Vier Monate vor der Bundestagswahl will die SPD mit einem Online-Parteitag Auftrieb im Rennen um das Kanzleramt bekommen. Momentan liegen die Sozialdemokraten mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in Umfragen deutlich hinter den Grünen mit Annalena Baerbock und der Union mit Armin Laschet an der Spitze. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gab sich vor dem Parteitag trotzdem optimistisch: "Das wird hier für uns Tag eins der Aufholjagd für die Bundestagswahl", sagte er. "Das Rennen geht ja jetzt erst los."
Im Zentrum des Parteitags steht an diesem Sonntag das Programm für die Bundestagswahl im Herbst. Der Entwurf des Vorstands stellt unter den Schlagworten "Zukunft" und "Respekt" eine Neuausrichtung der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und eine Stärkung des sozialen Miteinanders ins Zentrum. Scholz will mit einer Rede für Aufbruchsstimmung sorgen.
Die Sitzung startete mit heftigen Attacken auf die Union. "Eine Union, deren Spitzenkräfte Karliczek, Altmaier und Scheuer heißen, eine solche Union sollte nicht in der Regierung sein", sagte Generalsekretär Lars Klingbeil mit Blick auf Unionsminister am Sonntag in Berlin. 600 online zugeschaltete Delegierte sollten am frühen Nachmittag das Bundestagswahlprogramm beschließen und Finanzminister Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten bestätigen.
Die Union werde wöchentlich von neuen Maskenaffären heimgesucht und sei geprägt von brutalen Machtkämpfen. CSU-Chef Markus Söder sei am Ende zu feige für die Kanzlerkandidatur gewesen. Armin Laschet sei als CDU-Chef Kandidat hasenfüßig unterwegs und mache sich als Kanzlerkandidat eigentlich nur noch Gedanken um die Zeit nach seiner Niederlage.
"Diese Union ist kaputt, und sie ist inhaltlich leer, und für Deutschland ist es gut, wenn diese Konservativen keine Verantwortung mehr tragen", sagte Klingbeil. "Es braucht Erfahrung, es braucht Leadership, es braucht Kompetenz, es braucht Kraft, es braucht Olaf Scholz für Deutschland." Angesichts der schlechten Umfragewerte für die SPD im Vergleich zu Grünen und Union sagte er: "Heute ist Tag eins unserer Aufholjagd für die Bundestagswahl."
Scholz stehe für vier Kernziele: "Ein klimaneutrales Land bis allerspätestens 2045, das modernste Mobilitätssystem Europas, digitale Souveränität und ein flächendeckend starkes Gesundheitssystem in Deutschland."
Indirekt versprach Klingbeil einen anderen Politikstil als unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU): "Es braucht einen politischen Kulturwandel, nicht zurücklehnen, nicht selbstzufrieden sein, nicht moderieren, sondern führen." Der SPD-Parteimanager wies darauf hin, dass 80 Direktkandidatinnen und -kandidaten der SPD für den Bundestag unter 35 Jahre alt seien. "Jünger, bunter, weiblicher – das sind bei uns nicht nur Floskeln."
In Umfragen liegen die Sozialdemokraten abgeschlagen bei 14 bis 16 Prozent. Die Grünen kommen in den Erhebungen seit Mitte April auf 21 bis 28 Prozent. Die Union erreicht Werte von 23 bis 28 Prozent. Die jüngsten dieser Erhebungen sehen die Grünen vor der Union. Klingbeil betonte, für die SPD gehe es nun darum, "die Beliebtheitswerte und die Kompetenzwerte, die Olaf Scholz hat, auf die SPD zu übertragen".
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat die Union für ihre Klimapolitik scharf angegriffen. "Wer wie CDU und CSU in der Klimapolitik hin und her springt zwischen Vollbremsung einerseits und dann halsbrecherischen Überholmanövern auf der anderen Seite, der ist ein Fall für Flensburg, dem gehört der Führerschein entzogen", sagte er am Sonntag. "Die müssen runter vom Steuer, das gilt auch in der Politik." Die Union sei "ein Risiko für die Allgemeinheit" und schade dem Klima genauso wie der Wirtschaft, dem Wohlstand und dem Zusammenhalt.
Walter-Borjans warb dafür, Klimaschutz stets mit sozialen Gedanken zu verbinden. "Wer meint, das Eine dem Anderen opfern zu können, der wird auf ganzer Linie scheitern", betonte er. Dabei liege im Klimaschutz auch ein großes Potenzial. Wenn Technologien weiterentwickelt würden, sichere das Arbeitsplätze mit Zukunft, etwa in der Elektromobilität und in der Wasserstoffwirtschaft. Dafür aber müsse der Staat massiv investieren – nicht nur in den Klimaschutz, sondern auch in bezahlbares Wohnen und Sicherheit bei Jobverlust. "Wir wollen Verantwortung übernehmen für die Zukunft – aber wir wollen auch Verantwortung übernehmen für die Gegenwart", betonte Walter-Borjans.
Im Anschluss wollte die SPD das Klima-Kapitel ihres Parteiprogramms verabschieden. Die Sozialdemokraten versprechen darin Klimaneutralität bis spätestens 2045. Bis 2040 soll der Strom bereits vollständig aus erneuerbaren Energien kommen.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, hat die Arbeit der SPD in der großen Koalition in der zu Ende gehenden Wahlperiode gelobt. "Der Weg hat sich gelohnt, jetzt aber gilt es, den Blick nach vorne zu richten", sagte Hoffmann am Sonntag. So wären laut Hoffmann ohne SPD zahlreiche Maßnahmen in der Pandemie nicht durchgesetzt worden, etwa die Aufstockung des Kurzarbeitergelds oder die Pflicht zum Angebot von Corona-Tests in Unternehmen. Klimakrise und technologischer Wandel beschleunigten nun "einen anspruchsvollen Transformationsprozess". Der DGB-Chef mit SPD-Parteibuch sagte, beim Kampf gegen den Klimawandel sei Sozialpolitik nach SPD-Vorstellungen nötig: "Der Green Deal wird nur gelingen mit einem Social Deal – dafür steht die Sozialdemokratie."
(lfr/mit Material von dpa)