Die Zahl der Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent auf 5,94 Millionen gestiegen. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2023 hervor, aus der die "Welt am Sonntag" am Samstag vorab zitierte und die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag vorgestellt hat. Die Gewaltkriminalität erreichte demnach mit rund 215.000 Fällen den Höchststand seit 15 Jahren.
Im Deliktbereich der "gefährlichen und schweren Körperverletzung" stieg die Zahl um 6,8 Prozent auf 154.541 Fälle, wie es in dem Bericht heißt. Das war die höchste bislang dokumentierte Fallzahl. Auch die "vorsätzliche einfache Körperverletzung" nahm auf 429.157 Fälle zu, ein Anstieg um 7,4 Prozent. Der bisherige Höchststand sei 2016 mit 406.038 Fällen registriert worden.
"Konflikte werden schneller mit Fäusten statt mit Worten gelöst. Die Zündschnur ist kürzer geworden", sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) der Zeitung. Kriege und Krisen hätten die Stimmung zusätzlich angeheizt. "Das ist wie ein großes Pulverfass."
Unionspolitiker fordern die Bundesregierung angesichts zunehmender Gewaltkriminalität zum Handeln auf. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bezeichnete die Entwicklung gegenüber der "Rheinischen Post" (Montagsausgabe) als "erschreckend". Die Bundesregierung müsse "endlich ihre Prioritäten richtig ordnen und auch unbequeme Wahrheiten in den Blick nehmen", sagte Linnemann. "Dazu gehört, dass die weiter hohe illegale Migration immer mehr auch zu einem Sicherheitsrisiko wird."
Die Zahl der Tatverdächtigen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 7,3 Prozent auf 2.246 Millionen, wie die "Welt am Sonntag" aus der Statistik zitierte. Von diesen besaßen 923.269 keinen deutschen Pass, das sind rund 41 Prozent. Die Zunahme von Tatverdächtigen ohne deutschen Pass lag laut Bericht bei fast 18 Prozent.
Bei der Gewaltkriminalität legte im Einzelnen die Zahl der Raubdelikte um rund 17 Prozent auf 44.857 zu, die Zahl der Messerangriffe stieg um knapp zehn Prozent auf 8951, wie die "Welt am Sonntag" berichtete. Eine geringe Zunahme um zwei Prozent gab es laut Bericht dagegen bei Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, es waren insgesamt 2282 Fälle. Die Zahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffe im besonders schweren Fall stieg um 2,4 Prozent auf 12.186 Fälle. Die Aufklärungsquote aller erfassten Straftaten betrug laut Bericht 58,4 Prozent.
Tatsächlich verkennt die alarmistische Lesart der Kriminalstatistik die eigentlichen Erkenntnisse. Wenn aus dem Anstieg der absoluten Zahlen von Gewalt und Kriminalität eine verschärfte Sicherheitslage geschlussfolgert wird, an der vor allem Ausländer:innen beteiligt seien, dann geht das an der Aussagekraft der Statistik vorbei.
In erster Linie ist die Kriminalstatistik ein Arbeitsnachweis der Polizei. Erfasst werden nicht alle Straftaten, sondern nur die Fälle, die auch bei der Polizei angezeigt werden. Heißt: Darunter sind also auch Fälle, in denen am Ende die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht feststellt, dass kein kriminelles Vergehen vorliegt.
Auch muss ein statistischer Anstieg bestimmter Straftaten – etwa bei sexualisierter Gewalt – nicht zwangsläufig bedeuten, dass es in absoluten Zahlen mehr Fälle gibt. Es kann auch daher rühren, dass mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden oder vermehrt polizeilich verfolgt werden.
Ähnlich verhält es sich bei den 17,8 Prozent mehr ausländische Tatverdächtigen, die im Vergleich zum Vorjahr registriert wurden. Zum einen leben mittlerweile mehr Ausländer:innen in Deutschland, nach der Corona-Pandemie und in der Folge des Ukraine-Kriegs haben die Migrationsströme zugenommen.
Zum anderen gibt es Straftaten, die Deutsche gar nicht begehen können – wie etwa illegal einreisen. Wenn die ausländerrechtlichen Verstöße herausgerechnet werden, liegt der Anstieg noch bei 13,5 Prozent, wie "Zeit Online" analysiert.
Die Ermittler führen den hohen Anstieg der Gesamtkriminalität unter anderem auf den Wegfall der Corona-Beschränkungen zurück. Nach den drei Berichtsjahren 2020, 2021 und 2022 ist 2023 das erste mit wieder weitgehend normalem öffentlichen Leben.
"Dadurch ergeben sich mehr Tatgelegenheiten und -anlässe", heißt es in dem Bericht. Vor allem bei Jugendlichen könne es zu "Nachholeffekten der entwicklungstypischen Delinquenz kommen", heißt es weiter. Kinder und Jugendliche seien etwa durch den Mangel an sozialen Kontakten und Stressbelastungen innerhalb der Familie besonders von Corona-Beschränkungen betroffen gewesen. Dies habe häufig zu psychischen Belastungen geführt, "was sich auch auf ihre Anfälligkeit, Straftaten zu begehen, auswirken kann".
Kritik an der Polizeilichen Kriminalstatistik äußerte unterdessen der Kieler Kriminologe Martin Thüne. Er will sie in ihrer jetzigen Form abschaffen und durch eine bessere Datengrundlage ersetzen. Generell sei die Polizeiliche Kriminalstatistik "eine problematische Datengrundlage", sagte Thüne der "Frankfurter Rundschau" (Mittwochsausgabe). "Auf dieser Basis zu sagen, Deutschland sei unsicher geworden, halte ich für Unsinn." Er plädiere stark dafür, "dieses PKS-System radikal infrage zu stellen, sich zusammenzusetzen und etwas Neues zu entwickeln". Vorschläge dazu gebe es seit Jahrzehnten.
Thüne verwies darauf, dass die Statistik "in der Öffentlichkeit polarisiert". Es würden daraus Maßnahmen abgeleitet, "die auf dieser Datengrundlage besser nicht abgeleitet werden sollten", fügte er hinzu. "Die PKS ist unvollständig, verzerrt, potenziell manipulierbar und ungewichtet", so das Urteil des Wissenschaftlers.
Bei der Erfassung ausländischer Tatverdächtiger ist die Statistik nach Ansicht Thünes "systematisch verzerrt". Als ein Problem nannte er, dass "zumindest in der öffentlichen und politischen Debatte die Zahl von ausländischen Tatverdächtigen regelmäßig ins Verhältnis gesetzt wird zur ausländischen Wohnbevölkerung – also zum Beispiel 40 Prozent an den Tatverdächtigen bei nur 15 Prozent in der Gesamtbevölkerung".
Dabei würden aber viele Taten von Tatverdächtigen erfasst, die gar nicht in Deutschland lebten. "Das sind reisende Tätergruppen, das sind Touristen, das sind Stationierungskräfte, das sind Pendler", so Thüne. Deswegen werde der Anteil an den Tätern immer größer sein als der Anteil an der Wohnbevölkerung.
(dpa/afp)