Bundespräsident Steinmeier warnt bei Gedenkfeier vor rechten Netzwerken.Bild: reuters / ANDREAS GEBERT
Deutschland
Jahrzehnte war das Oktoberfestattentat einem Einzeltäter mit privaten
Motiven zugeschrieben worden. Jetzt erst wird es offiziell als
rechter Terror bewertet. Das Gedenken zum 40. Jahrestag wird so zu
einem starken Appell gegen Rechts – es ist auch die Stunde der Opfer.
40 Jahre danach: Bewegende Worte von Beteiligten
Überlebende schildern in bewegenden Worten ihre Lage,
erstmals ist mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein
Staatsoberhaupt dabei: 40 Jahre nach dem Oktoberfest-Attentat haben
hochrangige Gäste aus Politik und Gesellschaft sowie Vertreter der
Opfer und Überlebenden am Samstag am Tatort auf der Theresienwiese in
München an den schwersten rechtsextremistischen Anschlag in der
Geschichte der Bundesrepublik erinnert. Deutlicher denn je geht von
dem Gedenken der Appell aus: Der Kampf gegen Rechtsextremismus und
rechte Netzwerke muss verschärft werden.
Steinmeier: "Rechtsterroristische Mordtaten warn nicht das Werk von Verwirrten"
"Der Rechtsextremismus hat tiefe Wurzeln in unserer Gesellschaft",
sagt Steinmeier. "Die rechtsterroristischen Mordtaten der vergangenen
Jahrzehnte waren nicht das Werk von Verwirrten." Die Täter seien
eingebunden gewesen in Netzwerke des Hasses und der Gewalt. "Diese
Netzwerke müssen wir aufspüren." Sie müssten noch entschiedener
bekämpft werden. "Wegschauen ist nicht mehr erlaubt." Die Aufklärung
der NSU-Morde habe Licht in einen toten Winkel der Strafverfolgung
gebracht. Ermittlungen liefen ins Leere, wenn sie nicht vorbehaltlos,
sondern von Befangenheit und Vorurteilen geleitet würden. Der
Schrecken rechten Terrors sei wieder nah, "gerade jetzt, nach dem
Mord an Walter Lübcke, nach den Taten von Halle und Hanau".
200 Verletzte bei Anschlag auf Theresienwiese – Politiker beziehen klar Stellung
Am 26. September 1980 hatte eine Bombe zwölf Wiesngäste und den
rechtsextremen Bombenleger Gundolf Köhler in den Tod gerissen und
über 200 verletzt. Die Bundesanwaltschaft hatte erst im Juli nach
neuen Ermittlungen die Tat als rechtsextremistisch eingeordnet.
Früher sprachen Ermittler von der Tat eines Einzelnen aus privatem
Frust. Am Gedenken nahm auch Generalbundesanwalt Peter Frank teil.
Klarer als je zuvor räumen Politiker nun nicht nur Fehler bei den
damaligen Ermittlungen, sondern auch bei der politischen Einschätzung
ein – und es gibt Entschuldigungen an die Adresse der Opfer. "Ihre
Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderungen nach Unterstützung
wurden oft genug abgelehnt und sie selbst sogar als Simulanten
diffamiert", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Söder entschuldigt sich für früher gemachte Fehler
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: "Es tut mir leid
und ich entschuldige mich für die Fehler, die in den Ermittlungen,
aber auch in der Einschätzung zu der Tat gemacht wurden." Er spreche
als Rechtsnachfolger aller anderen Ministerpräsidenten und als
Verantwortlicher für den Freistaat. "Wer Rechtsradikale unterschätzt,
versündigt sich an der Demokratie." Er gab ein "Schutzversprechen"
ab: "Wir werden nicht zulassen, dass Rechtsextremismus, Hass,
Antisemitismus, Rassismus geduldet, akzeptiert oder irgendwie
unterschätzt werden." Söder wandte sich auch an die Opfer: "Wir
verneigen uns. Wir werden diesen Tag nie vergessen."
Eindrücklich schilderten Überlebende ihre Geschichte. "Ich möchte
endlich wieder auf einen Berg steigen, mit dem Rad um den Starnberger
See fahren", sagte die als Folge gehbehinderte 73-jährige Renate
Martinez. Am meisten aber habe sie sich gewünscht, dass die Täter
verurteilt werden "und im Knast landen, wo diese vielfachen Mörder
längst hingehören". Solche Verbrechen dürften nie wieder geschehen.
Robert Höckmayr (52) sagte, die Kultur des Erinnerns sei ein starkes
Signal einer wachsamen Gesellschaft gegen Rechts. Vergessen sei aber
nicht möglich. "So habe ich zwei Geschwister direkt beim Anschlag
verloren. Vierzig Jahre Gedenken – das ist für mich daher vor allem
ein Denken an ihre vierzig Jahre ungelebtes Leben."
Überlebende rufen zum Kampf gegen Rechts auf
Die Überlebenden riefen auf zum Kampf gegen Rechts – aber auch zu
Optimismus. Das Attentat dürfe nicht in Vergessenheit geraten, sagte
die damals ebenfalls schwer verletzte Gudrun Lang. Sie habe ihre
erste große Liebe verloren. "Das Attentat zwang mich und viele andere
zu einer neuen Wegführung, mit der ich mich erst nur schwerlich
zurechtfand." Aber sie sagt auch: "Aus Zerstörung muss wieder etwas
erwachsen – nicht Hass, sondern die Hoffnung des Guten."
Dimitrios Lagkadinos (57), der beide Beine verlor, mahnte,
Rechtsextremismus nähre sich aus Hass und Ausgrenzung und gehe selten
von Einzelnen aus, sondern sei organisiert und vernetzt. Er rief auf,
nicht nur in der Vergangenheit zu bleiben. "Das Leben ist schön",
lautet der Appell des Mannes, der seit 40 Jahren im Rollstuhl sitzt.
Für die DGB-Jugend, die über Jahrzehnte das Gedenken maßgeblich
aufrechterhielt, erinnerte Pia Berndt an den langen Weg bis zur
Wiederaufnahme der Ermittlungen und zur Einstufung der Tat als
rechtsextremistisch. Viele hätten seit 1980 gewusst, dass der
Attentäter kein verwirrter Einzeltäter war.
An der Theresienwiese wurde ein neuer Dokumentations-Ort unter freiem
Himmel mit rund 200 lebensgroßen Silhouetten und Videoinformationen
eröffnet. Bund, Land und Stadt München brachten am Mittwoch einen
Opferfonds mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro auf den Weg.
(vdv/dpa)
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