Menschen schützen Menschen.bild: imago
Deutschland
Er wurde als konvertierter Christ in seiner
Heimat Iran verhaftet und drangsaliert, wie er berichtet. Daraufhin
entschied sich der 30-Jährige für die Flucht. Über die Türkei und
Italien gelangte der studierte Ingenieur im September 2018 nach
Deutschland, in die zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg
nach Eisenhüttenstadt (Landkreis Oder-Spree).
Von dort sollte er
zurück nach Italien, wo er erstmals als Flüchtling innerhalb der
Europäischen Union registriert worden war. So sieht es die
EU-Verordnung Dublin III vor.
"Dort hatte man mich damals ins Gefängnis gesteckt, mir meine
Ersparnisse weggenommen. Dahin wollte ich keinesfalls zurück", sagt
der Iraner. Mit Schlaftabletten unternahm der Flüchtling einen
Suizidversuch. "Wir haben ihn dann aus dem Krankenhaus abgeholt und
privat untergebracht", erzählt Anna Claßen.
Die Sozialarbeiterin
gehört wie gut 70 andere zum "Barnimer Bürgerasyl". Die Initiative im
Kreis Barnim in Brandenburg will Asylbewerber vor Abschiebung
schützen, weil sie dieses Prozedere als unmenschlich ansieht. Der
Iraner wurde vor den Behörden versteckt, lebt seitdem mehr oder
weniger illegal in Deutschland.
Eine wachsende Zahl von Initiativen will Flüchtlinge vor Abschiebung schützen – zum Beispiel auch in Berlin, Göttingen oder Köln.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat für solche Aktionen kein
Verständnis: Ein "Bürgerasyl" sei im deutschen Recht nicht
vorgesehen, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage. "Es ist
nicht akzeptabel, dass es eigenmächtig zur Verhinderung von
Dublin-Überstellungen oder Rückführungen durchgeführt wird." Nach der
Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber dort registriert werden, wo sie
die EU zuerst betreten haben. Nach Ansicht des Fördervereins Pro Asyl
gibt es mehr Aufrufe von Initiativen für "Bürgerasyl" als konkrete
Fälle. Laufende Fälle würden normalerweise nicht veröffentlicht.
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) warnt vor
rechtlichen Konsequenzen eines "Bürgerasyls".
Schröter sagt:
"Eine vollziehbar ausreisepflichtige Person, die nicht freiwillig ausreist und sich der dann anderweitigen Aufenthaltsbeendigung, also der Abschiebung, entzieht, macht sich strafbar wegen illegalen Aufenthalts. Wenn eine solche Straftat vorliegt, können diejenigen Personen, die hierbei Hilfe leisten, wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt strafrechtlich belangt werden."
dpa
Das Innenministerium
Mecklenburg-Vorpommern erklärt, es obliege etwaigen Bürgerinitiativen
nicht, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns abschließend zu
beurteilen – dies sei Sache der Gerichte.
Das niedersächsische Innenministerium verweist nach Angaben eines
Sprechers darauf, dass der europarechtlichen Pflicht zur Abschiebung
durch das Land das im Grundgesetz gesicherte Recht des Bürgers auf
freie Meinungsäußerung gegenübersteht.
De facto sei es damit nicht strafbar, jemanden anderen ohne Gewaltanwendung vor der Abschiebung zu schützen.
In Bayern mühen sich Flüchtlingsverbände wie Pro Asyl
oder der Flüchtlingsrat darum, Abzuschiebende vorzuwarnen, das ist
aber noch nicht strafbar. Dies könnte sich mit einem Gesetz ändern,
dessen Entwurf Seehofer im Februar vorgelegt hat - das
"Geordnete-Rückkehr-Gesetz".
Das "Barnimer Bürgerasyl" berichtet von vier aktuellen Fällen der
Hilfe.
Thomas Janoschka (Bildungsreferent ) sagt:
"Wir sind mehrere kleinere Gruppen in unterschiedlichen Orten des Landkreises, die die konkrete Hilfe leisten und weitaus mehr Unterstützer und Sponsoren."
dpa
Einen Flüchtling eigenverantwortlich zu versorgen,
gehe ganz schön ins Geld. Vor allem Abschiebungen im Zusammenhang mit
dem Dublin-III-Abkommen sind den Helfern ein Dorn im Auge.
Claßen, Janoschka und ihre Mitstreiter suchen inzwischen verstärkt
den Kontakt zu Kirchengemeinden, wohl wissend, dass das Kirchenasyl
von der Bundesregierung in der Regel geduldet wird. Das
Bundesinnenministerium hält einen Vergleich des "Bürgerasyls" mit dem
Kirchenasyl nicht für angebracht. Beim Kirchenasyl existiere ein
zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) abgestimmtes Vorgehen, sagt der Ministeriumssprecher. Dies sei
"im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien entwickelt worden" und
werde praktiziert, "um im Einzelfall besonderen Härten Rechnung zu
tragen".
In Berlin wird offen für Bürger_innen Asyl geworben
Auch die Pfarrerin Katharina Falkenhagen aus Frankfurt (Oder) warnt
vor solchen Initiativen.
Falkenhagen sagt:
"Wenn Flüchtlinge untertauchen, werden sie automatisch illegal. Ich wage zu bezweifeln, dass man ihnen damit wirklich einen guten Dienst erweist."
dpa
Falkenhagen hat
bereits mehrfach Asylbewerber im Frankfurter Kirchenasyl betreut.
"Die rechtlichen Konsequenzen für die Unterstützer sind nicht
angenehm - Ermittlungsverfahren, empfindliche Geldstrafen."
Sobald die untergetauchten Flüchtlinge wieder auftauchen, würden sie ebenfalls strafrechtlich verfolgt und letztlich abgeschoben.
Derartige Konsequenzen haben die Initiatoren des "Barnimer
Bürgerasyls" bisher nicht erlebt, versichern sie. Mit ihrem
umstrittenen Engagement wollen die Helfer auch gegen die deutsche
Asylpolitik protestieren und haben ihr Wirken bewusst öffentlich
gemacht.
Janoschka sagt:
"Es wird einfach zu viel abgeschoben, dagegen leisten wir aus moralischer Sicht zivilen Ungehorsam."
dpa
Der
Landrat des Kreises Barnim, Daniel Kurth (SPD), sagt: "Wenn wir damit
anfangen, die Moral anzuführen, um uns über geltendes Recht
hinwegzusetzen, werden wir in eine ganz schwierige Situation kommen."
(dpa)
Boris Pistorius (SPD) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.