Die erste Impfung im Impfzentrum Stuttgart.Bild: imago images / Gruber
Deutschland
29.12.2020, 11:0029.12.2020, 15:59
Nach dem Beginn der Corona-Impfungen wird
zunehmend über denkbare Bevorzugungen Geimpfter diskutiert – etwa auf
Veranstaltungen, in Restaurants oder bei Flugreisen. Rechtspolitiker
von SPD und Union sehen Regelungslücken, auch Verbraucherschützer
warnen davor. Die FDP-Fraktion hingegen hält das grundsätzlich für
gerechtfertigt.
Dabei laufen die Impfungen mangels Impfstoffs seit Sonntag nur
ganz langsam an und zunächst auch nur bei Pflegebedürftigen,
Über-80-Jährigen und medizinischem Personal. Bis zum Jahreswechsel
sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
1.3 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Pro Person sind zwei
Impfungen im Abstand von drei Wochen nötig.
Die verfügbare Impfstoffmenge wird aber zunehmen, da bisher nur
der von Biontech /Pfizer zugelassen ist, Anfang Januar
aber mit der Zulassung des Präparats von Moderna
gerechnet wird und weitere Pharmafirmen ebenfalls in
Zulassungsverfahren stecken. "Wir werden im Januar noch deutlich mehr
Impfungen haben, weil immer mehr der vom Staat bestellten Mengen
geliefert werden", sagte der Präsident des Verbandes forschender
Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, der "Rheinischen Post"
(Dienstag). "Jeder weitere Hersteller, der eine Zulassung erhält,
wird ebenfalls mit vorproduzierten Chargen schnell im Markt sein."
Spahn hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass jedem bis zum Sommer
ein Impfangebot gemacht werden kann.
Privilegien für Geimpfte in der Privatwirtschaft denkbar – Politik zeigt sich kritisch
Mit Blick darauf gewinnt die Frage an Bedeutung, ob Geimpfte von
Privatunternehmen bevorzugt werden dürfen – auch wenn eine staatliche
Impfpflicht nicht vorgesehen ist und von der Politik einhellig
abgelehnt wird. Die australische Fluggesellschaft Qantas hat bereits
angekündigt, auf bestimmten Strecken nur noch geimpfte Passagiere
mitzunehmen.
Und es gibt noch sensiblere Bereiche. Auch Pflegeanbieter etwa
können die ambulante und stationäre Pflege ablehnen, daran erinnert
die Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nicht geimpfte
Pflegebedürftige dürften aber nicht benachteiligt werden, mahnte
Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Der Deutschen Presse-Agentur sagte
er, die Bundesregierung müsse für eine gesetzliche Klarstellung
sorgen. "Denn sonst können Pflegeanbieter auf ihre Vertragsfreiheit
pochen. Mit der Freiwilligkeit bei der Impfung wäre es dann vorbei."
Alle bereit. Das Impfen kann im Impfzentrum Stuttgart lofgehen.Bild: imago images / Gruber
Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv),
Klaus Müller, sagte der "Rheinischen Post": "Wenn die
Vertragsfreiheit für Restaurants, Fitnessstudios, die Bahn oder
Pflegeheime nicht mit dem von den Ministern Spahn und Seehofer zu
Recht geforderten Diskriminierungsschutz in Konflikt geraten soll,
brauchen wir eine breite Diskussion, um alle Auswirkungen auf
Verbraucher und Unternehmen zu erörtern. Das Justizministerium sollte
dazu gleich Anfang des Jahres dem Bundestag einen Gesetzentwurf
vorlegen."
Bundesgesundheitsminister Spahn und Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) hatten bereits vor Sonderrechten für frühzeitig
Geimpfte gewarnt. Rechtspolitiker der Koalition wollen da durchaus
auch etwas tun. Der rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe,
Volker Ullrich, sagte der "Welt", für staatliche Einrichtungen, auch
etwa den Nahverkehr, verbiete es sich, nach Geimpften und
Nicht-Geimpften zu unterscheiden. "Im privaten Bereich gibt es
hingegen eine Regelungslücke, die wir adressieren müssen."
Der rechtspolitische SPD-Fraktionssprecher Johannes Fechner sagte
der Zeitung: "Die SPD-Fraktion prüft derzeit gesetzliche Maßnahmen,
wie Ungleichbehandlungen von Nicht-Geimpften und Geimpften durch die
Privatwirtschaft ausgeschlossen werden könnten." Allerdings machte er
einen einschränkenden Zusatz: Wenn die für Februar von Biontech
angekündigten Erkenntnisse zeigten, dass Geimpfte ansteckend seien,
dann wäre eine Ungleichbehandlung epidemiologisch nicht zu
rechtfertigen. Bisher ist zumindest denkbar, dass ein Geimpfter bei
Kontakt mit dem Erreger zwar selbst nicht erkrankt, das Virus aber an
andere weitergeben kann, wie das Robert-Koch-Institut erklärt.
Wenn die laufende Forschung aber das Gegenteil ergibt, sieht die
FDP die Frage von Geimpften-Privilegien anders: "Steht aber fest,
dass von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr
ausgeht, dann darf der Staat seine Freiheit nicht einschränken",
sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (RND/Dienstag).
Impfstoffmenge soll erhöht werden
Bleibt noch die Frage der bereitstehenden Impfstoffmenge. Der
Chef der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI, Uwe Janssens, rät da zu
mehr Geduld. "Wir können jetzt nichts vom Zaun brechen. Wir haben
jetzt wirklich in Windeseile einen Impfstoff auf dem Markt, der sogar
wirkt. Das ist sensationell", sagte der Präsident der Deutschen
Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
(DIVI), dem RTL-"Nachtjournal". "Lassen wir uns das jetzt doch nicht
kaputtreden von der Politik, die meint, es müsste jetzt noch
schneller gehen."
FDP-Chef Christian Lindner etwa hatte gefordert, den
Biontech/Pfizer-Impfstoff in Lizenz von anderen Pharmafirmen
produzieren zu lassen. Auch Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali
plädierte in der "Nordwest-Zeitung" (Dienstag) dafür.
"Ich halte das für kontraproduktiv", sagte
Intensivmedizin-Professor Janssens. Es sei ein biotechnisch
komplizierter Prozess. "Ich würde jetzt keine Schnellschüsse machen."
Sonst stellten Impfgegner womöglich infrage, dass das der richtige
Impfstoff sei. "Und dann haben wir eine
Riesen-Diskussion."
(lau/dpa)
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