ihrer Tätigkeit an der Spitze der AfD auch viel Widerstand durch radikalere Vertreter erfahren. Beide traten am Ende aus der Partei aus.
Dem Beispiel Luckes und Petrys will Meuthen nach eigenen Aussagen allerdings nicht folgen: "Hinwerfen ist nicht meine Art. Das mache ich nicht."