Teilnehmer einer Demonstration gegen den Vortrag der Biologin Vollbrecht in einem Hörsaal der Humboldt-Universität stehen vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität.Bild: dpa / Christophe Gateau
Deutschland
Die Absage eines Vortrags zum Thema Geschlecht und Gender an der Humboldt-Universität Berlin (HU) hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Zahlreiche Wissenschaftler finden, die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen. Gegner der Absage kritisieren die Entscheidung als Einknicken und Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Andere Stimmen finden die Aussagen der Biologin in der Genderdebatte problematisch.
Absage des Vortrags sei eine Maßnahme gegen "Freiheit und Debatte"
Zum Hintergrund: Nach der Ankündigung von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht, der während der Langen Nacht der Wissenschaft am vergangenen Samstag gehalten werden sollte, gestrichen. Der Titel des Vortrags lautete "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt".
Nach der Ankündigung von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag gestrichen.Bild: Eibner-Pressefoto / Augst / Eibner-Pressefoto
Die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Sie hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann", so Kempen.
"Wissenschaft lebt von Freiheit und Debatte", sagte Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der "Bild"-Zeitung am Wochenende. "Das müssen alle aushalten. Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht."
Die Begründung der Uni: Absage aus Sicherheitsgründen
Die Humboldt-Universität will laut Sprecher Boris Nitzsche nun eine Podiumsdiskussion veranstalten, zu der auch Stark-Watzinger und die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) eingeladen werden sollen. "Es geht uns vor allem um die Frage: Wie können wir Wissenschaftsfreiheit gewährleisten? Wie müssen sich Universitäten und auch die Politik dazu aufstellen?", so Nitzsche.
Es sei ausschließlich um die Sicherheit gegangen, sagte er mit Blick auf die Absage. "Nach Fragen an die Polizei haben wir die Veranstaltung abgesagt, weil wir befürchteten, dass die Situation eskalierte. Es waren eine Demonstration und eine Gegendemonstration angekündigt", so der Sprecher. Es müsse möglich sein, dass auch umstrittene Personen Vorträge halten. "Für die Handhabung von solchen Situationen sind Hochschulen derzeit nicht gut aufgestellt", so Nitzsche.
Die Absage mit Sicherheitsbedenken zu begründen, sei eine absolute Unverschämtheit, kritisierte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch ("Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen") auf Twitter. Sie unterstelle Gewalttätigkeit. In Wirklichkeit hätten die Uni-Leitung oder die von ihr mit der Planung Beauftragten "erst bei der Programmgestaltung geschlafen und dann versucht", das "selbst verursachte Problem hastig und mit großer intellektueller und organisatorischer Feigheit aus der Welt zu schaffen".
Zahlreiche Menschen protestierten im Vorfeld gegen den Vortrag von Vollbrecht.Bild: dpa / Christophe Gateau
Scharfe Kritik an Vollbrecht: Die Biologin sei durch transfeindliche aufgefallen
Die Gruppierung "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen" hatte zu Protest aufgerufen. Vollbrechts Aussage, in der Biologie gebe es nur zwei Geschlechter, sei "unwissenschaftlich", "menschenverachtend" und "queer- und trans*feindlich", heißt es in einer Stellungnahme.
Auch der unabhängige Kampagnenkanal #Transmedienwatch äußerte sich auf Instagram zu dem Fall und kritisierte die bisherige Berichterstattung als "undifferenziert". Sie schreibt über Vollbrecht: "Die Person hat wenig wissenschaftliche, dafür viele trans*feindliche Veröffentlichungen auf Twitter." Sie sei wegen ihrer "Hetze" sogar schon auf dem Netzwerk gesperrt worden.
Vollbrechts Vortrag ist auf Youtube zu finden und hatte am frühen Montagnachmittag rund 45.000 Zugriffe. Darin erklärt die Forscherin, warum es ihrer Ansicht nach nur zwei biologische Geschlechter gibt und dass das biologische Geschlecht vom sozialen Geschlecht (Gender) zu unterscheiden sei. Sie wolle niemandem etwas Böses, sagte Vollbrecht in der "RBB-Abendschau". "Ich habe immer gesagt: Es geht hier nur um Biologie. Es geht hier nicht um Politik oder Meinungen außerhalb der Uni."
Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung, so Hochschulverbands-Präsident Kempen. "Hier muss jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ihre und seine Forschungsergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können." Differenzen zu Andersdenkenden seien im argumentativen Streit auszutragen. "Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt dürfen keinen Erfolg haben."
Vollbrecht war wegen eines Beitrags in der "Welt" in die Kritik geraten
Vollbrecht war im Juni mit anderen Autoren in die Kritik geraten. Sie schrieben in einem "Welt"-Beitrag kritisch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo in Sendungen ihrer Ansicht nach "geleugnet" worden sei, "dass es nur zwei Geschlechter gibt". In dem Beitrag stand auch, Kinder würden "indoktriniert" und "aufdringlich sexualisiert".
Am Wochenende hatte HU-Sprecherin Birgit Mangelsdorf "faz.net" erklärt, die "Meinungen", die Vollbrecht in dem Artikel vertreten habe, stünden nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. "Wir distanzieren uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrücklich", so Mangelsdorf. Sprecher Nitzsche sagte am Montag, die Entscheidung, den Vortrag abzusagen, habe mit dem umstrittenen Artikel in der "Welt" nichts zu tun.
(ast / dpa)
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