Der SPD-Chef Norbert Walter-Borjans beim ZDF-Sommerinterview. bild: zdf / Marius Becker
Deutschland
SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans ist grundsätzlich offen für eine 30-Stunden-Woche für Arbeitnehmer. Im ZDF-Sommerinterview am rechten Rheinufer in Köln sagte Walter-Borjans zu einem Vorstoß von Linken-Parteichefin Katja Kipping: "Das wäre zumindest ein Punkt, an dem ich sagen würde: 'Ja da kann man sich zumindest mal an den Tisch setzen.'"
Zudem äußerte sich Walter-Borjans optimistisch zu den Chancen seiner Partei: Der Anteil der Menschen, die grundsätzlich der SPD nahestehen, betrage in Deutschland laut Umfragen "stabil 30 Prozent". Walter-Borjans weiter: "Die Zielsetzung, diese Menschen wieder für die SPD zu begeistern, die ist geblieben. Es ist ein dickeres Brett, als ich am Anfang vielleicht gedacht habe, aber ich glaube nach wie vor daran, dass uns das gelingt."
Offen für Rot-Rot-Grün – aber ohne Koalitionswunsch
Walter-Borjans wiederholte in dem Gespräch mit Moderator Theo Koll außerdem, dass er – wie seine Ko-Vorsitzende Saskia Esken – offen für ein rot-rot-grünes Bündnis mit Grünen und Linkspartei ist. Walter-Borjans wörtlich:
"Wenn wir ein Bündnis und auch eine Option mit der Linken zu regieren von vornherein ausschlössen, dann könnten wir auch direkt sagen, dass wir weiter als Juniorpartner einer großen Koalition verkümmern wollen."
Position der SPD – auch Olaf Scholz' Position – sei es, dass die Politik der großen Parteien in Deutschland wieder unterscheidbar werden solle. Walter-Borjans weiter:
"Da müssen wir gesprächsbereit sein auch mit allen demokratischen Parteien, die im Bundestag sind. Ich zähle die Linken dazu, ich zähle die AfD ausdrücklich nicht dazu."
Walter-Borjans sagte allerdings auch, dass es bei bestimmten Themen erhebliche Unterschiede zur Linkspartei gebe, etwa in der Außenpolitik. Die Aussage von Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch im Interview mit dem "Deutschlandfunk", die Linke werde "die Nato nie auflösen", wertet Walter-Borjans als "Signal".
Walter-Borjans setzt nach eigenen Worten darauf, ein möglichst starkes SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl zu erreichen – und auf dieser Basis in Verhandlungen mit möglichen Koalitionspartnern zu gehen. Zur Linkspartei sagte er schließlich: "Wir gehen doch nicht in eine Bundestagswahl als künftiges Bündnis. Wir gehen in eine Bundestagswahl, weil wir die Positionen der SPD durchsetzen wollen.
Malerische Kulisse: der gebürtige Krefelder und ehemalige NRW-Finanzminister Walter-Borjans beim Interview mit Blick auf den Kölner Dom.null / Marius Becker
Auf Koalitions-Fragen will Walter-Borjans sich nicht einlassen
Eine künftige Regierungskoalition unter SPD-Führung müsste laut Walter-Borjans auf drei Punkten basieren: erstens einer "dynamischen Wirtschaft, die auch Neues wagt", zweitens auf dem Zusammenhalt der Gesellschaft und drittens auf der Bekämpfung des Klimawandels.
Auf die Frage von Moderator Koll, ob die SPD lieber als Juniorpartner der Grünen mitregieren oder in die Opposition gehen würde, antwortete Walter-Borjans nicht.
Er sagte, er wolle lieber, dass die SPD so stark werde, dass andere Parteien sich überlegen müssten, ob sie mit ihr regieren wollten. Und auf eine Rückfrage Kolls zum Thema antwortete er:
"Ich mach' jetzt keine Spiele darüber, was dann passiert."
Zarter Seitenhieb auf Gabriel und Schröder wegen Lobbytätigkeit
Auf die Frage Kolls nach der teils heftig kritisierten Lobbytätigkeit von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel – beide Vorgänger Walter-Borjans' als SPD Chef – sagte der:
"Ich würde es mir manchmal anders wünschen. Aber es sind ja einzelne Menschen. Ich kann niemandem, der aus dem Amt raus ist, vorschreiben, was er zu tun hat."
Das ist immerhin ein zarter Seitenhieb auf Gabriel und Schröder. Beide sind bei manchen SPD-Anhängern bis heute beliebt, bei einem anderen Teil aber auch äußerst unpopulär. Er selbst würde ähnliche Tätigkeiten als Interessenvertreter für private Wirtschaftsunternehmen nach seiner Arbeit als SPD-Chef nicht übernehmen, sagte Walter-Borjans.
Walter-Borjans wird auf alte Esken-Aussage über Scholz angesprochen
Zum Verhältnis zum frisch gekürten SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sagte Walter-Borjans mehrfach, er vertraue Scholz. Zur Frage, ob der politisch eher in der Mitte stehende Scholz "Beinfreiheit" von der Partei mit ihren linken Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans wolle (2013 hatte der damalige SPD-Kandidat Peer Steinbrück das von der Partei in einer Rede verlangt), sagte Walter-Borjans:
"Das ist für Olaf Scholz gar kein Thema. Weil Olaf Scholz nicht in Distanz zu seiner Partei diese Kandidatur betreibt, sondern wirklich als Teil dieser Partei."
