Jörg Meuthen hat sich mit seiner Rede auf dem Parteitag viele Gegner in der AfD gemacht.Bild: dpa / Rolf Vennenbernd
Deutschland
Die AfD hat ihr Programm um ein
sozialpolitisches Konzept ergänzt und damit vor der Bundestagswahl
2021 eine bislang bestehende inhaltliche Lücke geschlossen. Der
Bundesparteitag in Kalkar verabschiedete am Samstag einen
entsprechenden Antrag mit Leitlinien zur Gesundheits-, Renten- und
Pflegepolitik. Fast 89 Prozent der gut 500 Delegierten stimmten für
das Konzept.
Überlagert wurde der Parteitag von einem Streit über den
Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, der seine Partei in seiner
Eröffnungsrede zur Distanzierung von Krawallmachern und Provokateuren
in den eigenen Reihen aufrief und mehr "innerparteiliche Disziplin"
anmahnte. Kritiker forderten ihn daraufhin am Sonntag auf, mit seinem
"Spalterkurs" aufzuhören.
Bei Nachwahlen zum Bundesvorstand setzten sich eher gemäßigte
AfD-Politiker durch. Der sächsische Landtagsabgeordnete Carsten
Hütter wurde zum neuen Bundesschatzmeister bestimmt, Christian
Waldheim aus Schleswig-Holstein zu seinem Stellvertreter. Auf den
Platz im Bundesvorstand, der durch den Parteiausschluss von
Rechtsaußen Andreas Kalbitz frei geworden war, rückte die
Bundestagsabgeordnete Joana Cotar nach.
AfD will "auskömmliche Rente" garantieren
Der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla betonte, das
sozialpolitische AfD-Konzept schaffe es, die Leistungsbereitschaft
und das Engagement, das ein Mensch in jahrzehntelanger Arbeit für das
Land erbringe, im Alter angemessen zu belohnen: "Wir garantieren
allen Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, eine
auskömmliche Rente."
Die AfD fordert unter anderem Freiheit beim Zeitpunkt des
Renteneintritts, die Abschaffung von Politikerpensionen und eine
Altersvorsorge für Selbstständige. Um mehr "Lastengerechtigkeit"
zwischen Familien und Kinderlosen herzustellen, sollen Eltern für
jedes Kind 20 000 Euro an Beiträgen zur Rentenversicherung aus
Steuermitteln erstattet bekommen. Keine Zustimmung erhielt die
Forderung, dies auf deutsche Staatsbürger zu beschränken. In der
Gesundheitspolitik will die AfD die gesetzliche und die private
Krankenversicherung stärken, die ambulante Versorgung von Patienten
verbessern, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken und die
stationäre medizinische Versorgung im ländlichen Raum erhalten.
Meuthen-Rede führt zu heftiger Debatte
Am Samstag hatte AfD-Chef Meuthen unter anderem kritisiert, dass
manche in der AfD von "Corona-Diktatur" sprächen, keine Distanz zur
sogenannten Querdenker-Bewegung zeigten und mit dem Begriff
"Ermächtigungsgesetz" hantierten. "Das kann und darf so keinesfalls
weitergehen", forderte er in einer auch mit Buhrufen bedachten Rede.
"Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und
sehr bald. Oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft in
ganz, ganz schwere See geraten und gegebenenfalls scheitern."
Am Sonntag führte die Rede zu heftigen Wortgefechten zwischen
Gegnern und Anhängern Meuthens. Die Kritiker warfen ihm vor, der
Partei und dem Parteitag Schaden zugefügt zu haben und die Partei zu
spalten. "Wer Disziplin von der Partei fordert, sollte das vorleben,
und diese Bühne nicht zur Abrechnung mit unlieben Parteimitgliedern
missbrauchen", sagte Birgit Bessin vom Landesverband Brandenburg.
Meuthen weist Vorwürfe zurück
Ein
Antrag, "das spalterische Gebaren" Meuthens und die "Unterstellungen
aus der Begrüßungsrede" zu missbilligen, scheiterte aber. Eine knappe
Mehrheit verhinderte, dass über ihn abgestimmt wurde.
Meuthen wies den Vorwurf der Parteispaltung zurück. "Ich habe
eine neue Einheit in Disziplin angemahnt." Diese sei notwendig. Die
AfD stehe vor einem wichtigen Wahljahr, liege in Umfragen aber nur
noch bei sieben Prozent. "Ich will mit ganzem Herzen den Erfolg
unserer Partei", betonte Meuthen. "Aber diesen Erfolg werden wir nur
mit seriösem Auftreten erzielen."
Parteichef Chrupalla kritisierte am Samstag die "Notstandspolitik
von Bund und Ländern" in der Corona-Krise. "Wir werden nicht
zulassen, dass die Regierungen im Alleingang das gesellschaftliche
und wirtschaftliche Leben in Deutschland ins Koma versetzen können."
Es würden wissentlich Existenzen vernichtet, die Pleitewelle rolle
bereits, viele Menschen werde dies den Arbeitsplatz kosten.
Mit großer Mehrheit ergänzten die Delegierten das
sozialpolitische Papier um eine Passage zur Corona-Krise. Darin
kritisiert die AfD "die panikartigen Corona-Maßnahmen der
Bundesregierung". Sie fordert unter anderem, die flächendeckenden
Maßnahmen wie Lockdowns und Maskenpflicht schnellstmöglich durch
angemessene Mittel zum gezielten Schutz von Risikogruppen zu
ersetzen. Alle betroffenen Bereiche von Wirtschaft und Kultur sollten
unverzüglich wieder geöffnet werden.
Viel Kritik an Präsenz-Parteitag
Der Parteitag kam in einer Messehalle zusammen. Die örtlichen
Behörden hatten strenge Sicherheitsauflagen gemacht. Unter anderem
mussten die Delegierten permanent eine Maske tragen, auch wenn sie an
ihrem Platz saßen. Die Stadt Kalkar hatte angekündigt, den Parteitag
notfalls auch zu beenden, wenn gegen die Auflagen verstoßen werde.
Parteichef Chrupalla antwortete den Kritikern der Versammlung
mitten in der Corona-Pandemie, Präsenzparteitage seien unverzichtbar
in der Parteiendemokratie. Diese brauche lebendige Debatten. "Wenn
wir da uns von einem Virus in die Schranken weisen lassen, hat die
Demokratie ihr Recht bereits verloren."
Rund 500 Menschen demonstrierten friedlich gegen das Treffen der
Rechtspopulisten. Zu der Kundgebung hatte das Bündnis "Aufstehen
gegen Rassismus" aufgerufen.
(hau/dpa)
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