In den vergangenen Wochen wurde Bundeskanzler Olaf Scholz wegen seines Zögerns bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine vielfach kritisiert. Zahlreiche Politiker warfen ihm vor, zu zaghaft zu agieren. Scholz selbst verteidigte sein Vorgehen stets mit der Begründung, Russland nicht zu sehr verärgern und eine Eskalation des Krieges in Richtung Nato vermeiden zu wollen. Die Kritik an seinem Handeln brach trotzdem nicht ab.
Erst in dieser Woche änderte Deutschland sein Vorgehen. Am Donnerstag billigte der Bundestag schließlich mit großer Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.
Prompt wandte sich am Freitag eine Gruppe deutscher Prominenter wie Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar in einem Offenen Brief an den Kanzler – mit der Warnung vor einem Dritten Weltkrieg.
Sie appellieren darin an Scholz, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfe kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die Nato geliefert werden, schreiben die Unterzeichner in dem Brief, der am Freitagvormittag auf der Webseite des Magazins "Emma" erschienen ist. Sie warnen vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges.
Zu den 28 Erstunterzeichnern gehören der Autor Alexander Kluge, der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der Sänger Reinhard Mey, die Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die Schauspieler Lars Eidinger und Edgar Selge und die Schriftstellerin Juli Zeh.
Anders als viele Kritiker, die Scholz eine zaudernde Haltung vorwerfen, bekunden die Unterzeichner des Briefes ihre Unterstützung dafür, dass der Bundeskanzler bisher aus ihrer Sicht alles getan habe, um eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs zum Dritten Weltkrieg zu vermeiden:
Die Unterzeichner betonen, dass Putin mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen habe. Dies rechtfertige aber nicht, das "Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen". Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könne Deutschland selbst zur Kriegspartei machen.
Dieser Offene Brief löste wiederum eine Welle der Kritik aus, zu verfolgen insbesondere auf Twitter.
So meldet sich etwa der Journalist Stefan Lischka auf der Plattform: "Hä? Die Unterzeichner des Aufrufs in der Emma ziehen also aus dem Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung durch den russischen Aggressor den Schluss, dass die Ukraine doch am schlauesten aufhören soll sich zu wehren?"
Damit bezieht er sich auf eine Textpassage im Offenen Brief, in dem die Verfasser über die "Grenzlinie" beim Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung sprechen:
Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk meldete sich zu Wort. Er schrieb: "Diese Prominenten, die der Ukraine schwere Waffen verwehren wollen und damit dem Mörder Putin nur in die Hand spielen, damit er ukrainische Frauen und Kinder zerbomben kann, haben das Prinzip 'Nie wieder' mit Füßen getreten. Nichts aus der Geschichte gelernt. Traurig."
FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann empörte sich ebenfalls: "Das muss man sich mal vorstellen: In der Ukraine, die einseitig brutal angegriffen wird, kämpfen Menschen um ihr Leben und 28 sogenannte 'Prominente' fordern "beide Seiten" zu einem Kompromiss auf." Der einzige Kompromiss sei laut Strack-Zimmermann die vollständige Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine. Sie findet: "Wer sich durch einen Krieg 'belästigt' fühlt, sollte seinen Wertekompass ganz unkreativ mit dem Hammer geraderücken."
Auch der Korrespondent im Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung verurteilt die Forderungen im Brief: "Dieser offene Brief ist schrecklich und aufschlussreich. Gefordert wird ein Kompromiss, 'den beide Seiten akzeptieren können'. Klingt gut. Worum es aber tatsächlich geht: Deutschland soll helfen, die Ukraine zu zwingen, sich #Russland zu ergeben."
Der Journalist und Politikredakteur der "Welt", Matthias Kamann, äußert sich auf Twitter zum Brief und bezeichnet die Aussagen der Verfasser gar als "arrogant": "Die Autor:innen des Briefs in der #Emma lügen das Freiheitsstreben der Ukrainer:innen in etwas um, was die Regierung in Kiew entschieden hätte. Auf Basis dieser Lüge maßen sie sich dann an zu dekretieren, was für jene Menschen eigentlich gut sei. Was für eine Arroganz!"
Der Politiker Jan Philipp Albrecht sieht es ähnlich und verweist auf die Notwendigkeit, freie westliche Werte, wenn nötig, zu verteidigen: "Das 'Nie wieder' nach 1945 war aus Sicht der Befreier*innen immer ein 'Nie wieder deutscher Überfall', ein 'Nie wieder Faschismus', ein 'Nie wieder Massenmord, nie wieder Shoa'. Es war kein 'Nie wieder effektiv das Völkerrecht, die Menschenrechte und die Menschlichkeit verteidigen'", schreibt der Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein.
Damit reiht er sich in eine Flut an Kommentaren ein, die nach Veröffentlichung des Briefs in den sozialen Netzwerken folgten. So auch jener des Tagesspiegel-Journalisten Paul Starzmann, der die Sichtweise der Unterzeichner auf zynische Weise verspottet. Er twittert am Freitagnachmittag: "Was geht die Ukraine auch alleine und im kurzen Rock nachts auf die Straße! Schöne Grüße, eure Emma".
(ast / mit Material von dpa)