Kinder im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. Bild: PIXSELL / Armin Durgut
Deutschland
Die große Koalition hat sich zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Kinder aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern bereit erklärt. Die Unterbringung dieser Minderjährigen in Deutschland soll im Rahmen einer europäischen Lösung erfolgen, wie die Spitzen von Union und SPD in der Nacht zum Montag nach Beratungen im Berliner Kanzleramt mitteilten.
Mit ihrem Beschluss reagierte die große Koalition auf die jüngste Zuspitzung der Flüchtlingskrise in Griechenland. Seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Ende Februar nach Eskalation des militärischen Konflikts in der nordsyrischen Provinz Idlib die Grenzen für in die EU strebende Flüchtlinge geöffnet hat, hat der Flüchtlingsandrang in Richtung Griechenland stark zugenommen.
Wer gerettet werden soll
Die Koalition erklärte nun, sie wolle bei einer Lösung für etwa tausend bis 1500 Flüchtlingskinder in "schwieriger humanitärer Lage" helfen. Dabei handelt es sich laut einer gemeinsamen Erklärung der Regierungspartner um Minderjährige in den Lagern auf Ägäis-Inseln, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind. Die meisten von ihnen seien Mädchen.
Auf europäischer Ebene werde "in diesen Tagen" über eine Lösung verhandelt, um in einer "Koalition der Willigen" die Übernahme dieser Kinder zu organisieren, erklärten die Spitzen von CDU, CSU und SPD. In diesem Rahmen stehe Deutschland bereit, "einen angemessenen Anteil zu übernehmen".
Gewalt gegen Flüchtlinge
Der Koalitionsausschuss sicherte Griechenland auch seine "Unterstützung und Solidarität" beim Schutz der EU-Außengrenze zu – ebenso wie bei der Unterbringung und Versorgung der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge. Seit der Grenzöffnung durch die Türkei versuchten tausende Menschen nach Griechenland zu gelangen. Die griechischen Sicherheitskräfte gingen unter anderem mit Tränengas gegen die Flüchtlinge vor.
Flüchtlingshelfer beklagen allerdings schon seit Monaten unmenschliche Bedingungen in den Lagern auf den griechischen Inseln. Auf Lesbos und vier anderen Ägäis-Inseln kamen nach griechischen Angaben zuletzt weitere mehr als 1700 Menschen an.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Montag den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis in Berlin treffen. Bei dem bilateralen Treffen dürfte es vor allem um die Flüchtlingskrise gehen.
Erdogan trifft sich mit von der Leyen
In ihrer Erklärung nach den siebenstündigen Beratungen unter Leitung Merkels äußerten sich die Spitzen der großen Koalition auch zur Lage in Idlib. Die dort Ende vergangener Woche aufgrund einer türkisch-russischen Vereinbarung in Kraft getretene Waffenruhe müsse genutzt werden, "um die dringend benötigte humanitäre Hilfe zu der leidenden Zivilbevölkerung vor Ort zu bringen". Dafür habe die Bundesregierung der UNO aktuell 125 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Erdogan wird am Montag zu Gesprächen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel in Brüssel erwartet, in denen es ebenfalls um die Lage in Idlib und die Flüchtlingskrise geht. Die EU wirft der Türkei vor, die Flüchtlinge gegenüber Brüssel als Druckmittel zu missbrauchen. Die Türkei wiederum beschuldigt die EU, ihre Zusagen aus dem Flüchtlingsabkommen von 2016 nicht einzuhalten.
Ankara hatte sich in dem Abkommen verpflichtet, alle auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Brüssel versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.
Die Grenzöffnung stellt auch eine schwere weitere Belastung der bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland dar. Die türkischen Sicherheitskräfte setzten wiederholt Tränengas gegen die griechische Grenzpolizei ein. Griechenland will wegen des Flüchtlingsandrangs seinen Grenzzaun zur Türkei ausbauen. Der Zaun solle an drei Abschnitten um 36 Kilometer verlängert werden, verlautete aus Regierungskreisen in Athen. Auch solle der bereits bestehende Zaun verstärkt werden.
(afp/lin)
Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.