Bundespräsident Steinmeier: "Wir müssen Antirassisten sein!"Bild: dpa Pool / Bernd von Jutrczenka
Deutschland
16.06.2020, 20:4116.06.2020, 20:49
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat
die deutsche Gesellschaft aufgefordert, aktiv gegen Rassismus
einzutreten und auch das eigene Verhalten kritisch zu überprüfen. "Es
reicht nicht aus, 'kein Rassist' zu sein. Wir müssen Antirassisten
sein!", sagte er am Dienstag bei einer Diskussionsrunde im Schloss
Bellevue. "Rassismus erfordert Gegenposition, Gegenrede, Handeln,
Kritik und – vielleicht am schwierigsten – Selbstkritik,
Selbstüberprüfung. Antirassismus muss gelernt, geübt, vor allem aber
gelebt werden."
Hintergrund der Veranstaltung war der Fall des schwarzen
US-Bürgers George Floyd, der bei einem brutalen Polizeieinsatz in
Minneapolis (Minnesota) getötet worden war.
Steinmeier betonte, auch in Deutschland kenne man Fälle von
Gewalt gegen Schwarze in Gefängnissen und von ungeklärten Todesfällen
in der Haft. Er sei aber überzeugt: "Die Polizei und
Sicherheitskräfte in unserem Land sind vertrauenswürdige Vertreter
des Staates. Ausnahmen von dieser Regel sind Ausnahmen geblieben.
Polizei und Sicherheitskräfte verdienen unseren Respekt, sie
verdienen unsere Unterstützung."
"Respekt, Recht und Freiheit, noch lange nicht für alle Menschen in Deutschland Realität"
Steinmeier griff auch die aktuelle Debatte über den Begriff
"Rasse" im Grundgesetz auf. Er erinnerte daran, dass die Mütter und
Väter des Grundgesetzes die unantastbare Würde jedes Menschen ganz
bewusst gegen die menschenverachtende und rassistische Ideologie des
Nationalsozialismus gesetzt hätten. Die Diskussion, ob die
entsprechenden Artikel heute noch zeitgemäß formuliert seien, sei
zunächst einmal legitim. "Ich wünsche mir allerdings, dass diese
Debatte uns vor allem dafür die Augen öffnet, dass das Ziel, das
Versprechen von gleicher Würde, von Respekt, Recht und Freiheit, noch
lange nicht für alle Menschen in Deutschland Realität ist."
Ex-Fußballer Asamoah mit Bananen beworfen
Diese Erfahrung haben auch Steinmeiers Gäste gemacht – und machen
sie bis heute: "Mein worst case (schlimmster Fall) war in Cottbus, wo
ich mit Bananen beschmissen wurde", berichtete etwa der aus Ghana
stammende, ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler Gerald Asamoah.
Der in Tübingen aufgewachsene Daniel Gyamerah vom Berliner Thinktank
"Citizens of Europe" erzählte von ständigen Polizeikontrollen nur
wegen des Aussehens. "Unsere Erfahrung ist leider, dass wir immer und
immer und immer wieder kontrolliert werden von der Polizei, völlig
unabhängig davon, was wir machen."
Steinmeier mit seinen Gästen, Gerald Asamoah (l-r), Gloria Boateng, Vanessa Tadala Chabvunga und Daniel Gyamerah.Bild: Reuters Pool / Annegret Hilse
Die Lehrerin und Bildungsaktivistin Gloria Boateng schilderte
ihre Erfahrungen mit einer Bewerbung für einen Abteilungsleiterposten
an ihrer Schule. Nach dem Gespräch habe sie der Schulleiter für ihr
tolles Konzept gelobt, zugleich aber gesagt, sie könne die Stelle
nicht haben. Begründung: "Sie werden verstehen: Ich muss jemanden
auswählen, von dem ich weiß, dass er vom gesamten Kollegium getragen
wird."
"Es ist viel schlimmer, als wir glauben"
Keine Hoffnung konnte Ex-Fußballstar Asamoah dem
Bundespräsidenten hinsichtlich der Entwicklung in den vergangenen
Jahren machen: "Es hat sich nicht verbessert." Und die Lehrerin
Boateng befand: "Es ist viel schlimmer, als wir glauben." Rassismus
in Deutschland sei ein strukturelles und institutionelles Problem,
gaben die Gäste Steinmeier mit auf den Weg. Und sie wünschten sich
von ihm, dass er in seinem Amt der Gesellschaft bei der
Problemanalyse helfe. Denn bislang werde dieses Problem oft genug
negiert. "Bis jetzt steht der anti-schwarze Rassismus nicht auf der
Agenda", sagte Gyamerah.
Sie seien Teil dieser Gesellschaft und wollten endlich auch als
solches anerkannt werden, erklärten Steinmeiers Diskussionspartner.
"Wir sind ein unglaublich tolles Land. Ich lebe so gerne hier. Aber
ich habe den Kampf einfach langsam satt. Ich habe es langsam satt,
fünfmal so viel leisten zu müssen wie andere, um einen Brotkrümel vor
die Füße geworfen zu bekommen", lautete Boatengs leidenschaftliches
Schlusswort. Es war außer an Steinmeier an die gesamte Gesellschaft
gerichtet.
(lau/dpa)
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