Herr Meier schreibt gerne Mails. Kurz, knackig, pointiert müssen sie sein. Zwischen Shift und Buchstabe passt dann kein Blatt Papier. Denn Herr Meier mag es, die Welt in GROSSBUCHSTABEN zu erklären. Und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Nachricht von ihm in unserem Redaktionspostfach landet. Gerne auch mal 27 Stück innerhalb weniger Minuten.
Meistens verschickt er Links sogenannter alternativer Medien, von "PI-News" oder "Journalistenwatch". Dahinter stehen ultrarechte Seiten, die vor allem durch reißerische Headlines und Verschwörungstheorien auffallen.
Wenn "Journalistenwatch" " 'Täter aus einem anderen Kulturkreis' brechen Raben die Beine" titelt, schickt Herr Meier ein "UNFASSBAR!!!" hinterher. Oder lässt wahlweise ein "PERFIDE" aufblitzen.
Wenn die AfD schreibt, die sächsische Regierung würde eine Islamisierung mit Steuergeldern fordern, ergänzt Herr Meier: "Ist ja mal wieder total KAPUTT!!!"
In Herrn Meiers E-Mail-Welt müssen die Grünen zum "AMTSARZT!!!", es ist die Rede vom "MIGRANTENPACK", oder es wird kurz und knapp erklärt, warum Geert Wilders Recht habe: Weil nämlich muslimischen Kindern bereits an ihren Teddys beigebracht werde, "wie sie mit dem Messer RICHTIG zuzustechen haben, zwecks TÖTUNG eines "OPFERTIERES" !!!", schreibt Herr Meier.
Oft hängt Herr Meier auch selbst ausgeschnittene Zeitungsartikel an seine Briefe. Die wichtigsten Passagen sind dann mit Kuli unterstrichen, abfotografiert und schief hochgeladen. Manchmal schickt Herr Meier nur einen Link. Oder er leitet eine E-Mail zum Thema "Mallorca Vergewaltigung" oder "Klimahysterie" von Ingrid oder Renate weiter.
watson hat Herrn Meier aber nicht exklusiv. Er schreibt auch anderen Redaktion, Politikern oder Behörden. Sein Verteiler ist für alle lesbar. Und er wächst von Woche zu Woche. Dieselben Mails bekommen der "Spiegel", "Maischberger" oder die Redaktion von "Hart aber fair", Politiker wie Alice Weidel, Dorothee Bär oder Jürgen Trittin – und auch Angela Merkel ist in CC gesetzt.
Herr Meier ist eine Art Einmannverteiler. Er hat offenbar eine Mission. Und Herr Meier ist kein Einzelfall. Es gibt viele Meiers. In Deutschland. Einmannempörte. Sie stellen eigene Zeitschriften zusammen, verschicken Newsletter und Briefe. Die Meiers dieser Republik sind laut, sendungsbewusst und sie wollen gehört werden.
Doch wer ist unser Herr Meier, der so gerne über die Tastatur schreit? Da hilft nur ein Anruf.
watson: Hallo Herr Meier, Redaktion watson hier, Sie schreiben uns ja regelmäßig...
Herr Meier: Hallo, was sind Sie?
watson.
Wer?
watson. W.A.T.S.O.N. Wie der Kollege von Sherlock Holmes.
Ist das sowas wie Journalistenwatch?
Nein.
Seid ihr ein links-grüner Verein?
Das kommt wohl auf die Perspektive an. Wäre das denn ein Problem?
Sie müssen in die Muschel sprechen.
Wäre das denn ein Problem?
In die MUSCHEL.
WÄRE DAS DENN EIN PROBLEM?
"Ich habe was gegen Leute, die links quatschen und rechts leben."
Warum schreiben Sie uns denn so viele E-Mails?
"Weil ich Wahrheiten und Tatsachen kundtun will. Das ist ja nicht verboten. Ich bin ein deutscher Bürger."
Wir kommen ins Gespräch. Vor allem er.
Herr Meier ist 74 Jahre alt. Er wächst im ostwestfälischen Herford auf. Von Beruf war Herr Meier Ingenieur. Doch Musik ist eigentlich immer zentral in seinem Leben gewesen. 20 Jahre habe er ein Musikgeschäft geführt, sagt er. 1000 Klaviere verkauft, zwischendurch aber auch alte Strandkörbe von der Ostsee nach Bielefeld exportiert. "Ich bin der, der den Strandkorb ins Binnenland gebracht hat", sagt Herr Meier und lacht. Vor allem aber sei er Pianist. Auf Kreuzfahrtschiffen habe er gespielt und die Welt gesehen. Auf seinen Reisen will er Ronald Reagan und Frank Sinatra kennengelernt haben. Elf Mal sei er um die Erde gereist.
