Aktiver Teil der Demokratie wollen sie sein. Die 20-jährige Politikstudentin Tracy Osei-Tutu und der 22-jährige Schauspieler Simon Marian Hoffmann. Weil sie sich aber nicht repräsentiert fühlen, haben sich die beiden Mitte April kurzerhand im Bundestag angekettet. Zusammen mit Aktivisten des Vereins "Demokratische Stimme der Jugend" breiteten sie Banner aus und ließen Flugblätter durch die Besucherkuppel fliegen. Ihre Forderung: Mehr Mitspracherechte für Kinder und Jugendliche – durch ein Herabsenken des Mindestwahlalters.
"Wir wollten angebunden sein an den Bundestag, die Demokratie", rechtfertigt Simon die Aktion. Das Frauenrecht gebe es jetzt seit 100 Jahren und es werde Zeit, dass das Kinderwahlrecht auch dazukomme. Was als Kunstaktion gedacht war, könnte allerdings ein juristisches Nachspiel haben. Denn freiwillig gaben Tracy und Co. die Kuppel nicht frei. Die Polizei musste die Ketten der Aktivisten mit Bolzenschneidern aufschneiden.
Nach ihrer Aktion hat Tracy dann eine Petition mit dem Ziel gestartet, das Wahlalter in Deutschland herabzusenken. Über 50.000 Unterstützer hat der Aufruf bereits.
Am Dienstag haben Tracy und Simon ihrem Anliegen noch einmal medialen Nachdruck verliehen. Die Aktivistenplattform change.org hatte ihre Räumlichkeiten in Berlin zur Verfügung gestellt und Pressevertreter geladen. Auch die Politik half: Die stellvertretende Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jamila Schäfer, und der Juso-Chef Kevin Kühnert waren zur Unterstützung gekommen. Der Staatsrechtler Hermann Heußner übernahm den juristischen Part.
Tracy und Simon wissen genau: Ihr Protest passt in die Zeit. Die Fridays-For-Future-Bewegung bringt mit lautstarkem Klimaprotest gerade weltweit tausende Kinder und Jugendliche auf die Straße. Die Demonstrationen um den Artikel 13 wurden in der Hauptsache ebenfalls von jungen Menschen getragen und auch Hashtag-Proteste wie #unteilbar oder #wirsindmehr mobilisiert vor allem die Jugend.
Tracy und Simon aber wollen mehr. Ihnen reicht der Protest der Straße nicht. Der Aufstand der Jugend sei da, sagen sie. "Wir wollen ihn jetzt politisch verankern", sagt Tracy an diesem Dienstag. Tracy und Simon wollen den Protest von der Straße in die Parlamente holen. Simon ergänzt: "Wir sind 20 Prozent der Bevölkerung, aber haben 0 Prozent zu entscheiden."
Einen Plan, wie mehr Jugendliche am politischen Prozess beteiligt werden sollen, haben sie auch: Sie fordern einen Jugendrat. Ein Gremium, das nach dem Losverfahren mit jungen Menschen besetzt werden und bei Zukunftsfragen in den politischen Prozess eingebunden werden soll. Diesen Rat wollen sie mit einem Vetorecht versehen. So dass keine Entscheidung ohne Mitsprache der betreffenden Generation mehr gefällt werden könne. Der Jugendrat wäre in der Vision der beiden so eine Art Übergangsinstitution – und zwar solange, bis ein Wahlrecht für Kinder- und Jugendliche eine direktere Beteilung ermöglichen würde.
Unterstützung erhalten sie dabei von einem Staatsrechtler. Hermann Heußner ist Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Osnabrück. Er fordert seit langem, das Wahlrecht auch auf Kinder und Jugendliche auszudehnen. "Das Wahlrecht ist das politische Grundrecht der Demokratie. Wer nicht wählt, nimmt nicht teil", sagt er.
Das Mindestalter von 18 Jahren im Grundgesetz beziehe sich nur auf die Bundestagswahl, mache aber keine Vorgaben zum Mindestalter bei der Europawahl, sagt Heußner. Rückenwind erhofft sich Heußner auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Das hatte kürzlich entschieden, das Menschen unter Vollbetreuung auch an der Europawahl teilnehmen dürfen. Heußner begrüßt dieses Urteil. Für den Staatsrechtler steht fest: Wenn jetzt auch Demenzkranke zu recht wählen dürften, dann könne man das Wahlrecht auch Unter-18-Jährigen nicht mehr vorenthalten, argumentiert er. Denn das Argument der Nichturteilsfähigkeit fiele weg.
Heußner geht sogar noch weiter: Aus juristischer Sicht habe für ihn ein Mensch qua Geburt ein Wahlrecht.
Simon und Tracy wollen soweit nicht gehen. Sie treten für ein Kinderwahlrecht ein. Und ein Kind ist für sie dann wahlberechtigt, sobald es von sich aus sagt, dass es wählen möchte und sich ins Wahlregister eintragen lässt. Durch die Ausweitung des Wahlrechts auf Kinder und Jugendliche erhoffen sich die beiden vor allem ein Umdenken der Politik.
Sie sei dann gezwungen, neue Wählerschichten mitzudenken und auf die Bedürfnisse jüngerer Leute einzugehen. Demokratie müsse Abbild der Gesellschaft sein. Das ist die große Vision der beiden.
Doch mit Blick auf die Europawahlen haben sie ein konkretes Ziel: Es gehe nun darum, Unter-18-Jährige nicht von der Europawahl auszuschließen, sagen sie.
Staatsrechtler Heußner hat dazu das passende Gutachten angefertigt, in dem er den Wahlrechtsausschluss von 17-Jährigen für verfassungswidrig erklärt. Und im Netz findet sich die passgenaue Anleitung, wie genau die Unter-18-Jährigen Einspruch einlegen können, damit die Beschwerde am Ende bestmöglich beim Bundesverfassungsgericht landet.
Tracy und Simon meinen es ernst. Sie sind mit ihrem Protest erst am Anfang. Sie wollen weiter laut bleiben. Und unbequem. Mit Ketten und konkreten Zielen.