Koll sprach Walter-Borjans auch auf eine Aussage von Walter-Borjans' Ko-Chefin Saskia Esken zu Scholz an, die bis heute oft zitiert wird.
Esken war Ende November 2019, wenige Tage vor dem Ende der Urwahl um den SPD-Vorsitz, zusammen mit Walter-Borjans Gast in der ZDF-Talkshow "Lanz". Scholz war damals mit der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Klara Geywitz noch Konkurrent der beiden um den Parteivorsitz der heutigen SPD-Chefs. Auf die Frage von Moderator Markus Lanz, ob Scholz aus ihrer Sicht ein "standhafter Sozialdemokrat" sei, sagte Esken damals: "Das kann ich im Lauf der sehr langen Jahre, in denen Olaf Scholz tätig ist, so nicht beurteilen. Ehrlich gesagt." Walter-Borjans saß damals schweigend neben Esken.
Im ZDF-Sommerinterview wurde der entspechende Videoausschnitt eingespielt. Walter-Borjans reagierte mit gelassenem Blick in die Kamera und antwortete humorvoll. Er sprach über seinen erneuten Auftritt bei Lanz am vergangenen Dienstag, bei dem er ebenfalls mit der Aussage Eskens konfrontiert worden war.
Walter-Borjans wörtlich: "Ich habe (Markus Lanz) gesagt, wenn Sie das nicht gemacht hätten, dann hätte ich an Ihrer Professionalität gezweifelt, was ich weder bei ihm noch bei Ihnen tue." Dann sagte er zu der damaligen Aussage Eskens:
"Das war die Schlussphase. Das war zwei Tage vor dem Ende des Stichwahlkampfes zwischen Klara Geywitz/Olaf Scholz und Saskia Esken und mir. Und da wir wirklich natürlich auch unter Adrenalin gestanden. Saskia Esken hat sich selbst bei Olaf Scholz für diese Pause entschuldigt."
Walter-Borjans meint damit Eskens Zögern auf die Frage, ob Scholz nun standhafter Sozialdemokrat sei.
Das stimmt auch: Esken hatte sich schon im November 2019 kurz nach ihrem Auftritt bei Lanz bei Scholz entschuldigt, unter anderem öffentlich via Twitter.
Was die SPD-Chefs und Kanzlerkandidat Scholz erreichen wollen
Mit der Kombination aus dem Kanzlerkandidaten Scholz – und Esken und ihm als linke Parteichefs – wolle die SPD zweierlei erreichen:
- Erstens wolle die Partei die Wählerinnen und Wähler mit ihrem "personellen Angebot" davon überzeugen, dass sie solide, soziale, durchsetzungsfähige Regierungsarbeit leisten könne – dafür stehe keiner besser als Olaf Scholz.
- Zweitens wollten Esken und er als Parteichefs die Mitglieder der SPD davon überzeugen, "dass wir wieder Politik formulieren können ohne die Schere im Kopf der großen Koalition".
Walter-Borjans glaubt, Wahlen mit linkem Programm gewinnen zu können
Walter-Borjans glaubt zudem nach eigener Aussage, die Bundestagswahl auch mit einem eher linken Programm gewinnen zu können. Auf die Aussage von ZDF-Moderator Theo Koll, dass Parteien Wahlen in Deutschland in der politischen Mitte gewinnen, sagte Walter-Borjans:
"Die Mitte ist erstmal für sich genommen ein Punkt. Ich muss irgendwo von der Mitte ausgehend Mehrheiten erreichen. Und was bisher als Mitte ausgegeben wurde, ist immer etwas, das von der Mitte sehr, sehr stark in sehr hohe Vermögens- und Einkommenskreise gegangen ist. Und da sind viele mit kleinem und mittleren Einkommen eher draußen gelassen worden. Denen hat man eher erzählt: Ihr seid die Mitte und für euch tun wir was. Das sehe ich anders."
Was das konkret für ein mögliches Regierungsprogramm unter SPD-Führung bedeutet? Walter-Borjans sagte, dass er die Steuern für den reichsten Teil der Bevölkerung erhöhen, für die allermeisten Menschen in Deutschland aber senken will. Seine wörtliche Aussage dazu:
"Die Grundposition, für den allergrößten Teil der Bevölkerung die Steuern zu senken, die steht für uns im Vordergrund – und ich kenne viele aus der Linken, die das ähnlich sehen. Dass es dann einen Teil geben muss im ganz oberen Bereich – ich rede da von ein, zwei Prozent der Bevölkerung –, die dann auch einen größeren Beitrag leisten müssen, das steht auch außer Frage, auch für Olaf Scholz."
Auch für eine Vermögenssteuer auf besonders große Privatvermögen sei Kanzlerkandidat Olaf Scholz, sagte Walter-Borjans. Dazu habe Scholz sich schon "eindeutig" geäußert.
(se)