Heute ist Herr Meier Rentner. Er pendelt zwischen Herford und Berlin. Denn man kann ihn buchen. Mal als klassischen Pianisten, mal als Hauptmann von Köpenick, mal als "Lügenbaron", mal als Tiroler Bua, als Weihnachtsmann oder als Clown. Immer dabei: die Drehorgel. Herr Meier ist so etwas wie ein Alleinunterhalter. Er bietet "lustige Unterhaltung für jede Festlichkeit". Er wird gern als zotiger Typ mit Pickelhaube gebucht, steht dann mit seiner Drehorgel am Empfang und spielt hinterher vielleicht noch am Klavier.
Und Herr Meier ist natürlich politisch. "Wir waren früher große Fans von Adenauer und Strauß", sagt er. Den Franz-Josef (Strauß) will er sogar mal in einer Disco auf Sylt kennengelernt haben. Der konnte so erklären, dass es jeder verstanden hat, sagt er.
Heute ist das anders. Die Union hat Herrn Meier längst verloren. Heute findet er Alice Weidel gut. Ähnlich wie Strauß könne die klar denken, sagt er. Und das, "obwohl sie ja ne Lesbe ist."
Auch aus der Kirche sei er ausgetreten. Dort hat er früher Orgel gespielt. Doch die evangelische Kirche sei heute wie die Grünen, sagt er. Was die erzählen, sei alles weltfremd. Überhaupt, Linksgrüne mag er nicht. Die würden immer gleich mit der rechten Keule kommen. "Die Vögel sagen mir, ich wäre Rassist." Er, der doch selbst so lange im Ausland gewesen sei. Nein, sagt Herr Meier, ihm gehe es um den gesunden Menschenverstand.
Natürlich müsse man Menschen helfen, die unverschuldet in Not geraten. Aber wer sich nicht anpasse, habe hier nichts verloren. Die Leute täten ihm natürlich Leid, in Mumbai oder Kairo. "Ich war dort ja überall." Das Problem müsse man aber an der Wurzel packen, sagt er. "Die kriegen einfach zu viele Kinder."
Herr Meier glaubt, dass die Deutschen durch geburtenfreudigere Muslime unterwandert würden. "In 20, 30 Jahren gibt es hier ein Hauen und Stechen", prophezeit er. "Und dann kommt die Sharia." Und jetzt würde man auf Sarrazin rumhacken, nur, weil der die Wahrheit sage. "Die SPD wählt doch jetzt erst recht keiner mehr."
Deswegen verschickt er E-Mails an Redaktionen und Politik. Er mache das alles mit seinem Smartphone. Mit dem Computer sei das zu kompliziert. Er liest einen Artikel "und wenn ich merke, das ist nicht verkehrt, dann geht das raus." Die meisten Mails verschickt er im Zug. Da hat er kostenlos W-Lan. Alle 14 Tage pendelt er von Herford nach Berlin. Dann hat er sechs Stunden Zeit. "Und da mach ich viel mit dem Internet."
Manchmal schreiben ihn die Leute an, er möge sie doch bitte von seinem Verteiler nehmen. Dann lacht er nur: "Ich weiß ja gar nicht, wie das geht."
Das Telefonat dauert eine gute Stunde. Erkenntnis: Hinter den wütenden Zeilen steckt eine ostwestfälische Frohnatur. Ein weltgereister Wutbürger. Mit der AfD, mit den Höckes und den Gaulands, mit zum Teil offen rechtsextremen Phantasien, wird Deutschland umgehen müssen und können. Die vielen Meiers aber, die alles teilen, die zu den Multiplikatoren neurechter Thesen werden, sind die eigentliche Herausforderung. Mal ist es ein Link auf Facebook, mal eine Leseempfehlung via Whatsapp. Es sind die liebenden Onkels oder Tanten, der Nachbar oder Schulfreund, sie haben ein Tier im Facebookprofil, verteilen weinende Emojis, wenn ein Hund bei Hitze im Auto zurückgelassen wird und werden nicht müde, vor einer vermeintlichen Islamisierung zu warnen und die Mär vom "großen Bevölkerungsaustausch" zu verbreiten.
Dann poppt wieder eine E-Mail im Redaktionsordner auf. Absender: Meier. Natürlich. Doch der Ton ist ein anderer.
"Danke für Ihren ANRUF!!! MfG W.MEIER (74, gefühlte 24)"
Es dauert keine Stunde, dann ist Herr Meier bereits wieder im Großbuchstaben-Verteilermodus. Er schickt einen PI-news-Link: "Afrikaner schächtet Holländerin am helllichten Tag".
Und schreibt:
"Überall in der EU gibt es MESSERER = BEREICHERER, von hiesigen TRAUMTÄNZERN gehuldigt! UNFASSBAR !!! GEERT WILDERS AUS HOLLAND HAT RECHT !!!"
Geschickt vom Kosmopoliten Meier, von einem Weltgereisten, der von sich sagt, er sei doch eigentlich "in Sachen Spaß unterwegs".