Neue Verordnung für Selbstbestimmungsgesetz: trans-Community sorgt sich um Zwangsoutings
Man macht einen Termin beim Standesamt, nimmt diesen wahr und wenige Tage später ist die eigene Geschlechtsidentität offiziell anerkannt – für immer. Dank dem im vergangenen November in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz ist es tatsächlich genau so einfach.
Zwar ist der Alltag von trans*Personen noch immer von vielen Hürden und vor allem durch viel Diskriminierung geprägt. Immerhin aber entfallen medizinische Gutachten, gerichtliche Verfahren oder sonstige Infragestellung der eigenen Identität.
Doch seit einigen Monaten ist die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wieder entfacht. Denn die aktuelle Bundesregierung plant spezifische Veränderungen, die eine Diskriminierung von trans*Personen erneut vorantreiben dürfte. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) plant hierzu eine Verordnung.
Innenministerium will Verordnung für Selbstbestimmungsgesetz
Zunächst war in diesem Zusammenhang die Rede von einem Sonderregister für alle, die das Selbstbestimmungsgesetz in der Praxis genutzt und ihren Geschlechtseintrag geändert haben. Eine solche Liste soll nun zwar nicht kommen – doch die zugehörige Verordnung wird dennoch am Freitag im Bundesrat besprochen.
Konkret geht es bei dem Entwurf um die Datensätze, die infolge der Geschlechtsänderung im deutschen Meldewesen hinterlegt sind. Vorgesehen ist, dass der alte Vorname, das frühere Geschlecht sowie das Datum der Änderung hinterlegt und dauerhaft gespeichert werden.
Bisher wurde der alte Eintrag nach der Umschreibung mit einem Sperrvermerk versehen, sodass er für öffentliche Einrichtungen nicht mehr abrufbar war. Wer Zugang zu den Daten haben wollte, musste bei der Meldebehörde erst einen offiziellen Antrag stellen.
Aktivistin fürchtet heftige Diskriminierung durch Gesetzesänderung
Wird die vom Innenministerium geplante Verordnung umgesetzt, wäre dieser Zugriff hingegen beinahe uneingeschränkt möglich. Jegliche Behörden könnten die Daten abrufen und überprüfen, ob die jeweilige Person ihren Geschlechtseintrag in der Vergangenheit geändert hat.
"Das ist gefährlich und birgt große Risiken für Diskriminierung", betont die Autorin und trans*Aktivistin Phenix Kühnert. Sie weist darauf hin, dass in Zukunft auch Stellen wie das Arbeitsamt oder Vermieter:innen Zugriff auf die Daten erhalten könnten. Gemeinsam mit anderen Aktivist:innen unterstützt Kühnert eine Petition gegen die geplante Verordnung.
Zwar ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht geplant, dass die Daten auch für öffentliche Einrichtungen zugänglich sind. Dennoch sehen Expert:innen den Entwurf als äußerst kritisch.
"Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie leicht dieser Zugriff theoretisch ist", erklärt eine Juristin vom Chaos Computer Club gegenüber "netzpolitik.org". Für einen Zugriff reicht demnach die Begründung einer Behörde, dass die Daten für die Erfüllung der eigenen Aufgaben notwendig seien. Auf einfache Weise könnten Mitarbeitende diese Abfragen etwa an rechtsextreme Organisationen weitergeben.
"Wir hören aus den Communitys, dass viele Menschen wegen der Verordnung vor dem Nutzen des SBGGs zurückschrecken", erklärt Gabriel_Knox Koenig vom Bundesverband trans* gegenüber watson. Somit würden viele weiterhin damit leben, dass ihre Geschlechtsidentität etwa auf EC-Karte oder Personalausweis nicht angegeben ist. "Das wäre ein großer Rückschritt."
Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, dass die Verordnung wichtig sei, weil die betroffenen Personen nur so eindeutig identifiziert werden könnten. Faktisch gesehen ist das aber falsch. "Deutschland führt seit 1981 Vornamens- und Personenstandsänderungen durch", unterstreicht Gabriel_Knox König. "Die Identifizierbarkeit einer Person ist stets gewährleistet."
Experten warnen vor Missbrauch von Selbstbestimmungsgesetz
In der trans*Community ist die Sorge vor struktureller Diskriminierung in der Zukunft nun groß. Demnach birgt eine entsprechende Gesetzesänderung auch das Risiko, dass künftige, möglicherweise konservativere Regierungen doch noch ein Melderegister erstellen könnten.
Schon jetzt warnen Expert:innen im Zusammenhang mit der Verordnung allerdings vor Zwangsoutings im Kontakt mit Behörden. "Damit entsteht faktisch eine 'Lebensakte Trans*'", merkt auch Koenig kritisch an.
"Die geplanten Maßnahmen zur Datenerhebung und -weitergabe im Meldewesen führen dazu, dass trans*, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen als solche erkannt werden können, was diese vulnerablen Personengruppen einem erhöhten Diskriminierungsrisiko aussetzt", fasst der Verband in einer Stellungnahme zusammen.
Auch der Familienausschuss im Bundestag stellte sich in einem Gutachten gegen die geplante Verordnung. Diese missachte "den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe".
Als Verordnung muss der Entwurf jedoch nur den Bundesrat passieren. Er wird entsprechend lediglich von den Vertreter:innen der Länder besprochen – ohne anschließende Zustimmung durch den Bundestag. Der Ausgang ist hierbei ungewiss.